Rezension

LESERSTIMMEN ZU »HABEN SIE DAS ALLES GELESEN?«

2014 erschien im Mironde Verlag »Haben Sie das alles gelesen? Ein Buch für Leser und Sammler«. Die beiden Herausgeber Klaus Walther und Dieter Lehnhardt ließen 14 weitere, bedeutende Sammler zu Wort kommen, um zu begründen, warum sie 20.000, 30.000 oder mehr Bücher zu Hause aufbewahren. Die Fotos von den Sammlern und ihren Sammlungen stammen von Dieter Lehnhardt. In den letzten Tagen gingen zwei Leserbriefe ein. Diese möchten wir Ihnen gern zugänglich machen, obwohl die Auflage fast vergriffen ist.
Seite aus dem besprochenen Buch
Ich finde das Buch in jeder Hinsicht gelungen. Es ist so unkonventionell, wie es nur sein kann und soll und bietet somit ein breites Spektrum dieses doch sehr speziellen Sammelgebietes. Jeder Sammler geht zurecht von seinem eigenen Standpunkt aus, der eine von einem eher theoriekritischen Ansatz, der andere von seinem persönlichen. Das bringt natürlich spannungsreiche Abwechslung und interessante Einsichten in bislang fremde Sammlerwelten, mithin auch erwünschte Anregungen für den geneigten Leser.
Ein bemerkenswerter Einfall der Herausgeber ist die Vorstellung von öffentlichen Bücherstätten und insoweit besonders dankenswert die Angabe von Öffnungszeiten und Telefonnummern.
In der äußeren Gestaltung gefällt mir das zum Druck verwendete feste, durable Papier ausnehmend gut.
Nach alledem konstatiert man gern: nur weiter so!
Axel Fürst
Seite aus dem besprochenen Buch

Sechzehn Büchersammler stellen ihre Bibliotheken vor und schildern eindrucksvoll, oft sehr persönlich, immer voller Enthusiasmus, die Entstehungsgeschichte ihrer Sammlung. Von den ersten Bänden, oft aus ihrer Jugend. Von der Entdeckung ihrer Lieblingsautoren, aus welchen Epochen auch immer. Von der Jagd nach interessanten Ausgaben, bibliophilen Kostbarkeiten. Vom Reiz der Komplementierung. Vom Kampf um immer neue Regalflächen (es gibt überall noch ein halbes Meterchen). Bis hin zu der Entscheidung: »Jetzt muss dann Schluss sein – oder vielleicht …« Ein Highlight des Buches sind die Abbildungen. Die Sammler haben die Türen zu ihren Bibliotheken für den Fotografen geöffnet. Die doppel- und ganzseitigen Farbbilder zeigen ihre Schätze. Und diese Darstellungen sind Offenbarungen! Von millimetergenau geordneten Buchwänden (Epoche, Größe, Farbe, Ausstattung etc.) bis hin zum »geordneten Chaos«:  kein System erkennbar, Bücher gestellt, gelegt, quer einsortiert, Taschenbücher neben Hardcover-Gesamtausgaben, Bildbände neben Reclam-Heften. Sicher ist nur: Auch dieser Sammler findet sein gesuchtes Buch mit einem Griff. Eine Anmerkung von Hans-Joachim Gelberg hat mir (auch ein Sammler) besonders gut gefallen: »Die eigene Bibliothek, egal wie umfassend, ist handverlesen und zweifellos gegen den Tod gerichtet. Wer Bücher verwahrt, will nicht sterben, er will lesen.«

Toni P. Schekke
Ergänzender Kommentar
Im Börsenblatt 12/2018 vom 22.3.2018, herausgegeben vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V., berichtet Tamara Weise von der Analyse des rückläufigen Verkaufszahlen von Büchern durch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Robert Kecskes, Senior Insights Director bei der GfK, habe seinen Vortrag unter den »Die Digitalisierung und das Geistesleben« – in Anlehnung an den Vortrag »Die Großstädte und das Geistesleben« des Soziologen Georg Simmel von 1903 gestellt. In einen großen Bogen habe er die Käufergenerationen von 1945 – bis in die, wie er sie nannte, »Fluide Moderne der Gegenwart« beschrieben. »Fluid« deshalb, weil sich Grenzen und Bindungen sukzessive auflösten. Weil sich das Leben der jungen Generation »verflüssige«, Beziehungen, egal welcher Art, immer unter Vorbehalt stünden, es eine Inflation der Möglichkeiten gebe. »Besitz verliert da seinen Reiz«, habe der Marktforscher erklärt. Doch Kontemplation und Kreativität verbänden die Menschen auch heute noch mit dem Buch. Kecskes sei deshalb überzeugt, dass Bücher Zukunft haben – und zwar als reale, nicht-digitale Rückzugsorte.
Soweit der Artikel aus dem Börsenblatt.
»Verflüssigung« des Lebens heißt auch Auflösung bestehender Verhältnisse. Dieser Prozess ist nur noch schwer zu übersehen. Zudem sind »Besitz« und »Eigentum« unterschiedliche Dinge. Eigentum hat etwas mit praktisch-geistiger Aneignung von Natur und Kultur zu tun. Besitz ist eine Voraussetzung von Aneignung. Aber Besitz ist kein Selbstzweck, das bloße »haben wollen«, wie es die PR-Macht des Konsums diktiert, ist eine Sackgasse. »Haben und Nichthaben« (Erich Fromm) ist das Thema des 21. Jahrhunderts. Aber was heißt »Inflation an Möglichkeiten«? Doch wohl auch unsere Unfähigkeit auszuwählen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Johann Gottfried Herder meint, dass der Mensch eine Waage in sich trüge und sich immer entscheiden müsse, trotz äußerer schicksalhafter Bedingungen. Richtig ist: wer sich heute nicht entscheiden kann, der ist erst recht verloren.
Was wird von den rund 90.000 jährlichen Buchneuerscheinungen bleiben? Ein Blick in die Büchersammlungen und Antiquariate belehrt uns, dass das, was bleibt, keiner politischen Opportunität oder Bestsellerlogik folgt. Nur wenige Bücher werden letztlich den Sammlerkriterien entsprechen.
Zu recht verbinden Menschen die Möglichkeit der Kontemplation und der Phantasie mit echten Büchern und nicht mit Bildschirmen. Warum? Andreas Eichler begleitete die beiden Herausgeber von »Haben Sie das alles gelesen?«, Klaus Walther und Dieter Lehnhardt, bei zahlreichen Buchvorstellungen und Diskussionen mit Autoren. Er versuchte das Fazit in einem kleinen Bändchen mit dem Titel »Innokonservation. Ein Dialog über Herkunft und Zukunft des Buches.« zu dokumentieren. Als Darstellungsform wählte er den Dialog zweier Männer beim Gang über die Buchmesse Wien. Am Ende steht die von vielen Sammlern geäußerte Beobachtung, dass ihre Bücher aus den Regalen heraus eine Wirkung auf sie ausüben. Professor Reiner Speck nannte dies eine »osmotische Wirkung«. Dem Anschein nach bedürfen wir der Büchersammlungen wegen deren Vergegenständlichung menschlichen Geistes. In den traditionellen Bücher ist der Geist unserer Sprache auf individuelle Weise sinnlich fassbar. Digitalisierung setzt menschlichen Geist voraus. Die traditionellen Bücher werden ein wichtiges Medium der Überlieferung menschlichen Geistes, der Tradition, der Konservation, und gleichzeitig Quelle der Anwendung menschlichen Wissens, der Innovation bleiben. Das eine ist nicht ohne das andere möglich. Die Büchersammler gehören zur innokonservativen Avantgarde der Humanität.
Johannes Eichenthal
Information
Klaus Walther/Dieter Lehnhardt: Haben Sie das alles gelesen?
Ein Buch für Leser und Sammler.
366 Seiten, 12,5 × 21,5 cm, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen, zahlreiche farbige Fotos. VP 29,90
ISBN 978-3-937654-80-5
Andreas Eichler: Innokonservation – Ein Dialog über Herkunft und Zukunft des Buches
2. veränderte und überarbeitete Auflage
14,0 × 20,5 cm, 64 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen
10 Kalligraphien von Birgit Eichler, VP 11,00 €
ISBN 978-3-937654-90-4
Über jede Buchhandlung oder direkt beim Verlag bestellbar.

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