Reportagen

Sachsens Glanz

Sehr geehrter Professor Görner, Sie sind gebürtiger Sachse und leben in Brandenburg. Nehmen Sie die zahlreichen Artikel zum Geburtstag des Preußenkönigs Friedrich II. zur Kenntnis?

Eberhard Görner: Absolut. Die Interpretationen zu seiner Person sind ja sehr unterschiedlich. Mir gefällt der differenzierte Blick auf diesen doch widersprüchlichen Charakter. Einer hat mit Recht die tiefenpsychologische Frage gestellt: Warum zettelte Friedrich der Große so viele Kriege an, wo er doch lieber Flöte gespielt hätte? Und eigentlich ist das Wichtigste über ihn bereits glänzend gesagt worden in der Friedrich-Biographie von Ingrid Mittenzwei.

 

Eigenartigerweise bleibt es in Sachsen still, selbst wenn der Verantwortliche des Siebenjährigen Krieges und Verwüster Sachsens verklärt wird. Müsste man gegen die Versuche Preußen im 21. Jahrhundert noch einmal zu glorifizieren, nicht den kulturellen Glanz Sachsens verstärkt hervorheben?

Eberhard Görner: Für mich ist der Preußenkönig Friedrich II. ein aggressiver Politiker von lokaler Dimension. Was kannte er denn außer Rheinsberg, Potsdam und Berlin? Europa war ihm gar kein Begriff. Größe hatte für ihn nur in Bezug auf die Länge seiner Soldaten eine Bedeutung.

August der Starken dagegen lernte von 1687 bis 1689 auf seiner Kavaliersreise Paris, Madrid, Lissabon, Venedig, Wien und Prag kennen. Seinem europäischen Wissen um Kultur und Kunst verdankten Kursachsen und Polen ihren enormen Aufschwung. In Polen will man von Friedrich II. auch heute nichts wissen, weil er die Teilung Polens herbeigeführt hat. August der Starke dagegen ist den Polen Vorbild – ihm widmen sie zum Auftakt der Fußball-Europameisterschaft im Juni 2012 ihren Ersten Opernball.

Oft wird die kulturelle Leistung Kurfürst August des Starken im Sinne von Hochkultur begrenzt. Sie haben in dem Buch »Weißes Gold aus dem Erzgebirge?« aus dem Jahre 2010 hervorgehoben, dass der große Sachse auch Wissenschaft und Technologie als kulturelle Aufgabe betrachtete. Wie kann man das verstehen?

Eberhard Görner: Friedrich II. hat Kartoffeln anbauen lassen und permanent mit dem Säbel gerasselt. Er hasste die Frauen, zunächst seine Frau Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern, vor allem aber die »kleine Katharina« aus dem anhaltinischen Zerbst auf dem russischen Thron in St. Petersburg, und die andere in Wien, Maria Theresia, welcher er Schlesien geraubt hat.

August der Starke hatte zwar auch eine Armee, aber eher eine zum Feiern und Angeben, wie beim so genannten »Zeithainer Lager«. August der Starken entwickelte sein strategisches Vermögen nicht auf dem Gebiet primitiver militärischer Gewalt, sondern auf kulturellem Gebiet. Ohne ihn hätte es kein Meißner Porzellan gegeben, übrigens das erste in Europa. August zeigte sich im Prozess der Porzellanerfindung als der großer Stratege. Zunächst hatte er alle Rohstoffvorkommen erfassen lassen, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden konnte. Nach dem Einsatz großer finanzieller Mittel, in einer ernsten Situation, als Friedrich Böttger und Freiherr Ehrenfried Walther von Tschirnhaus nicht weiter kamen, brach August der Starke das Unternehmen nicht etwa ab, im Gegenteil; er schickte seine besten Bergleute nach Meißen. Das waren Fachleute für Mineralien, Schmelz- und Brennprozesse, Ofenbauer usw. Sie konnten das Porzellan zur Produktionsreife führen.

Ohne August den Starken hätte der sächsische Bergbau keine solche  weltweit geachtete Bedeutung erlangt. Ohne ihn gäbe es keine Frauenkirche und keine Sächsische Allee in Warschau. Ohne ihn gäbe es aber auch kein Grünes Gewölbe, kein Theater und keine Musik, die Dresden bis heute zu einem glänzenden europäischen Kulturzentrum machen.

August der Starke war einfach aus anderem Holz geschnitzt als sein preußischer Gegenspieler. So ließ Friedrich II. Schloss Hubertusburg, das größte Jagdschloss Europas, nach seinem militärischen Sieg über Sachsen von seinen »Kerls« plündern, wie ein gemeiner Räuber

 

In Ihrem Roman »Der Narr und sein König« verdeutlichten Sie, dass auch die Polen-Politik Augusts kulturell dominiert war. Könnte das ein Leitbild für heute sein?

Eberhard Görner: Polen und Sachsen sind europäische Nachbarn. Warum sollten sie nicht einen gemeinsamen Wirtschafts- und Kulturraum schaffen. Das wäre im beiderseitigem Interesse.

Warum ist man in Sachsen so zurückhaltend gegenüber dem kulturellen Erbe? Schätzt man hier die Gebäude von einstigen Schlösser und Burgen höher als den Geist?

Eberhard Görner: Wir Deutschen verdrängen mit Lust unsere Geschichte, weil wir alle paar Jahre die politische Fahne wechseln. So bleibt vieles unbeleuchtet. Aber wenn wir nur an die Musik denken, die die Welt Sachsen zu verdanken hat: Schütz, Bach, Schumann und Wagner. In der Philosophie nenne ich nur Friedrich Nietzsche. Eine der größten Orgeln in Frankreich steht in Straßburg, erbaut von Andreas Silbermann, dessen Bruder Gottfried der genialste Orgelbauer in Sachsen war. Karl May ist ohne Zweifel Weltliteratur – die Liste des kulturellen Erbes Sachsens von europäischem Rang ließe sich bis an den Horizont erweitern. Jeder kennt die vier Ringe von Audi – ihr Ursprung war Horch. Audi, DKW und Wanderer – der deutsche Automobilbau begann in Sachsen. Das ist auch eine Kulturgeschichte, die die Welt bis heute prägt.

Sehr geehrter Professor Görner, recht herzlichen Dank für das Gespräch.

(Johannes Eichenthal)

 

 

Information

Görner, Eberhard (Hrsg.): Weißes Gold aus dem Erzgebirge?  Veit Hans Schnorr von Carolsfeld (1644–1715).

Mironde-Verlag 2010

ISBN 978-3-937654-57-7

www.mironde.com

 

Görner, Eberhard: Der Narr und sein König. Der Taschenspieler Joseph Fröhlich in Dresden.

Chemnitzer Verlag 2009,

ISBN 978-3-937025-49-0

www.chemnitzer-verlag.de

 

 

Weitere Artikel zum 300. Geburtstag von Friedrich II.

 

www.faz.net/aktuell/feuilleton/300-jahre-friedrich-ii-porzellan-mit-wertaufdruck-11620532.html

 

www.faz.net/aktuell/feuilleton/zum-300-geburtstag-friedrich-ii-im-philosophenspiegel-11615915.html

 

www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur/vom_menschen_hatte_friedrichkeinen_guten_begriff_1.14440954.html

 

www.taz.de/Sachbuchflut-zum-Friedrich-II-Jubilaeum/!86041/

 

http://diepresse.com/home/wirtschaft/hobbyoekonom/726118/Der-alte-Fritz-falsche-Muenzen-und-KaffeeSchnueffler?_vl_backlink=/home/wirtschaft/index.do

 

www.fr-online.de/kultur/300–geburtstag-friedrichs-ii–der-skandal-hof,1472786,11500530.html

 

www.neues-deutschland.de/artikel/216041.um-des-ruhmes-willen.html

 

www.tagesspiegel.de/kultur/jubilaeum-friedrich-ii-ist-preussens-popstar/6101532.html

 

www.zeit.de/zeit-geschichte/2011/04/Preussen-Wirtschaftspolitik

 

www.zeit.de/zeit-geschichte/2011/04/Friedrich-der-Grosse-DDR

 

www.welt.de/kultur/history/article13829711/Der-Alte-Fritz-waere-heute-ein-monstroeser-Blogger.html

One thought on “Sachsens Glanz

  1. Die Gegenseite der Medaille ist, das wissen die Dresdner auch, das unter August dem Starken das gemeine Volk gelitten hat, da er es ausbeutete. Natürlich ist das Meissener Porzellan weltberühmt geworden, jedoch mit zweifelhaften Methoden hervorgebracht worden (man denke an den armen Genius, der es im Keller hergestellt hat, eine Verzweiflungstat, da er dem König kein Gold erschaffen konnte.)
    Das Meissener Porzellan ist leider auch Geschmackssache. Mancher neureiche Russe langt da gerne kräftig zu, es gibt aber auch die Ansicht, es sei zu überladen, pompös und man kann es einfach nicht zum Gebrauch nutzen, da beim Anblick so eine leichte Übelkeit aufkommt und es eigentlich nur in einen Palast gehört, wo nicht auffällt, wieviel hier eigentlich aufgetragen wurde.

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