Schüttoff
Reportagen

100 JAHRE SCHÜTTOFF

Am Nachmittag des 5. November wurden mit Grußworten von Thomas Schüttoff und einem Vortrag von Gerold Trautner im Sächsischen Fahrzeugmuseum in Chemnitz wichtige Akzente in der Sonderausstellung „Präzision aus Chemnitz. 100 Jahre Schüttoff“ gesetzt.

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Dirk Schmerschneider, der Leiter des Fahrzeugmuseums, begrüßte um 14.15 Uhr das Fachpublikum – alle die in Chemnitz ein Herz für technologische Kreativität besitzen waren erschienen – in der bereits am 22. Oktober eröffneten Ausstellung. Er dankte allen Leihgebern und Unterstützern, ohne die die Ausstellung nicht möglich geworden wäre. Das Fahrzeugmuseum präsentiert alle Modellvarianten, die bei Schüttoff jemals gebaut wurden. Lediglich ein Exemplar des Schüttoff Modells H aus einem Münchener-Museum wurde nicht ausgeliehen. Das ist bedauerlich, da der Kurator des Museums kein Problem gesehen hatte. Dem Anschein nach war es der Müchener Amtsschimmel, der hier wieder einmal wieherte …

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Im Anschluss begrüßte Thomas Schüttoff, der Urenkel des Firmengründers Arthur Schüttoff, die Gäste. Er vermochte einige persönliche Erlebnisse und Erinnerungen vorzutragen. Zum Beispiel durfte er in der Jugend kein Zweitakt-Moped fahren. „Ein Schüttoff fährt keinen Zweitakter!“ – meinte der Großvater. Dieser Satz drückt dem Anschein nach das Selbstverständnis der Firma aus.

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Gerold Trautner referierte im historischen Kostüm zur Firmengeschichte und präsentierte zahlreiche Fotos und Abbildungen von Schriftstücken. Ebenso warb er für die Veranstaltungen und Ausfahrten des Kreises der historischen Schüttoff-Motorräder.

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Arthur Karl Schüttoff wurde 1882 in Leuben bei Meißen geboren. Er studierte in Zwickau Ingenieurtechnik und arbeitete als junger Mann bei Wanderer in Chemnitz. Von der Wanderer-Produktionsatmosphäre wurde er dem Anschein nach geprägt. Danach arbeitete er bei der Firma Müller & Steinle, in der Nähe des Fahrzeugmuseums, auf der Zwickauer Straße 98–100, einer Reparaturwerkstatt für Horch- und Opel-Automobile, aber auch Werkzeugmaschinenfabrik. Die Firma Müller wurde schließlich liquidiert und im März 1916 in die Firma Schüttoff & Bäßler GmbH umgewandelt. Als auch deren Gesellschafter sich trennten, gründete Arthur Schüttoff seine eigene Firma in der Rößlerstraße 30.

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Ende 1922 nahm die Firma Schüttoff in der Rößlerstraße neben der bisherigen Werkzeugmaschinenproduktion die Motorradproduktion auf. Schüttoff wählte nicht den Weg der „Konfektionäre“, die die Komponenten der Motorräder zukauften, sondern erfolgte den Prinzipien von Wanderer: er stellte in einem aufwendigen Verfahren alle Teile selbst her, verwendete nur sehr gutes Material, beschränkte sich auf Klein- und Kleinstserien und produzierte qualitativ hochwertige, teure Motorräder. 

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Bereits im Jahre 1926 stellten sich erste Rennerfolge der leichten und zugleich robusten Motorräder ein und die Marke „Schüttoff“ erlangte größere Bekanntheit, obwohl die Firma ein regionaler Produzent blieb. Doch die wirtschaftlichen Turbulenzen die im Zusammenhang mit den Reparationsforderungen der westlichen Siegermächte an Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren entstanden und die von den USA ausgelöste Weltwirtschaftskrise von 1929 verschärften die reziproke Abhängigkeit von Stückkosten und Seriengröße. So konnte die Kleinserien-Motorradproduktion von Schüttoff 1930 nicht mehr aufrecht erhalten werden.

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Jørge Skafte Rasmussen war seit 1928 Mehrheits-Aktionär der Firma Schüttoff und schließlich auch Vorsitzender des Aufsichtsrates. Rasmussen war mit DKW einen anderen Weg gegangen. In der Zeit der beginnenden Massenproduktion hatte er auf den einfacheren Zweitakt-Motor gesetzte und zuverlässige wie preiswerte Fahrzeuge für den Massengebrauch produziert. Vereinfachung ist eigentlich auch das Ziel der Technik. Aber selbst dem betriebswirtschaftlich denkenden Rasmussen gelang es 1930 nicht, die Schüttoff-Motorradproduktion vor der Liquidation zu retten.

In einer neu gegründeten Firma, zusammen mit seiner Ehefrau und seinem jüngsten Sohn Kurt setzte Arthur Schüttoff seine Passion für Werkzeugmaschinen und deren Vertrieb in der Straßburger Straße fort. Im Alter von nur 64 Jahren verstarb Arthur Schüttoff 1946.

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Urenkel Thomas Schüttoff (im Hintergrund das Porträt seines Urgroßvaters) und der Fahrzeugbaukenner Frieder Bach vor einem Schüttoff Gespann G 500 mit einem Stoye-Seitenwagen aus Leipzig. Hinter ihnen ein Gespann Schüttoff 350 F mit einem Stoye-Seitenwagen. Dieses Gespann ähnelt dem Fahrzeug, mit dem Hans und Käte Mittenzwei aus Chemnitz beim ersten Sachsenring-Rennen 1927 in Hohenstein-Ernstthal erfolgreich waren. (Leihgeber des Fahrzeuges ist Herr Pfau aus Hohenstein-Ernstthal.)

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Mit der Sonderausstellung „Präzision aus Chemnitz. 100 Jahre Schüttoff“ fügt das Fahrzeugmuseum einen weiteren Mosaikstein in das Bild von Chemnitz ein. Frieder Bach hatte vor Jahren klargestellt, dass mindestens 450 Firmen in Chemnitz und Umgebung an der Fahrzeugentwicklung – vom Fahrrad bis zum Auto – beteiligt waren. Aus diesem Netzwerk eigentümergeführter Familienbetriebe erwuchs die technologische Kreativität. Gleichzeitig vermochte die Vielfalt der Unternehmen und die gegenseitigen Beziehungen politisch verursachte Katastrophen einigermaßen zu überdauern. Heute entstehen in der Oldtimerszene wieder Reminiszenzen an dieses große Erbe. Dort wird Handwerkskunst gelebt und es werden partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen zu Kollegen gepflegt. Dieses Netz von eigentümergeführten Familienbetrieben ist die Grundlage jeder Wirtschaft. Daran erinnert die Ausstellung im Fahrzeugmuseum und dafür gebührt den Aktiven unser Dank.

Clara Schwarzenwald

Information

Die Ausstellung im Sächsischen Fahrzeugmuseum ist noch bis zum 21. Mai 2023 zu sehen.

http://www.fahrzeugmuseum-chemnitz.de

Die Schüttoff-Firmengeschichte ist bei Frieder Bach auf den Seiten 23 ff. im Zusammenhang der Chemnitzer Fahrzeugbaugeschichte nachzulesen.

Frieder Bach: Fahrzeugspuren in Chemnitz. Zur Historie des Chemnitzer Fahrzeugbaus. Teil 1

Überarbeitete zweite Auflage mit einem Geleitwort von Prof. Carl H. Hahn.

23 × 23 cm, 216 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen

etwa 600 zum Teil farbige Fotos und Abbildungen, VP 24,90 €

ISBN 978-3-937654-77-5

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/fahrzeugspuren-in-chemnitz-zur-historie-des-fahrzeugbaues-teil-1

Frieder Bach folgt seit Jahren den Spuren des Chemnitzer Fahrzeugbaues, angefangen von Fahrrädern über Motorräder bis hin zu Automobilen. Dabei geht er bis ins 19. Jahrhundert zurück. Wegmarken sind Namen wie Tuchscherer, Presto, Schüttoff, Diamant, Wanderer, Auto Union, Barkas, Moll-Fahrzeuge, ESWECO, Pöge, Häckel, Riemann, Balaco, VEB Fahrzeugelektrik, Marklin, ALNO, Rasmussens Bootsmotoren, Motap, Oscar Winter, Braunsdorfer Maschinenfabrik, Motorenhaus Köhler; Hofmann & Kühn, Oswald Preußer, Alfred Niebl, Deutsche Dynamo-Werke, Hubert Hottek, Seyfert & Butscher, Heinrich Illgen, Stoßdämpfer Hofmann, Fa. Wachsmut, Fa. Schaumberger & Hempel, Fa. R. Neubert, Fa. B. Gerstenberger, Fa. Dietrich & Hannak, DKW-Simson, Erich Reif, Fa. Endig, Fa. Thranitz, Hans Franke, „Gustl« Sieper, »RIKS«, »Ehrlich«, Fa. Münch, Fa. Bräunig, »Elan«. Frieder Bach lässt vor dem Leser die Atmosphäre einer Zeit entstehen, in der Enthusiasten mit handwerklicher Tradition eine völlig neue Fahrzeugtechnik entwickelten. Bach verschweigt nicht, dass technologische Kreativität in den kleinen Firmen mitunter eine spartanische Lebensführung bedingte. Aber das Netzwerk kleiner Familienbetrieb war es, welches  Tradition und Erneuerung im Raum Chemnitz zu verbinden vermochte.

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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