Reportagen

Diskussionsabend in Niederfrohna

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Auf einer Anhöhe inmitten der ursprünglich feuchten Landschaft, die aus dem Zusammenfluss mehrerer Bäche entstand, liegt das Rittergut Mittelfrohna (heute Niederfrohna). In der Abfolge der Besitzer drückt sich die Ortsgeschichte konzentriert aus. Angefangen von Ritter Heinrich von Frohne, über die Familien von Flurstädt, von Meckau, von Schönberg, dem Chemnitzer Kaufmann Siegert, der Familie von Schönburg, von Wilucki u.a. Anfang der 1950er Jahre wurde die Besitzerfamilie Hofmann enteignet. Dr. Günter Hofmann erreichte 1990 die Rückgabe des Gutes, verstarb aber früh. Längere Zeit war die Zukunft des traditionsreichen Ensembles unklar. Bis vor einigen Jahren eine junge Familie mit außergewöhnlichem Tatendrang das »Bauerngut«, wie sie es zunächst sah, kaufte. Erst vor Ort offenbarte sich die Dimension der notwendigen Sanierungsarbeiten. Seit vergangenem Jahr ist der ehemalige Kuhstall zu mehr als der Hälfte in ein modernes Bürogebäude umgewandelt. Die Steuerberatunsgkanzlei BS & P verlagerte ihren Sitz hierher. Damit nicht genug. Die Familie Elsner engagiert sich auch aktiv für das kulturelle Leben der Gemeinde. Viele erinnern sich noch an den Adventsmarkt im Rittergutshof von 2011. Es verwunderte daher nicht, dass für den 22. April 2013 nun zu einer Buchvorstellung und Diskussion in den Schulungsraum von BS & P eingeladen wurde.

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Wie immer erfordert vor dem eigentlichen Beginn die Technik volle Aufmerksamkeit.

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Ein Gast nach dem anderen betrat den Raum. Dann ging es um 19.00 Uhr endlich los. Gastgeber Klaus Elsner begrüßte die Gäste voller Freude.

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Der Moderator stellte zunächst den Buchautor Wolf-Dieter Beyer dem Publikum vor und erinnerte an die Veranstaltungen in der Niederfrohnaer Johanniskirche im Frühjahr 1990. Wolf-Dieter Beyer hatte seinerzeit dem Publikum das Programm des Demokratischen Aufbruchs (DA) vorgestellt. Nach der Fusion seiner Partei mit der CDU war Wolf-Dieter Beyer bis 2004 Mitglied im Sächsischen Landtag und wirkte im Wirtschaftsausschuss. Der Moderator hob hervor, dass sich Beyer von Anfang an für mittelständige Betriebe engagierte.

Beyer dankte und erläuterte dem Publikum, dass ihn auch nach seiner Pensionierung »Beispiele realpolitischer Unvernunft« beunruhigen. Einige Fehlentscheidungen seien nicht mehr zu ändern, z.B. die Subventionierung der Verschrottung von Autos. Anderes sei noch zu ändern, z.B. müsste sich endlich die Einsicht durchsetzen, dass bankrotte Banken auch in Konkurs gehen müssten. Jedes andere Unternehmen müsse ja auch für Fehlentscheidungen haften.

Ein anderes Beispiel für eine notwendige Korrektur sei die Vorstellung, man könne aus der heutigen Krisensituation in einen europäischen Superstaat flüchten. Helmut Kohl habe das EU-Projekt als »Friedensprojekt« bezeichnet. Hans Werner Sinn habe darauf verwiesen, dass »Unfrieden« gestiftet wurde. Es sei nicht unnormal, wenn sich die Wirklichkeit anders entwickle als in der Planung vorgesehen. Dann müsse man sich aber korrigieren können. Als Kriterium für die Korrektur heutiger Wirtschaftspolitik führte Wolf-Dieter Beyer dann die Arbeit von Walter Eucken: »Grundsätze der Wirtschaftspolitik« an. (Auf seinem Platz sah man ein zerlesenes Exemplar des Buches in der Rowohlt-Ausgabe von 1957.)

Eucken, so Beyer, habe aus der Untersuchung praktischer Erfahrungen sechs Prinzipien erfolgreicher Wirtschaftspolitik entwickelt, die in der jungen Bundesrepublik als Grundlage für die Politik der sozialen Marktwirtschaft und der CDU-Wirtschaftspolitik avancierten. (Eucken war bereits 1950 verstorben.)

Das Ideal Euckens war eine »vollständige Konkurrenz« und ein Ausschluss von Monopolen. (Also eine gesetzliche/steuerliche Gleichberechtigung aller Eigentumsformen.) Beyer nannte die Prinzipen: funktionsfähiges Preissystem, Stabilität der Währung, offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung und Konstanz der Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftspolitik könne nur erfolgreich sein, wenn alle Prinzipien beachtet würden. In der Verletzung des Prinzips Haftung für getroffene Entscheidung sehe er ein grundsätzliches Problem gegenwärtiger Realpolitik. Da sei besorgniserregend, weil dadurch letztlich die Demokratie bedroht werde.

Die Alternativen entwickelten sich in der Wirtschaft selbst. Personalcomputer und alternative Energieumwandlung trieben die Dezentralisierung voran. Besonders die mittelständigen deutschen Familienunternehmen hätten dies schon aufgegriffen. Größere Unternehmen hätten bereits neue Organisationsstrukturen entwickelt, weg von der »Pyramide« mit der einsamen Spitze hin zu einem »Kristall«. Der Entwicklung könne man sich auf lange Sicht nicht verweigern.

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Das Publikum hatte den Ausführungen aufmerksam gelauscht. Ein Zuhörer fragte, ob nicht der einfache Steuerzahler für alles hafte. Ja, das sei die Lage. Ein anderer Zuhörer wollte wissen, wie man ohne EU-Superstaat mit China konkurrieren wolle? Beyer antwortet, dass der Drang nach Größe kein guter Ratgeber sei. Eine Zuhörerin fragte, welche Partei man wählen könne, wenn sich die etablierten Parteien in Sachen Europa- und Finanzpolitik nicht unterscheiden ließen? Herr Beyer meinte, dass die ungeeigneten Politiker nicht wieder gewählt würden. Ein Zuhörer warf ein, dass die wenig fähigen eher Kariere machten und nach oben kämen, wie es das Peter-Prinzip beschreibe. Die Schweiz sei in Sachen Demokratie eine Alternative.

Ein Zuhörer ergänzte, dass die Bildung der »Alternative für Deutschland« schon ein wichtiges Ereignis gewesen sei, wo doch die etablierte Politik versuche als »alternativlos« zu gelten. Das sei eigentlich das Schlimmste, was man sich in diesem Punkt vorstellen könne, weil damit jede Diskussion abgewürgt werde.

Ein Zuhörer warf ein, dass der Bundesbankpräsident entgegen der offiziellen Politik darauf verwiesen habe, dass bankrotte Banken in Konkurs gehen müssten.

Der Moderator faste nach zweiundeinhalb Stunden zusammen, dass Diskussionen für Entscheidungen in komplexen Fragen unverzichtbar seien, dass soziale Lernprozesse institutionelle Verankerungen brauchten und dass die Kontrolle von Verantwortung (Haftung) überschaubare Verhältnisse brauche. Er dankte dem Autor und dem Publikum für dies anregende und sachliche Diskussion.

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Wolf-Dieter Beyer ließ es sich nicht nehmen, der Gastgeberin Claudia Elsner zu danken.

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Besonders aktive Gäste hatten das Buch erworben …

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… und ließen es sich vom Autor signieren.

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Die Journalistin Steffi Hofmann führte ein Interview mit Wolf-Dieter Beyer.

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Bei Braustolz-Lager-Bier aus Chemnitz und französischem Wein diskutierten die Gäste an diesem Abend noch lange. Vielfach hörte man, dass öffentliche Diskussionen über existenzielle Probleme heute eher selten seien. Um so dankbarer sei man dem Autor, dass er einen Anstoß zum Weiterdenken gegeben habe. Die gastgebende Familie Elsner führt die mehrhundertjährige Tradition des Hauses in würdiger Weise fort. Dafür gebührt ihr Dank.

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Kommentar

Man fühlte sich an diesem Abend fast wieder etwas in die DDR der späten 1980er Jahre versetzt. Auch damals ging es darum zu lernen, unterschiedliche Meinungen auszuhalten. Verschiedene Meinungen sind normal, weil auch Geschichte ein vielstimmiger Prozess ist (Jacob Grimm). Es kann also nur darum gehen, in wichtigen Punkten Annäherung zu erreichen, keine Vereinheitlichungen. Das Abbauen eigener Vorurteile gehört zu diesem Prozess wie das Einbringen eigener Erfahrung.

So sehen politisch links orientierte Menschen die Auffassung Walter Euckens eher als »rechts« und »reaktionär« an. Aber auch in der CDU wird Eucken dem Anschein nach heute nicht mehr übermäßig geschätzt. Wolf-Dieter Beyer erscheint mit seinem Eucken-Plädoyer wie ein Außenseiter.

Wolf-Dieter Beyer plädiert für einen begrenzten starken Staat. Der ist allerdings nur möglich mit starken, engagierten, aktiven, selbstbewussten Bürgern. Und umgekehrt: wenn man den Staat für alles und jedes verantwortlich macht, dann wird alles und nichts gelöst, und die Bürger zu schwachen, egoistischen Konsumenten.

Ich muss hier, mein Chef möge es mir verzeihen, einmal daran erinnern, dass Johann Gottfried Herder die Staats-Auffassung seines Lehrers Immanuel Kant kritisierte. Kant war der Meinung, dass der Staat Kultur bringen und Probleme lösen solle.

Der Theologe und Generalsuperintendent Herder meinte, dass der Staat weder Kultur bringen, noch Probleme lösen könne, sondern nur verwalten. Die Probleme müssten die Bürger schon selbst lösen. Der Staat sei nur für die Rahmenbedingungen der Daseinsvorsorge verantwortlich. (Eine andere Frage ist es, was heute zur Daseinsvorsorge gezählt werden muss.)

Um keine Unklarheit aufkommen zu lassen: das Credo des Christentums bestand für Herder in der Einsicht, dass, wenn es meinem Nachbarn nicht gut geht, es mir selbst auch nicht gut gehen kann.

Es ist also an der Zeit, alte Klischees und Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen. Der Diskussionsabend in Niederfrohna regte uns dazu an. Dank an die Organisatoren, den Autor und die Helfer.

Johannes Eichenthal / Fotos: Fritz Liebert

 

Anmerkung des Redaktors

Johannes Eichenthal ist ein junger Mann, der keine ewigen Wahrheiten verkünden, sondern zur Diskussion anregen will. Er glaubt, dass verbindliche Diskussionen um wesentliche Fragen unseres existenziellen Sinns heute fehlen. Sinnstiftung ist aber ohne Diskurs nicht möglich.

Bitte nutzen Sie die Kommentarfunktion der Litterata-Seiten. Darüber würde sich Johannes freuen. Vielen Dank!

 

 

Information

Wolf-Dieter Beyer: das Prinzip Haftung. Mironde-Verlag. 2013, fester Einband, gebunden, fadengeheftet, Lesebändchen, Vor- und Nachsatz, 72 S. 22,00

ISBN 978-3-937654-48-5      www.mironde.com

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