Am 23. April hatte die Stadtbibliothek Burgstädt zu einer Lesung aus Anlass des 90. Geburtstages des Schriftstellers Hermann Heinz Wille eingeladen. Siegfried Arlt erinnerte an den Lebensweg des am 1. Juni 1923 in Chemnitz geborenen gelernten Maschinenschlossers und Konstrukteurs. Nach seiner Desertion von der Wehrmacht leitete er eine Gemeindebibliothek, engagierte sich im Kulturbund und in der Goethe-Gesellschaft. Als freier Schriftsteller widmete er sich ab den frühen 1950er Jahren einem breiten Themenspektrum, von Kinderbüchern über Romane, Reisebeschreibungen bis hin zu wissenschaftlichen Sachbüchern. Siegfried Arlt berichtete über gemeinsame Erlebnisse in der Goethegesellschaft. Im Jahre 2002 verstarb Heinz-Hermann Wille.
Für die Lesung hatte Siegfried Arlt den historischen Karl-Stülpner-Roman »Der grüne Rebell« von 1956 ausgewählt. In einigen Auszügen vermittelte er in einer szenische Lesung eine Vergegenwärtigung des Textes im Kopf der Hörer.
Arlt las derart eindrucksvoll, dass selbst die nüchterne Schilderung des Lebensendes Stülpners durch Wille manch einen an diesem Abend fast zu Tränen rührte.
Gudrun Wille, die Witwe des Autors, hatte an diesem Abend eine Auswahl der Werke ihres Mannes präsentiert und dankte Siegfried Arlt für sein Engagement.
Haupttor von Schloss Scharfenstein
Schon auf der Heimfahrt entschlossen wir uns zu einer Neulektüre des »Grünen Rebellen«. Im Nachhinein fällt uns auf, dass der Autor eine besondere Nähe zu Karl Stülpner entwickelte, sich vielleicht sogar mit ihm identifizierte. Der Sohn aus dem einfachen Volk aus dem Erzgebirge, das in der Folge der verheerenden Niederlage gegen die preußischen Aggressoren und eines sich vollziehenden wirtschaftlichen Umbruches eine bittere Armut erlebte, versuchte sich als Mensch zu emanzipieren. Er wurde immer wieder zurückgeworfen, durch den Großknecht, den Rittergutspächter und besonders durch den Thumer Gerichtsrat Günther, der die Freudlosigkeit seines Lebens mit drakonischer juristischer Härte kompensierte, aber auch durch eigene Fehlentscheidungen. Wille zeigt besonders eindringlich Stülpners absurde Erlebnisse in der Königlich-Sächsischen Armee, deren Offiziere an alles andere dachten, nur nicht an die Verteidigung des Vaterlandes. Die Flucht aus einer unrechtmäßigen Inhaftierung wurde zur Desertion. Alle Versuche Stülpners zur Wiedergutmachung scheiterten. Auch Alexander Graf von Einsiedel und dessen Sohn August, die Wille im Roman auftreten lässt, vermögen nicht Stülpner aus dem Räderwerk der Beamtenmaschinerie zu befreien.
Am Ende ist der alte, kranke und blinde Stülpner einsam und isoliert. Die Obrigkeit lässt selbst sein Buch mit Lebenserinnerungen von 1835, auf dessen Verkauf er am Lebensabend hoffte, beschlagnahmen und vernichten. Sein Schwiegersohn will nichts mehr von ihm wissen. Auch die, denen er einst selbstlos half, lassen ihn am Ende im Stich. Der Stülpner-Mythos entstand bei Stüplners Zeitgenossen vielleicht auch aus einer Kompensation der eigenen Unfähigkeit, der Fehlleistungen und des Versagens.
Das ehemalige DKK-Werk in Scharfenstein wurde auf den Fundamenten einer ehemaligen Spinnmühle errichtet
Hermann Heinz Wille ist der erste Stülpner-Biograph, der die Herrschaftsfamilie von Einsiedel in die Darstellung einbezog. Gewiss basierte die Grundherrschaft auf der Arbeit der Bauern, Gärtner und Häusler. Schon als Kind musste Stülpner hart für die Herrschaft arbeiten. Gleichzeitig wurde in der anbrechenden industriellen Revolution und erst recht nach 1789 deutlich, dass eine Grundherrschaft in Sachsen so nicht mehr funktionieren kann. Es kam zu Bauernaufständen und zu geistigen Auseinandersetzungen innerhalb von Adel und Klerus. Es spricht für die Familie von Einsiedel auf Scharfenstein, dass neue Technologien in der Landwirtschaft erprobt wurden, um die Erträge zu erhöhen. Eine Spinnmühle wurde an einer an Wasserkraft reichen Stelle des Zschopau-Flusses unter Beteiligung der Familie von Einsiedel errichtet, um Arbeit und Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. Zugleich entstanden Räume für Kinderbetreuung und Schulunterricht.
Johann August von Einsiedel, der solche Neuerungen einführte, war 1754 in Lumpzig geboren worden, trat in holländischen Militärdienst, kam 1777 erstmals nach Weimar, freundete sich mit Johann Gottfried Herder und Johann Wolfgang Goethe an, wurde ein Anhänger von Jacques Rousseau, studierte in Göttingen und Freiberg Naturwissenschaften und wurde in Freiberg Bergrat. Er unternahm große Reisen, u.a. 1785–87 durch Afrika, 1801–02 nach Frankreich, und kehrte nach Ilmenau und Jena zurück. Von seinen theoretischen Aufsätzen blieb ein Textkonvolut unter dem Titel »Ideen« im Herderschen Nachlass erhalten.
Johann August von Einsiedel nahm mit seiner Frau Emilie (geschiedene von Werthern, geborene von Münchhausen) Anfang des 19. Jahrhunderts in Scharfenstein den Wohnsitz. Er verstarb am 8. Mai 1837 in Scharfenstein. Eine Grabstätte ist nicht erhalten. An der Stelle der Spinnerei wurde später das bekannte Kühlgerätewerk errichtet. Aber auch dieses Bauwerk existiert heute nicht mehr.
Wir müssen Hermann Heinz-Wille dankbar sei, dass sein Buch uns zum Weiterdenken anregt. Was will man mehr?
Johannes Eichenthal
Anmerkung des Redaktors
Johannes Eichenthal ist ein junger Mann, der keine ewigen Wahrheiten verkünden, sondern zur Diskussion anregen will. Er glaubt, dass verbindliche Diskussionen um wesentliche Fragen unseres existenziellen Sinns heute fehlen. Sinnstiftung ist aber ohne Diskurs nicht möglich.
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Information
Hermann Heinz Wille: Der grüne Rebell. Oberbaum-Verlag, Berlin 1997.
ISBN 3-928254-58-8 (Wahrscheinlich nur noch antiquarisch erhältlich.)