Reportagen

Landschaftsfotografie von Hans Weiß

 

Am Freitag, den 8. Juli 2011, hatte die Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst zu einer Ausstellungseröffnung auf Schloss Schlettau geladen. Die Einladungskarte (Foto oben) war mit dem Titel »Sosa mit Blick auf den Auerberg«, 1963 versehene. Das Besucherinteresse war wieder groß. Gezeigt wurden 40 Farbfotos von Hans Weiß (1914–1984) aus den frühen 1960er Jahren. Die Laudatio hielt der Architekt Karl Herrmann, auf dessen Initiative die Ausstellung auch zustandekam.

Abbildung eines Originales. Die 40 Arbeiten wurde von Karl Herrmann, Steffen Meyer und Alexander Stoll aus etwa 500 Diapositiven von Hans Weiß ausgewäht, die Karl Hermann aus seinem Privatbesitz zur Verfügung stellte.

Zu den Gästen gehörte auch Maria Weiß, die Witwe des Künstlers (ganz rechts), hier im Gespräch mit Reinhold Lindner.

Mit der Ausstellung setzten der Kulturraum Erzgebirge-Mittelsachsen und die Schlossgalerie Schlettau wieder einmal ein Achtungszeichen. Hier wird Kunst gezeigt, die noch auf erzgebirgisch-handwerklichen Füßen steht, und die dennoch, oder gerade deshalb, in ihrer Bedeutung weit über das Erzgebirge hinausstrahlt.

Johannes Eichenthal (Text) und Alexander Stoll (Fotos)

 

Information

Das Museum Schloss Schlettau hat Di–Fr von 10–17 Uhr, Sa 14–17 Uhr, So 13–17 Uhr und an Feiertagen 13–17 Uhr geöffnet.

www.schloss-schlettau.de

 

Abschließend dokumentieren wir die Laudatio von Karl Herrmann

Hans-Weiß-Aue (1914–1984) Seine Phothographien vom Erzgebirge 

Diese Ausstellung mit »seinen Photographien vom Erzgebirge« findet, wie wir aus Kunstzeitschriften wissen, in einer Epoche statt, in der soviel Photographie gezeigt wird wie noch nie. Man kann sich eine Tabelle vorstellen, in der alle möglichen realistischen Photographien eingeordnet werden können. In einer Ecke, sagen wir, rechts oben, wäre dann die Photographie größter Objektivität und Statik, ohne jegliche persönliche Absicht des Photographen, ja ohne Wetter, angeordnet. Ich denke da an die Serie der Wassertürme von Hilla und Ernst Becher. In der Ecke unten links wäre dann die Photographie größter Subjektivität und Dynamik. Da denke ich an die Aufnahmen bewegter Menschen aus unwahrscheinlicher Sicht, wie sie Moholy-Nagy am Bauhaus geschossen hat.

Auf dieser Liste aller möglichen realistischen Photographien wären die von Hans-Weiß-Aue ziemlich nahe an der Ecke der Objektivität einzuordnen. Es sind die Photos seiner erzgebirgischen Heimat. Daher können sie nicht unpersönlich-objektiv sein, sondern von einem, seinem Heimatgefühl mitgestaltet. Er hat mit Diareihen dieser Photos bezahlte Vorträge gehalten. Sie wenden sich also auch an ein Heimatgefühl der Betrachter.

Über das Thema »Heimat« in der Kunst habe ich in der Literatur keine Theorie gefunden. Daher ist es mir ein willkommener Anlaß, hier einen theoretischen Ansatz zu suchen. – Ich werde dafür etwas provokativ den Begriff  »Heimatkunst« verwenden, wohl wissend, dass er durch eine Unmenge von Kitsch beinahe diskreditiert ist. Der semiotische Teil meiner Theorie ist aus der triadischen Semiotik von Charles Sanders Peirce (1839–1914) und Max Bense (1910–1990) entwickelt. Der kunsttheoretische Teil ist begründet auf dem, was ich von Otto-Müller-Eibenstock (1898–1986), dessen Freund und Schüler ich von 1973 an war, gelernt habe

Weiß-Aue hatte, bevor er mit 50 Jahren anfing, das Erzgebirge zu photographieren, diese Landschaft schon 30 Jahre lang gezeichnet und gemalt, hatte Holz- und Linolschnitte hergestellt. Es war ein am Motiv gereifter Künstler, der da in dieses Metier eintrat. Er hat die Standortefür das Stativ aus der Erfahrung des Zeichners, der dann stundenlang bei der Arbeit sitzt, ausgewählt, hat die Bildausschnitte gewählt, wie man eine Fläche gestaltet. Er hatte noch keinen Zoom, daher mußte er sich die Bildausschnitte in der Landschaft erlaufen.

Zunächst aber sei etwas zur Geschichte dieser Photos gesagt: Weiß-Aue hat zwischen 1964 und 1978 insgesamt 500 Dias hergestellt. Fast alle sind erzgebirgische Landschaften. Sie sind mit professionellem Anspruch aufgenommen. Oft fuhr er dazu auf seinem Moped, auch auf Waldwegen, mit Apparat, Belichtungsmesser und Stativ, auch von seiner Frau begleitet, durch das Erzgebirge. Sorgfältig wählte er die idealen Standpunkte für seine Aufnahmen. Dabei konnte es passieren, dass er wartete, bis die Wolken ein Stück weiter wandernd das Sonnenlicht für die Beleuchtung eines Gehöftes oder einer Brücke freigaben.

Zu Hause hat er auf dem Diafilm die gewünschten Bildausschnitte abgeklebt und die Dias als Kleberahmen vermutlich selber hergestellt, dann hat er sie mit Titel, Datum, Uhrzeit, Blende und

Belichtungszeit beschriftet. Davon hat er Dia-Reihen zusammengestellt und, zum Beispiel an der Volkshochschule, Vorträge darüber gehalten. Nach 1984, dem Todesjahr des Künstlerphotographen, lagen die Dias ungenutzt in der Wohnung seiner Witwe.

Es war zuerst der Bildhauer Paul Reich (l925–2009) (er hatte 1954 die DDR verlassen müssen) der mir über Hans Weiß erzählte. Bei ihm habe ich die einzigartigen Postkarten-Linolschnitte, in dem merkwürdigen Format 66 × 74 mm, die ihm Weiß-Aue immer wieder schickte, bewundert. Durch Reich habe ich auch Otto-Müller-Eibenstock kennengelernt, der von 1973 bis zu seinem Tode mein Freund und Lehrer war.

Mit Cläre und Otto Müller-Eibenstock bin ich einmal dem Ehepaar Maria und Hans Weiß an der Gaststätte am Auersberg begegnet. Beide klagten über seine zunehmenden Herzbeschwerden. Einige Monate später schrieben mir die Müllers, dass er gestorben sei. Von 1988 an haben meine Frau und ich die Frau Weiß immer wieder besucht. WIr haben zahlreiche Blätter, vor allem aus dem graphischen Werk gekauft.

1995, als Eva-Marie Trommer in der Galerie Art Alt Aue eine Ausstellung seiner »Aquarelle und Kleingraphik« organisierte betraute sie mich mit der Aufgabe, die Eröffnungsrede zu halten.

Im Laufe der Zeit sichtete und registrierte ich das Werk von Weiß-Aue und entdeckte dabei die 5 Diareihen. Dann, einige Jahre später konnte ich die Herren Steffen Meyer und Alexander Stoll von der »Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst« leicht dafür gewinnen, diese Ausstellung zu organisieren. Die bei den Herren hatten dann noch die reizvolle, aber auch schwierige Aufgabe, aus den 500 durchweg gelungenen Photographien 40 repräsentative für diese Ausstellung auszuwählen.

Es geht in dieser Ausstellung, wie gesagt, um die Abbildung der Landschaft als »Heimatkunst«. Diese wendet sich an den Betrachter, die von dem dargestellten Objekt, nehmen wir an, es sei die Stadt Aue, eine durch zahllose Erlebnisse sicher vorhandene, aber nicht näher bestimmbare Vorstellung haben, eine Vorstellung, die im Gemüt so tief verankert ist, dass sie in der Ferne zur Sehnsucht wird. Nun ist aber alles unbestimmte dem menschlichen Geist, vor allem dem aus der griechischen Rationalität hervorgegangenen abendländischen, ein Zustand, aus dem er erlöst werden will.

Eine Möglichkeit der Erlösung aus der Unbestimmtheit der Vorstellung von Heimat sind ganz bestimmte originäre Bilder von ihr, und dafür gibt es wie in der Photographie zwei extreme Möglichkeiten in der bildenden Kunst.

Zum einen kann ein Künstler in verschiedenen, immer wieder überraschenden subjektiven Ansichten, so wie Hokusai es mit den 36 Ansichten des Fuji-jama tat, den ewig gleichen heiligen Berg in immer anderer dramatischer Wettersituation abbilden. – Der Betrachter hat dann wie bei einem Ricercare in der Musik die Freude, ihn immer wieder zu erkennen.

Ein Künstler kann aber auch, wie Weiß-Aue es tat, dieser Vorstellung eine prägnante, über denTag hinaus gültige, ideal-typische Gestalt verleihen. Die Vorstellung von Aue wird somit durch den Linolschnitt :für den Betrachter genau bestimmbar. Die bestimmbare Gestaltung wird dem Gemüt des heimatverbundenen Betrachters so gewiss, wie eine platonische Idee.

Dabei gibt es, wenn es sich wirklich um ein Kunstwerk handelt, noch ein Problem, auf das mich Paul Reich hingewiesen hat: Es ist, entgegen landläufiger Meinung schwieriger, die Schönheit eines realistischen Bildes zu erkennen, als die eines abstrakten wenn die Freude am Wiedererkennen einer Ansicht von Aue kann uns daran hindern, aus der Vereinigung von Abbildung und rhythmischer Durcharbeitung, die abstrakte Komposition aufzuspüren und uns an ihr zu erfreuen. Denn diese einmalige abstrakte Komposition verleiht dem Werk, wie Goethe im »West-Östlichen Diwan« sagte, den Gehalt, der dem Künstler »freiwillig aus der Fülle seines Inneren« entspringt. – Natürlich gehört zur »Fülle seines Inneren« nicht nur die Begabung, sondern auch das, was er gelernt hat.

Die gründliche Durcharbeitung der Kompositionen des Weiß-Aue verweist auf seine Ausbildung (1929–1933) als Textilzeichner an der »Staatlichen Zeichenschule  für Textilindustrie« in Schneeberg. Denn der geübte Textilgestalter wird, wenn er ein Künstler ist, die eingeübte Gestaltung der definitiv endlosen Rapporte auf der begrenzten Bildfläche als dramatische Herausforderung erleben und daraus eine Komposition erschaffen. Diesen Weg von der infiniten Textilgestaltung zur Gestaltung der Bildfläche als Forma finita war auch Otto Müller-Eibenstock gegangen. Um ihn bildete sich etwa 1950 ein Kreis von Hörern. Er hatte Vorträge für die Volkshochschule Eibenstock ausgearbeitet, die er dann für einen Freundeskreis in der eigenen Wohnung hielt. Dieser Rückzug ins Private war damals in der DDR, weil das Hauptthema »Abstrakte Kunst« hieß, notwendig.

Dabei zeigte er, der in den 20-Jahren mit William Wauer und Kurt Schwitters befreundet war, den Hörern, die dann Freunde wurden, die Zeitschrift »der Sturm« und andere Dokumente aus seiner reichen Sammlung. Er machte sie auch mit den Werken und Theorien des ,,Bauhaus« bekannt. Er hielt (durch Typoskripte dokumentierte) Vorträge über Kunst- und Kulturgeschichte und Kunsttheorie.

Die Photographie vom Sommer 1956 zeigt diesen Freundeskreis im Haus der Ilse Stölzel, mit einer Ausstellung der Werke von Müller-Eibenstock, nur für diesen Kreis organisiert. Man sieht die Künstlerfreunde Hans Weiß-Aue und Helmut Humann nebeneinander stehen. Der dritte in ihrem Bunde, der hervorragende Bildhauer Paul Reich, hatte 1954 aus der DDR fliehen müssen. Die strengen Regeln, nach denen Müller-Eibenstock seine Bilder gestaltet und die er gelehrt hat, können beispielhaft an den beiden Bildern hinten an der Wand erläutert werden. Das linke hat den Titel »Häuser«, das rechte den Titel »Gebirgsdorf«.

In dem linken Bild kann man ablesen, wie zu jeder Bewegung, diagonal oder orthogonal, eine Gegenbewegung gehört, und wie durch Wiederholungen ein Rhythmus entsteht, wie die Darstellung sich in unserem Bewußtsein umwandelt von einer gegenständlichen in eine abstrakte Komposition. WIr haben hier eine ornamentale, durchaus textil wirkende Flächengestaltung vor uns. Das rechte Bild ist nach den gleichen Regeln durchgestaltet. Es ist dynamischer durch die stärkeren Schrägen, spannungsvoll durch die außermittige Senkrechte, gebildet durch den Kirchturm.

Diese Ästhetik einer zweckfreien Gestaltungsweise, eines »autonomen Kunstwerkes«, wie Konrad Fiedler (1841–1891) sagte, wurde, wie wir uns erinnern, in der DDR-Kulturpolitik als idealistisch formalistisch, westlich-dekadent, vom Klassenfeind ausgehend, bezeichnet. – Als dem dialektischen Materialismus entsprechenden Kunstideologie wurde bekanntlich der »Sozialistische Realismus« bezeichnet. Daher waren die Leute um Müller-Eibenstock mehr als ein Freundeskreis. Es war eine verschworene Gemeinschaft. – Und es ist mein Anliegen, diesen Kreis als Teil des Geisteslebens jener Zeit in Erinnerung zu rufen.

Von den drei Künstlerfreunden Humann, Weiß-Aue und Reich hat letzterer die Gestaltungsweise und das Wissen des Müller-Eibenstock zweifellos am stärksten verinnerlicht. Und er hat mir sein Wissen vom Beginn unserer Freundschaft an, seit 1952 in zahllosen Gesprächen weitergegeben. Helmut Humann hat gemeinsam mit Müller-Eibenstock nach dessen Regeln von Bewegung und Gegenbewegung ein abstraktes Bild gemalt. Man sieht also, wie Müller-Eibenstock in jeder Weise bereit war, sein Wissen und Können weiterzugeben.

Was seinen Einfluß auf Hans Weiß anbelangt, so gibt es dafür keine unmittelbaren Zeugnisse. – Mittelbare aber sind einige Holz- und Linolschnitte. Sie zeigen eine sichere Kompositionsweise, wie sie eben nur aus der Denkweise des Kreises um Müller-Eibenstock entstehen konnte. Denn etwas Ähnliches gab es sonst im Erzgebirge zu jener Zeit nicht. Wie die Ikonologie von Aby Warburg (1886–1929) lehrt, gibt es kein künstlerisches Tun ohne Vorbild.

Im Anklang an Warburgs ikonologische Methode werde ich hier an Beispielen zeigen, wie Weiß-Aue die Kompositionsweise des Müller-Eibenstock verinnerlicht und angewendet hat:

Betrachten wir den Linolschnitt »Haus im Wald«, dann stellen wir fest, dass so keine Wolken aussehen und keine Wiese vor dem Haus, dass so keine Wände gebogen sind. Aber so sieht eben eine Flächenkomposition mit geschwungenen Linien aus! – Soweit ist sogar Müller-Eibenstock in der Verformung der wahrnehmbaren Wirklichkeit nicht gegangen. Man verfolge nur die Wurzeln des Stammes und die Äste des kahlen Baumes, wie sie mit den anderen Bildelementen geradezu textil verwoben sind. Baum Haus und Wolken sind Bestandteile der gleichen Flächen. So entsteht :für das Auge des Kenners nach Kurt Leonhard (1910–2005) diese angenehme »flache Tiefe«. Jede Stelle dieses Bildes ist zum Staunen!

In dem Linolschnitt »Bärenstein« gibt es keine irritierende Deformierung. Hier könnten wir uns eigentlich der Betrachtung der dem Erzgebirgler bekannten Landschaft widmen. Und doch ist es nach den gleichen Regeln gestaltet wie das vorherige Bild. Die Wolken und die Flächen im Vordergrund haben die gleiche Linienstruktur. Dazwischen gibt es schwarze Streifen auf weißem und weiße Streifen auf schwarzem Grund, und immer in gleicher Maßstäblichkeit. – Wie die Fichten mal weiß auf schwarz, mal schwarz auf weiß, ganz selbstverständlich herausgearbeitet sind, das ist raffiniert! Der an Cezanne geschulte Kenner hat wieder ein Bild der »flachen Tiefe« vor sich. Trotzdem hat der Laie für seine Vorstellung vom Bärenstein ein prägnantes Zeichen bekommen.

Der Linolschnitt »Am Feldrand« ist wieder von einer Kühnheit, wie ich sie bei Müller-Eibenstock nie gesehen habe. Wie hier die Löwenzahnblätter im Vordergrund mit den 30 m weiter hinten stehenden Häusern in eine Flächenkomposition gebracht sind, ohne billige Angleichung, mit durchaus ornamentalen Zonen, das ist die aus dem Experiment entstandene, anjeder Stelle überraschende Komposition des Weiß-Aue.

Der Linolschnitt von »Aue«, wo er geboren und gestorben ist, hat alle beschriebenen Eigenschaften einer Landschaftskomposition mit flacher Tiefe, mit dem raffinierten Austausch von positiv-negativ. – Es ist also, nach den festgestellten Regeln, eine moderne Flächenkomposition. – Wer als Künstler seine Stadt in unzähligen Erlebnissen verinnerlicht hat, ist imstande, mehr darzustellen als nur das Gesehene, mehr zu bieten, als eine raffinierte Komposition. Max Bense, der große Stuttgarter Rationalist scheute sich nicht, an entsprechender Stelle von einem metaphysischen Gehalt eines Kunstwerkes zu sprechen. Das ist eine künstlerische Qualität, die wir einigermaßen benennen, die wir aber nicht rational erklären können. Das ist in unserem Falle die nur von dem Künstler Weiß-Aue mit dem Gemüt erfühlte Heimat, die in sein Werk eingeht. Dieser metaphysische Gehalt von Heimat im Kunstwerk, :für den es in der Kunsttheorie offensichtlich noch keine Bezeichnung, noch keinen Begriff gibt, begegnet uns in der Kunstgeschichte als Phänomen immer wieder. An drei weltbekannten Beispielen soll dieses Phänomen hier vorgestellt werden:

»Die 36 Ansichten des Fuji-jama von Hokusai (1760–1849) transzendieren das Seherlebnis des Künstlers hin zum universalverständlichen Kunstwerk. Wir Europäer sind von den Blättern des Japaners ergriffen.

Die Tondichtung »die Moldau« von Friedrich Smetana (1824–1884), als patriotisches Bekenntnis zur Heimat geschrieben, läßt uns mehr erahnen als die Instrumentierung wahrnehmen läßt: den metaphysischen Gehalt seiner Heimat.

Die »Aufzeichnungen eines Jägers« von Iwan Turgenjew (1818–1883) ergreifen den Leser unmerklich, so dass er sich nach einiger Zeit frägt, was es denn ist, das ihn an den gar nicht so spannenden »Aufzeichnungen« fesselt. – Es ist die aus dem Gemüt des Künstlers herausgearbeitete, uns eigentlich nicht verstehbare Liebe für eine Landschaft, in der wir wohl nicht leben wollten.

So gibt es in unserem Wohnzimmer in Schönaich hängend einen Holzschnitt von Weiß-Aue, der den Fichtelberg mit je einer Fichte links und rechts zeigt. Dieses im Format kleine Werk ergreift den kunstsinnigen Betrachter, auch wenn er das Erzgebirge nicht kennt.

Es gibt also im Gemüt fast jedes Menschen dieses nicht näher bestimmbare Heimatgefühl.

Und es gibt das Wissen darüber, dass der Fremde ebenfalls sein Heimatgefühl haben kann.

Und dann gibt es Künstler, die ihr Heimatgefühl in ihrem Werk dergestalt mitteilen können, dass auch der Fremde davon ergriffen wird.

Die beispielhaften Namen dieser (und hier gebrauche ich den Begriff mit Ehrfurcht) dieser Heimatkünstler habe ich genannt: Hokusai, Smetana, Turgenjew und Weiß-Aue.

Über die Photo graphie sollte ichja eigentlich hier sprechen. Gesprochen habe ich aber über den Photo graphen, und das ist eben der Künstler Weiß-Aue, um den es hier geht. Und am besten wie ich meine, anband seiner Linol- und Holzschnitte erklärbar.

Betrachten wir einmal das Photo, das Steffen Meyer und Alexander Stoll für die Einladungskarte ausgewählt haben. – Man glaubt als Betrachter, einen solchen Ausschnitt jederzeit selber finden zu können. Aber, man beachte, wie auf die Schräge im Vordergrund sofort die Schräge des abgeschnittenen Weges antwortet, wie da Schräge auf Gegenschräge die ganze Komposition rhythmisieren. Der Weg darf natürlich nicht auf den unteren Bildrand enden! Jedes Detail scheint vom Künstler selbst hineingesetzt zu sein. Da wirkt die Gewohnheit und die Erfahrung als Landschaftszeichner, der, bevor er sich für drei Stunden hinsetzt, den Ort :für seine Arbeit mit Bedacht wählt.

Der Schatten an dem Hang passt so genau in die Komposition, dass wir annehmen können, der Photograph habe gewartet, bis er dorthin gewandert ist. Weiß-Aue hat diesem Tal von Sosa mit dem Auersberg eine über den Tag hinaus idealtypische Gestalt verliehen.

Es geschieht wohl sehr selten, dass das photo graphische Werk eines Künstlers seinem malerischen so nahe kommt.

Hans Weiß-Aue verwandelt für uns mit seinen Photos vom Erzgebirge die Ahnung von der Gestalt unserer Heimat in eine betrachtbare, ja diskutierbare Gewissheit.

Karl Herrmann

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