Essay

Erinnerung an Ruth von Mayenburg

Im Sommer 1937 wandte sich der in Moskau lebende Ernst Fischer, Publizist und Beauftragter der KP Österreichs bei der Komintern aus Sorge um seine junge, schöne Frau Ruth im Beisein von Georgi Dimitroff an Semjon Petrovitch Uritzki, den Chef der GRU, der Hauptabteilung Aufklärung der Roten Armee. Ruth war in deren Auftrag konspirativ in Deutschland unterwegs und hatte hier unter anderem auch Kontakt zu Generaloberst Kurt von Hammerstein-Equord, der die nationalsozialistische Politik ablehnte und den Rücktritt von seinen Funktionen in der Reichswehr vollzogen hatte. Ernst Fischer war der Meinung, dass die Gestapo wissen müsse, dass Ruth von Mayenburg seine Frau sei und durch ihn, den Kominternfunktionär und entschiedenen Antifaschisten, in ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeit gefährdet sei. Sie solle wie er lieber für die Komintern arbeiten. Ruth, die bei dieser Unterredung zugegen war, bekräftigte, dass sie selbst keine Angst habe. Uritzki argumentierte, dass die Arbeit für die Rote Armee wichtiger sei, denn »am Ende wird es die Rote Armee sein, worauf es ankommt. Alles werden wir zu tragen haben … dass Sie in der Komintern arbeiten, ist für Ihre Frau nicht gut. Aber die Arbeit Ihrer Frau ist wichtiger, verzeihen Sie.« Uritzki setzte sich durch, Ruth, die nur auf Urlaub gekommen war, reist wieder ab. Wochenlang hörte Fischer nichts von seiner Frau. Als er auf dessen geheimer Telefonnummer Uritzki anrief, meldete sich dort eine Frauenstimme: »So einen gibt es bei uns nicht.« Dann war die Verbindung unterbrochen. Wie Fischer erfuhr, war nicht nur Uritzki, der diesen Dienst von 1935 bis 1937 leitete, sondern die ganze Arbeitsgruppe vom NKWD verhaftet worden. Ruth, die sich zu Weihnachten aus Deutschland meldete, war die einzige dieser Gruppe, die die »Säuberungen« des Jahres 1937 überlebte.

Ruth Wieden, wie sie sich seinen Decknamen annehmend nun nach der Heirat mit Ernst Fischer nannte, um ja nicht wie die in Ungnade gefallene ehemalige KPD-Vorsitzende Ruth Fischer zu heißen, konnte jetzt mit ihren Mann gemeinsam im legendären »Hotel Lux« leben, wo Ernst, von dem sie einige Jahre aus konspirativen Gründen geschieden war, schon seit längerem wohnte. Vor dieser Heirat war es verboten gewesen, ihn in seinem Zimmer im »Lux« zu besuchen. Sieben Jahre sollte Ruth nun in dem Hotel wohnen, das fünfundzwanzig Jahre lang als das »Absteigequartier der Weltrevolution« galt.

Das mächtige Haus, 1911 von einem Bäcker als Hotel in der Twerskaja Uliza erbaut, wurde 1921 als Gästehaus für den »Generalstab der Weltrevolution«, die 1919 gegründete Kommunistische Internationale, requiriert. Viele der prominenten Persönlichkeiten des internationalen Kommunismus hatten hier in der nunmehrigen Maxim-Gorki-Strasse 10 gelebt, für andere war es ein Refugium nach der Flucht vor dem Faschismus. Ruth hat sie alle gekannt, vor allem Kurt Funk, mit dem Ernst Fischer befreundet war. Nach dem Kriege traf sie Funk wieder, dieses Mal als SPD-Funktionär unter seinem richtigen Namen Herbert Wehner. Sie lernte Georgi Dimitroff ebenso kennen wie Ho Tschi Minh, Mátyás Rákosi, Palmiro Togliatti, Dr. Richard Sorge, Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Richard Slanský, Tschou En-lai und viele, viele andere mehr.

Ruth von Mayenburg wurde 1907 als Tochter eines adligen Bergwerksdirektors im damaligen Teplitz-Schönau geboren, durchlief das Lyzeum, lebte in einem Mädchenpensionat und studierte nach der Matura in Dresden Architektur. Dieses Studium setzte sie in Wien fort, wo sie Kontakte zu linksintellektuellen und sozialistischen Zirkeln bekam. Hier lernte sie auch den ausdrucksstarken Feuilletonredakteur der sozialdemokratischen »Arbeiterzeitung« Ernst Fischer kennen, den sie 1932 heiratete. Das Ehepaar reiste nach Deutschland und besuchte Ernst Toller und Erich Mühsam. Der leidenschaftliche Anarchist, dem sie gebannt zuhörten, sollte ein Jahr später von den Nazis ermordet werden. Wegen ihrer linken Aktivitäten wurde Ruth von der Universität verbannt. Als beide Fischers am Aufstand des sozialdemokratischen Schutzbundes gegen das Dollfuß-Regime teilnahmen, floh Ruth nach dessen blutiger Niederschlagung in die Tschechoslowakei. Ernst Fischer, der bei dem guten Freund des Ehepaars Elias Canetti untertauchen konnte, folgte Wochen später nach. Hier, in Prag, traten beide der illegalen Kommunistischen Partei Österreichs bei und konnten dann, weil die Sowjetunion 300 Schutzbündler eingeladen hatte, dorthin emigrieren. Am 1. Mai nahmen sie schon an der grossen Demonstration auf dem Roten Platz teil. Die Partei schickte sie wieder zur illegalen Arbeit nach Prag zurück. Danach wurde Ernst Fischer Vertreter der KPÖ bei der Komintern. Ruth war inzwischen von einem österreichischen Kommunisten für die sowjetische Militäraufklärung angeworben worden, bei der sie es bis zum Rang eines Majors brachte. Sie erfüllte ihre Aufträge in Berlin ebenso wie im faschistischen Italien und in der Türkei. Ruth machte schon früh die sowjetischen Dienststellen auf die geheimnisvollen Baumaßnahmen der Deutschen in der Heeres-Versuchsstelle Peenemünde aufmerksam, wo später die berüchtigten V2-Raketen entwickelt wurden.

1938, als Ruth endgültig nach Moskau zurückkehrte, war die grosse Säuberungswelle, die auch das Hotel Lux erfasste und von der »Partei der Hingerichteten« (Rogowin) weitere Opfer forderte, im Abklingen. Die Angst aber blieb. Die eigenen Biographien wurden immer wieder überdacht. Hat es irgendwelche Kontakte zu den jetzigen Parteifeinden gegeben? Ruth stellte mit Erschrecken fest, dass sie ihre Kenntnisse über die Oktoberrevolution und die Sowjetunion den Büchern Trotzkis zu verdanken hatte. Ununterbrochen aber verkündete die stalinistische Propaganda, der Trotzkismus sei konterrevolutionär. Die führenden Bolschewiki wurden unter dem Vorwand umgebracht, sie seien Handlanger Trotzkis gewesen. Dieser wiederum wäre der Verbündete Hitlers geworden. War dann niemand auf die Idee gekommen, dass es Stalin war, der einen Pakt mit Hitler einging, nicht Trotzki? Er, von dem sie so viel gehört hatte, weil doch jeder mal bewundernd zu ihm aufgeschaut hatte, erschien ihr sogar im Traum. Aber sie blieb unbehelligt, erst später begriff sie, dass Uritzki sie ins Ausland geschickt hatte, weil er meinte, dort wäre sie weniger in Gefahr als in Moskau.

Im Krieg, im Zuge der unmittelbaren Bedrohung Moskaus durch die deutsche Wehrmacht, wurden die Einwohner des »Lux«, so sie keine Funktionen bei der Abwehr der Okkupanten hatten, nach Ufa in die Baschkirische ASSR evakuiert. Endlich aber wurde auch Ruth wieder gebraucht. Als Dolores Ibárruri über den Sender Ufa ihren berühmten »Appell an die Frauen der Welt« richtete, wurde die deutsche Übersetzung von Ruth gesprochen, die das mindestens ebenso leidenschaftlich machte wie La Pasionaria. Die Politische Hauptverwaltung der Roten Armee setzte Ruth an der Front ein. Sie versuchte, auf gefangen genommene deutschen Soldaten einzuwirken und wertete erbeutete Feldpost aus. Hier entstanden auch die Kontakte zum Nationalkomitee Freies Deutschland.

Nach Kriegsende kehrte das Ehepaar Fischer sofort nach Österreich zurück, beide stürzten sich mit Feuereifer in die politische Arbeit. 1954 ließen sie sich scheiden und wandten sich neuen Partnern zu. Ruth von Mayenburg trennte sich langsam vom Kommunismus, aus der Partei ist sie dennoch nie ausgetreten. Sie bezahlte, wie ihre Tochter über den Nachlass später feststellte, einfach keine Beiträge mehr.

1969 erschien ihre Autobiographie »Blaues Blut und rote Fahnen«, 1978 ihr Buch über das Hotel Lux. 1991 reiste Ruth von Mayenburg mit dem Regisseur Heinrich Breloer nach Moskau, der ihre Kenntnisse für seinen Film »Wehner – die unerzählte Geschichte. Teil 1: Hotel Lux« nutzen konnte. Es war ihre erste und letzte Reise nach dem Krieg nach Moskau, 1993 verstarb sie in Wien.

Die älteren Ausgaben ihres Buches über das Lux sind längst vergriffen. In diesem Buch hat sie auch von der Kommunistischen Internationale und ihren Akteuren berichtet. Auch die vielen von ihr erzählten Episoden sind Mosaiksteine, die das grosse Bild dieser weltumspannenden Organisation farbiger machen. Mehr noch: Sie machen Geschichte lebendig. Deshalb ist es verdienstvoll, dass der Elisabeth Sandmann Verlag das Buch neu aufgelegt hat, ergänzt um einen einleitenden Bericht über die Dreharbeiten in Moskau und einen Anhang mit ausgezeichnet elaborierten Kurzbiographien. Schade nur, dass die von S. P. Uritzki fehlt, dem Mann, dem von Mayenburg offensichtlich ihr Überleben zu danken hat.

»Aus Dokumenten ist die Geschichte nicht einfach abzulesen« zitiert Rainer Zimmer im Nachwort des Buches. »Wie wahr« muss man nach der Lektüre dieser grossen Erzählung immer wieder sagen!

Diese Geschichte des »Hotel Lux« hat übrigens und zum Glück nichts mit dem gleichnamigen Film von Leander Haußmann zu tun. Nicht weil es unschicklich wäre, auf dem Boden des Tragischen eine Komödie anzusiedeln, sondern weil das den notwendigen Blick zurück versperrt. So erinnert auch keine Gedenktafel daran, was das riesige Gebäude einst war. Die Straße, in der es sich befindet, heißt auch längst wieder »Twerskaja«.

Werner Abel

Die Abbildungen entstammen dem besprochenen Band.

 

Information

Ruth von Mayenburg: Hotel Lux. Die Menschenfalle. Eine Reise – ein Film von Heinrich Breloer. Elisabeth Sandmann Verlag München o.J., 483 Seiten, 24,80 Euro

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