Reportagen

Der große Sohn Hohensteins

Am 11. Mai begrüßte Herr Roßner interessierte Besucher im Haus der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Hohenstein-Ernstthal. Auf der Tagesordnung stand ein Vortrag von Dr. Andreas Eichler über einen großen Sohn der Stadt: Gotthilf Heinrich Schubert. In der Nähe von dessen Geburtshaus, vor der St. Christopherus-Kirche, steht zwar eine Büste Schuberts, geschaffen vom Münchner Akademie-Bildhauer Maximilian von Widnmann, dennoch ist der Name Schuberts in der Stadt und der Region weitgehend unbekannt.

Eichler hob zunächst mit Erinnerungen des am 26. April 1780 im Pfarrhaus der St. Christopherus-Kirche geborenen Schuberts an: »Die Landschaft, in welcher mein Geburtsort Hohenstein im Sächsischen Erzgebirge liegt, steht zwar an Schönheit und Erhabenheit der Natur weit hinter den Gegenden in der Nachbarschaft der Alpen oder der Küstengegenden des Meeres […] dennoch hat sie der eigentümlichen Schönheiten so viele, dass selbst der weitgereiste Fremdlinge mit Vergnügen, länger vielleicht als es seine Absicht war, in ihr verweilen mag. Die Kirche liegt etwas höher, die Stadt selber mit ihren Gassen tiefer am Abhang eines Berges, dessen Felsart vorherrschend der Glimmerschiefer ist. Schon aus weiter Ferne fällt deshalb die kleine Wohnstätte eines arbeitsamen, fleißigen Völkleins in das Auge des Vorüberreisenden und von den höher gelegenen Häusern, noch mehr aber von dem Berge aus, an dem Hohenstein liegt, genießt man eine Fernsicht, die nach Westen hin über die Gegend des Muldentales bis an die Berge des Vogtlandes reicht, nach Süden aber den größten Teil des Höhenzuges umfasst, welcher unter dem Namen des Erzgebirges zwischen Sachsen und Böhmen verläuft. Nach Norden schaut man weithin über die große, fruchtbare Ebene, aus der sich tief am Horizont der Porphyrberg bei Rochlitz und der Petersberg bei Halle erheben.«

»Reisen«, »Reisende« und »Ferne« sind die Worte, die Schubert ein Leben lang prägten. Nicht ohne Grund sah Schubert im Weltreisenden Alexander von Humboldt ein Vorbild, dem er nacheifern wollte.

Blick vom Schubert-Denkmal über die Dächer von Hohenstein-Ernstthal in das Erzgebirge

Zunächst wurde Schubert im Familienkreis des Pfarrhauses unterrichtet, dann besuchte er ein Schule in Lichtenstein, der ein Schwager vorstand, schließlich kam er auf das Gymnasium in Greiz, und von dort verschlug ihn ein Zufall auf das Weimarer Gymnasium. Schubert war von Direktor Karl August Böttiger und mehr noch vom Oberaufseher des Gymnasiums, dem Weimarer Generalsuperintendenten Johann Gottfried Herder begeistert. Noch in Schuberts Lebenserinnerungen von 1854/55 klingt die Begeisterung durch: »An demselben Tage, an welchem er sich für die Annahme einer Professur der Theologie in Göttingen erklären sollte, erhielt er [Herder] den Ruf als Hofprediger, Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat nach Weimar. Er folgte diesem und wählte hiermit den Weg seiner eigentlichen Berufung: ein Leuchtturm von geistiger Art zu werden, dessen Stätte nicht das Innere des Landes, sondern der felsige Strand ist, wo seiner die Kämpfer mit den Gefahren des Meeres bedürfen. Herder sollte die Aufgabe seines Lebens, ein Wiedererwecker der Ehrfurcht zu werden vor Dem, was heilig und göttlich ist, in jenem Kreise zu erfüllen, der den Gefahren des vernichtenden Zeitgeistes am meisten ausgesetzt war: in dem Kreise der Hochgestellten an vielseitiger Bildung und äußerer Ehre. Er sollte nicht nur den Theologen ein Vorbild der würdigen Führung ihres Amtes und des ernsten, treuen Bekenntnisses zu dem werden, was diesem Amt seine Kraft und Würde gibt, sondern als ein geistiger Oberpriester seines Volkes, ja seiner Zeit, in alle für diese Weihe empfängliche Geister jene Dreiheit der Anregung ausgießen, welche sein gewöhnlicher Wahlspruch in die Worte: Licht, Liebe, Leben zusammenfasste. […] Adel des Geistes war in Herders ganzem Wesen in einem augenfälligem Maße ausgeprägt, wie ich es bei keinem anderen Menschen gesehen. Es war nicht allein die gewalttätige Naturkraft eines Herrschers, wie sie an Goethe sich aussprach, sondern es war die stille Größe und Würde eines geistigen Fürsten, der, was er ist, von Gottes Gnaden geworden. […] der Unterschied der Konfessionen setzte seiner Beachtung dessen, was Gottes Werk an den Menschenseelen ist, keine Schranken; er bewunderte den Franz von Assisi nicht minder als einen der Glaubenshelden aus den Zeiten der Reformation. Wenn wir am Sonntag Nachmittag noch bei ihm zu Tische saßen, und die Gemeinde in der benachbarten Kirche stimmte eines jener alten Lieder an, welche zu den vorzüglichsten Schätzen unseres Glaubensbekenntnisses gehörten, da winkte er uns zu schweigen, hörte mit tiefer Rührung, ja zuweilen mit Tränen in den Augen, den Tönen zu und sprach mit ernstem Tone die Worte des Inhalts einzelner Strophen nach.

Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein geistiges Element, das in seiner höheren Weise von gleicher, leichter Entzündbarkeit war, wie der Phosphor unter den irdischen Elementen. Irgend ein Gegenstand im gewöhnlichen Gespräch, der Name eines Mannes, wie Amos Comenius oder wie Dante, wie Jacob Balde, wie Sebastian Bach, weckte in ihm eine Begeisterung auf, die sich durch Wort und Mienen uns allen mitteilte.«

Eichler fügte an, dass Schubert sich mit dem jüngsten Sohn der Familie Herder, Emil, anfreundete, und dass Johann Gottfried Herder den beiden Jugendlichen im Frühjahr 1799 Abendvorträge zur Vorbereitung auf das Theologie-Studium hielt. Eine Mitschrift Schuberts habe als Textgrundlage für die Aufnahme dieser »Hodegetischen Abendvorträge« in Band XXX der Ausgabe Sämtlicher Werke Herders durch Bernhard Suphan geführt. In diesen Vorträgen, so Eichler, finde man die Philosophie Herders in konzentrierter Weise, wie in kaum einem anderen Text. (Im Frühjahr 1799 erfolgte die Drucklegung von Herders »Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft«, in der er Satz für Satz das Werk seines einstigen Lehrers Kant dekonstruierte, um die Theologie-Studenten in Jena aus ihrer Kant-Fichte-Begeisterung heraus wieder zum mühsamen aber unverzichtbaren Studium zu bewegen. Fichte glaubte damals in den Worten »Ich und Nichtich« eine Weltformel gefunden zu haben. Heinrich Heine fragte später ironisch, was wohl Madame Fichte zu solchen Thesen gesagt habe?)

Ostern 1799 nahm Schubert Abschied von Weimar und begann nach den Ferien, der Familientradition entsprechend, ein Theologie-Studium in Leipzig. Schuberts Vater war erschrocken, als ihm sein Sohn auf die Frage nach dem Studium so ziemlich alle Naturwissenschaften aufzählte, jedoch anfügte, dass der große Herder gesagt habe, dass passe sehr wohl mit der Theologie zusammen.

Foto: St. Christopherus-Kirche (li.) und das alte Pfarrhaus, Schubert Geburtshaus (re.)

Eichler fügte hier an, dass Herder keine personale Gottesvorstellung hatte, sondern Gott etwa als ein Wesen des Universums ansah. Gott wurde nicht als ein »transzendentes« (übersinnliches) Wesen, sondern als ein immanentes Wesen aufgefasst. Der Vater Schuberts sah das jedoch anders. Für Herder und seinen Schüler Schubert war Naturerkenntnis ein Weg zur Gotteserkenntnis, wie Herder auch die sinnliche Erkenntnis auf gleicher Ebene wie die geistige Erkenntnis behandelte. Herders »Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit« ist der Versuch Glauben und Vernunft als wesentliche Pole von Humanität darzustellen. Herder, der die Bibel als ein poetisches Werk las, von Menschen geschrieben, versuchte »hinter« den Buchstaben einen Kontext zu erfassen. So schrieb er, dass man Gott zu gering schätze, wenn man den Genesis-Text nur wörtlich nehme, Schöpfung sei keine Sache von sieben Tagen, sondern ein immerwährender Prozess des Werdens und Vergehens. Wenn man so will, sind die »Ideen« die letzte Kosmologie aus der Feder eines großen evangelischen Theologen im deutschen Sprachraum. Herders Königsberger Lehrer Kant gab Johann Georg Hamann, dem eigentlichen Lehrer Herders, gegenüber zu, dass er die Methode Herders nicht verstehe. Eigenartigerweise hat die evangelische Theologie von Anfang an Kant überschätzt und Herder unterschätzt. Noch heute gibt es kaum einen bedeutenden evangelischen Theologen mit Herder-Kenntnissen.

In jenen Leipziger Jahren, so Eichler, habe Herder Schubert auch zur Übersetzung eines Naturhymnus von Dr. med. Erasmus Darwin, dem Großvater von Charles Darwin, mit dem Titel »The Botanic Garden« angeregt. Herder sah in der poetischen Form des Hymnus eine Möglichkeit die Kluft zwischen dem Fachgelehrtentum sowohl der Theologen wie der Naturwissenschaftler zu überwinden. Schubert arbeitete an dieser Übersetzung. Es existierte ein Manuskript. Leider ist diese aber verloren gegangen. Es steht der Forschung nicht zur Verfügung.

Schubert begeisterte sich in diesem Zusammenhang für die Medizin a la Erasmus Darwin. Wir begegnen in jener Zeit aufgeklärten Medizinern, die Naturwissenschaft von einem religiös geprägten Menschenbild aus betreiben. Der junge Schubert erwirkte sich letztlich, mit Unterstützung seiner älteren Schwestern, vom Vater die Erlaubnis zum Wechsel in die Medizin. Und, als Schubert in der Zeitung von Experimenten des jungen Physikers Johann Wilhelm Ritter in Jena las, … bat er um die Genehmigung zum Wechsel nach Jena. Auch diesen bewilligte der Vater aufgrund der Fürsprache seiner erwachsenen Töchter für ihren »kleinen Bruder«.

Schubert wechselte gemeinsam mit seinem Freund Friedrich Gottlob Wetzel nach Jena. Dort hörten sie die Physik-Vorlesungen des jungen Johann Wilhelm Ritter und die Naturphilosophie-Vorlesungen des jungen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Das Spektrum der Jenenser Szene ist nur zu erahnen. Schellings Publikationen aus jener Zeit umfassen auch solche Titel wie »Über die Weltseele«. Auffällig ist, dass Schubert in seinen Lebenserinnerungen 1854/55 den Eindruck zu erwecken versucht, als habe er mit den Jenaer Romantikern keinen Kontakt gehabt. Seine Freundschaft mit Schelling rührt aber aus jener Zeit.

Eichler erwähnte die weiteren Lebensstationen Schuberts, der 1803 mit einer medizinischen Arbeit zur »Anwendung des Galvanismus auf Taubgeborene« in Jena promoviert wurde, eine Arztpraxis in Altenburg gründete, den Bund der Ehe ein­ging, ein weiteres Studium der Geognosie bei Abraham Gottlob Werner in Freiberg begann (Freundschaft mit Wilhelm August Lampadius, Moritz von Engelhardt, Karl von Raumer u.a.) und 1806 bis 1808 als Publizist in Dresden lebte (Schubert wohnte in Dresden bei seinem Freund Gerhard von Kügelgen, begrüßte seine Freunde aus der Studienzeit Friedrich August Köthe und Friedrich Gottlob Wetzel, schloss dort Bekanntschaft mit Caspar David Friedrich, Peter Cornelius, Julius Schnorr von Carolsfeld, Johann Gottfried Seume, Heinrich von Kleist, Friedrich und Wilhelm August Schlegel, Adam Müller, Karl Christian Friedrich Krause, Ignatius Paul Troxler u.a.).

Trotz großer publizistischer Aufmerksamkeit erhielt Schubert in Dresden keine Anstellung. Die Situation der jungen Familie, in Freiberg wurde eine Tochter geboren, war prekär. Im November 1808 schrieb Schelling, dass er Schubert für das Rektorat eines Realgymnasiums in Nürnberg vorgeschlagen habe. Schubert nahm sofort an. Die Familie reiste in den ersten Januartagen 1809 nach Nürnberg. In Nürnberg erschien 1814 Schuberts »Symbolik des Traumes«, in der er im Stile der Romantiker »Urtraumbilder« suchte und interessante Thesen zum Verstehen von Traumerscheinungen aufstellte.

Nach einer Episode als Prinzessinenerzieher in Ludwigslust erreichte Schubert mit Unterstützung seiner Freunde 1819 der Ruf der Universität Erlangen auf den Lehrstuhl für Naturgeschichte. Hier traf er Freunde und Bekannte aus seiner Nürnberger Zeit, den Orientalisten Johann Arnold Kanne, den Mathematiker Pfaff, den Physiker Schweigger. Im so genannten Mittwoch-Kreis trafen sie sich zudem mit dem Theologen Krafft und dem Kirchenhistoriker Engelhardt. 1820 kam Schelling dazu und 1826 auch Friedrich Rückert. In Erlangen war vielleicht die schönste und produktivste Zeit für Schubert. Sein Andenken wird dort heute noch in Ehren gehalten. Die Universität Erlangen gab zum 200. Geburtstag eine Festschrift zu Ehren Schuberts heraus. Zum 150. Todestag organisierte die Universitätsbibliothek eine kleine Ausstellung, in der auch eine zweite Schubert-Büste von Maximilian von Widnmann gezeigt wurde.

Eichler vergaß hier zu erwähnen, dass die Theologische Fakultät der Universität Erlangen Gotthilf Heinrich Schubert aus Anlass des 50-jährigen Promotionsjubiläums die Ehrendoktorwürde verlieh.

1827 erfolgte Schuberts Berufung nach München. In München stellte sein Hauptwerk »Zur Geschichte der Seele« fertig, das 1830 in zwei Bänden erschien. In München hatte Schubert auch berühmte Kollegen, wie Schelling, Franz Baader, Joseph Görres, Peter Cornelius und Lorenz Oken. (Oken, eigentlich Ockenfuß, war einer der wenigen Menschen, zu dem Schubert keine positive Beziehung finden konnte.) Eichler führte hier all die äußeren Ehrungen auf, die Schubert in den späten Jahren erreichten. Seine Lebenslage erlaubte jetzt ausgedehnte Reisen. Aus Schuberts Feder entstanden in jenen Jahren nicht nur Lehrbücher, sondern auch Biographien, Reisebeschreibungen, Abenteuerromane und Schriften für die Jugenderziehung. Schubert lebte das Ideal der Freundschaft, wie kaum ein anderer Romantiker. Zudem gehörte er zu den Vertretern eines überkonfessionellen Christentums, wie er es bei Herder in jungen Jahren erlebt hatte. Schubert widmete seine Lebenserinnerungen von 1854/55 seinem 1854 verstorbenem Lehrer Schelling. Schubert starb am 1. Juli 1860 in der Nähe von München. Seine Beerdigung wurde zu einem Treffen des damaligen Geisteslebens. Damit wurde auch die Bedeutung demonstriert, die Schubert im wissenschaftlichen Leben erlangt hat.

Foto: Haustür zum Schubert Geburtsthaus mit Erinnerungstafel (Der verdienstvolle Bürger Wolfgang Hallmann erwarb das traditionsreiche Haus vor einigen Jahren, um es vor dem Abriss zu bewahren.)

Eichler meinte abschließend, dass Schubert eigentlich der Namensgeber der TU Chemnitz sein könnte, ein vergleichbares akademisches Schwergewicht gibt es in der Region nicht. Allerdings kennt man Schubert an dieser hohen Bildungseinrichtung noch nicht. Aber was nicht ist … Die Gäste der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Hohenstein-Ernstthal waren zum großen Teil überrascht, dass ihre Stadt einen solchen Geist hervorbrachte. Es gab Detailfragen zu den Lebensumständen. Ein Zuhörer hatte das Buch schon gelesen, das die Jugendjahre Schuberts ausführlich behandelt. Er wünschte sich eine ähnliche Darstellung der zweiten Lebenshälfte. Eichler antwortete, dass Schuberts Rolle in der Romantik  eine Sache der Jugend gewesen sei. Darauf habe er sich 2010 in der kurzen Zeit zum 150. Todestag Schuberts beschränken müssen. Ein zweiter Teil sei aber nicht ausgeschlossen.

Johannes Eichenthal

 

Information

Andreas Eichler. G. H. Schubert: ein anderer Humboldt. U.a. ein kommentierter Briefwechsel zwischen Schubert und der Familie Herder, dem Text der »Hodegetischen Abendvorträge«, Namensverzeichnis, zahlreiche Abbildungen, z. T. in Farbe, 23 × 23 cm, 96 S., VP 14,90 €.

ISBN 978-3-937654-35-5

Beziehbar über Mironde-Buchversand www.mironde.com 

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