Reportagen

Karl May und der Weltfrieden

 

Am Wochenende in der Junimitte fand in der Berliner Kulturbrauerei das »Fest der Linken« statt. In diesem Rahmen präsentierte auch die Tageszeitung »neues deutschland« ihr diesjähriges Pressefest.

Am Sonntag, dem 17. Juni, begrüßte ND-Redakteur Ingolf Bossenz den Autor Klaus Walther in der Literaturwerkstatt zu einem Gespräch über dessen, in diesem Jahr im Chemnitzer Verlag erschienene Karl-May-Biographie. Die Ankündigung der Veranstaltung trug die Überschrift »Karl May und der Weltfrieden«.

Ingolf Bossenz fragte zunächst, ob Karl May nicht selbst in diesem Jahr seines 170. Geburtstages und seines 100. Todestages noch zu sehr in alten Klischees gesehen werde, und ob nicht Versuche einer realistischeren Sicht auf May gescheitert seien?

Klaus Walther antwortete, dass die Mehrheit der Leser Karl May immer noch als Autoren schätzen, der Geschichten erzählen könne. Diese Erzählfähigkeit hänge mit der Biographie Mays zusammen, wie auch mit dem Weltenlauf, in den er hineingeboren wurde. Dagegen seien alle Versuche, Karl May als einen philosophischen Schriftsteller zu deuten, dessen Spätwerk als eigentliches Werk zu sehen, vergeblich. Daher sei es viel wichtiger die Abenteuergeschichten als gelebte Geschichten zu begreifen. Wenn heute auf einer Geschichte »Roman« stehe, dann erwarte man als Leser eine gute Geschichte, keine philosophischen Lehrgebäude, die am Ende doch nicht verwirklicht wurden.

Ingolf Bossenz entgegnete, dass ja bei Karl May »Reiserzählung« auf den Büchern stand, und dass viele Leser glaubten, Karl May habe das alles selbst erlebt. Der May-Biograph Wollschläger habe darauf verwiesen, dass bei der ersten Orientreise in May ein psychologischer Konflikt wieder aufbrach, den er mit der Erfindung einer anderen Wirklichkeit verdrängt habe. Ihn erinnere das an Nietzsches Erkenntnis von der ewigen Wiederkehr des Gleichen angesichts der Felsenwände von Sils Maria.

Klaus Walther antwortet, dass während dieser Orientreise das Gedankengebäude zusammenbrach, das sich Karl May aufgebaut hatte. Es habe ja noch mehr Konflikte gegeben. Mit dem großen schweren »Bärentöter« hätte der körperlich schwache Karl May nie schießen können. Karl May schrieb in der Welt seiner Phantasie, lebte aber auch in dieser Welt. Zeitzeugen bestätigten, dass sie ihm die Erlebnisse glaubten. Karl May habe aus der tiefsten Erniedrigung eine Phantasiewelt erschaffen, in der auch lebte. der Zusammenruch dieser Scheinwelt war eine absehbare Folge dieses Prozesses.

Ingolf Bossenz fragte, ob man vor diesem Hintergrund nicht verstehen könne, dass Karl May am Lebensende sein symbolisches Spätwerk als sein eigentliches Werk verstanden habe, und nicht auf Abenteuergeschichten reduziert werden wollte. Doch bereits in den Abenteuergeschichten seien die Helden souverän, setzten Gewalt nur als äußerstes Mittel und kontrolliert ein, verhielten sich eher wie Robin Hood. Kara Ben Nemsi habe einmal gesagt, er ziehe durch die Welt, um Gutes zu tun. Könne man diesen Gestus nicht als eine Art selbst auferlegte Buße für die kleinkriminellen Verfehlungen in Jugendjahren werten?

Klaus Walther entgegnete, dass man Karl May verstehen könne, wenn man seine Kindheit einbeziehe. Dieser sei ja einige Jahre blind gewesen. Zudem entstamme er ärmlichsten Verhältnissen. Er sei kein Kleinkrimineller gewesen, sondern habe den innigen Wunsch empfunden, ein gutes und sinnvolles Leben führen zu können. In dem damaligen ständischen und obrigkeitsgläubigen Verhältnissen geriet May jedoch ins Visier der Justiz. Weil er seinem Zimmergenossen eine Uhr einmal nicht pünktlich zurückgab, wurde May inhaftiert. Solche Praktiken hätten May erschüttert. »Wer einmal aus dem Blechnapf frisst« hätte auch ein Karl May Titel werden können. Das sei der Grund für den Wunsch Mays nach einer guten und vernünftigen Welt. Auch sein Spätwerk könne man vor dem Hintergrund des frühen beschädigten Lebens Mays begreifen.

Ingolf Bossenz verwies darauf, dass sich May nach 1900 verstärkt für Völkerverständigung und Weltfrieden einsetzte. Wie könne man die Maßlosigkeit seines Engagements erklären?

Klaus Walther antwortet, dass ein Phänomen aller »Erfolgsbiographien« sei, dass man sich überschätze. Weil man etwas ganz gut könne, glaube man, dass man alles könne. May habe sich anfangs als guter Erzähler verstanden. May wollte gern friedlich leben, und das schlug sich in seinen Büchern nieder. Die Feinde wurden in diesen Erzählungen nur im äußersten Fall getötet, wenn es ging, pflegten die Helden dem christlichen Gebot der Feindesliebe. Dadurch bewies May eigentlich, dass er ein Mensch war, der sich für das friedliche Zusammenleben der Menschen einsetzte.

Ingolf Bossenz erwiderte, dass es aber bis in die letzte Zeit immer wieder Vorwürfe gegen May auftauchten, wonach es in seinen Werken rassistische und kolonialistische Äußerungen gäbe.

Klaus Walther entgegnete, dass sich Karl May selbstverständlich dem Geist seiner Zeit nicht völlig entziehen konnte. Wenn man es wolle, dann könne man bei May Anklänge von Rassismus oder Antisemitismus herausstellen. Auch seien die Edelmenschen eben Deutsche. Wohl glaubte May auch, was die deutschen Bischöfe in ihrer Laudatio an ihm lobten. Er konnte eben aus seiner Zeit nicht heraus. Ein »Ritter ohne Fehl‘ und Tadel« sei May nicht gewesen.

Ingolf Bossenz ergänzte, dass er sich auch über solche Anfeindungen gegen May wundere. Er habe selbst lediglich gefunden, dass die Griechen bei May schlecht wegkamen. Warum? Das sei ihm nicht verstehbar. Doch habe May ja auch Buchtitel wie »Friede auf Erden« gegen den Zeitgeist (die Kriegssehnsucht der Schicht um den deutschen Kaiser und der massenmedialen Vorbereitung des Ersten Weltkriegs – je) gesetzt.

Klaus Walther ergänzte, dass die Entstehung dieses Buchtitels sehr interessant sei. Ursprünglich sollte May einen Beitrag zur Verherrlichung der deutschen militärischen Intervention in China, der Niederschlagung eines Volksaufstandes, schreiben. Karl May hatte aber nicht die Absicht, die Erwartungen des Verlages zu erfüllen. Er schrieb einen Beitrag, der aus dem Rahmen des Bandes fiel. Das Buch mit dem Titel »Friede auf Erden« schrieb er später. Allerdings handele das Buch selbst gar nicht vom Frieden.

Ingolf Bossenz zitierte darauf Karl May, wonach in 8000 Jahren Menschheitsgeschichte die Zivilisierung nur Terrorisierung gewesen sei, und fragte Klaus Walther, ob die Leser das verstanden hätten.

Klaus Walther antwortete, dass die Leser das nicht verstanden, weil sie ja von Karl May Erzählungen erwarteten. Er habe sowohl eine Karl May, wie eine Hermann Hesse Biographie geschrieben. Mitunter werde er gefragt, wie May und Hesse zusammenpassten-. Beide erzählten von Grunderfahrungen der menschlichen Existenz, von Liebe, Hass, Leben und Tod. Das berühre die Leser. Es habe viele May-Leser gegeben, die über Winnetous Tod weinten.

Ingolf Bossenz ergänzte, dass Karl May auch ein Drama mit dem Titel »Babel und Bibel« schrieb, es sei aber noch nicht aufgeführt worden …

… zum Glück, meinte Klaus Walther. Noch schlimmer seien Mays Gedichte. Selbst sein gutmütiger Verleger Fehsenfeld hatte Bedenken, einen Gedichtband mit dem Titel »Himmelsgedanken« zu veröffentlichen. Das sei heute ein Musterbuch für schlechte Gedichte. May habe mitunter einfach das Maß dafür verloren, worin sein Talent lag.

Ingolf Bossenz zitierte darauf aus Klaus Walthers May-Biographie aus einem Schreiben des Rates des Kreises Hohenstein-Ernstthal vom Anfang der 1980er Jahre, wonach die Reife der Bevölkerung nun die Pflege seines Andenkens und die Veröffentlichung von May-Büchern erlaube. Warum habe man sich so schwer mit Karl May getan?

Klaus Walther antwortet, dass es mehrere Gründe gebe. Es habe Leute gegeben, die in Karl May immer noch einen Rassenideologen gesehen hätten. Zudem hätten selbst Leute wie Louis Fürnberg eine einschichtige Vorstellung von Literatur gehabt. Mit der Zeit sei eingesehen worden, dass Karl May kein schlechter Literat war. Man habe aber eine ideologische Begründung für die Korrektur gebraucht. Und dann habe es noch einen finanziellen Aspekt gegeben. Die DDR habe die Rechte am Werk Anfang der 1950er Jahre an den Karl-May-Verlag in Bamberg verkauft. Die Rechte für die Fehsenfeld-Ausgabe seien 1982 abgelaufen. Danach habe man begonnen in der DDR wieder Karl May zu drucken. Mit viel Mühe und guten Beziehungen habe man damals die ersten Bände bekommen.

In Sachen Literaturverständnis wolle er aber noch anmerken, dass in der DDR viele Dummheiten in Sachen Literatur gemacht wurden. Er habe in den letzten Tagen die Tagebücher von Erwin Stritmatter aus den 1950er Jahren gelesen. Dadurch sei die damalige Zeit in ihm noch einmal lebendig geworden. Der Umgang mit Karl May sei insofern nur ein Beleg für ein unliterarisches Verständnis von Literatur.

Ingolf Bossenz ergänzte, dass es bis heute viele Missverständnisse in Sachen May gäbe. So werde immer wieder behauptet, dass Karl May der Lieblingsschriftsteller von Reichskanzler Adolf Hitler gewesen sei. Klaus Mann habe sich im Exil sogar zu der Behauptung verstiegen, das so genannte »Dritte Reich« sei eine Verwirklichung der Träume von Karl May.

Klaus Walther antwortete, dass solche Überinterpretationen in negativer wie in positiver Hinsicht dem Werk Mays nicht gerecht werden. Karl May sei ein Autor, der Geschichten erzählen könne. Diese Geschichten liebten die Leser, darum gehe es. Deshalb habe seine Karl May-Biographie auch nur 140 Seiten. Es gehe um eine Einführung in das Werk. Man müssen hin zum Originaltext. Entscheiden sei das Werk, nicht die Biographien.

Ingolf Bossenz zitierte darauf den Nicaraguanischen Guerillero und späteren Innenminister Tomás Borge, der neben Carlos Fonseca und Karl Marx auch Karl May zu seinen Leitfiguren zählte. Ihn habe die Freundschaft zwischem einem Weißen und einem Indianer am meisten beeindruckt, und im Guerillakampf gestärkt. Hier schloss Bossenz die Frage an Klaus Walther an: War Karl May ein Linker?

Nein, antwortete Klaus Walther, Karl May war kein Linker. Aber er war ein Autor, ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit und gegen Ungerechtigkeit in der Welt einsetzte. Unter diesem Aspekt sei er den Linken nahe.

An dieser Stelle ließ Ingolf Bossenz Zuschauerfragen zu.

Ein Zuschauer wollte wissen, worin die größte Schwäche Mays gelegen habe. Klaus Walther antwortete, dass die größte Schwäche Mays darin bestand, außerhalb der Wirklichkeit schreiben und leben zu können. Das sei aber auch seine größte Stärke gewesen. Der gleiche Zuhörer wollte wissen, ob es Antisemitismus im Werk Mays gab. Klaus Walther antwortete, dass May dem Geist seiner Zeit nicht entfliehen konnte, dass sich aber bewusster Antisemitismus oder Ideologie bei ihm nicht finde. Hier endete die Veranstaltung. Klaus Walther signierte am Büchertische des ND, unter blauem Sommerhimmel, noch einige Bücher. In der Ferne hörte man die Bigband von Andrej Hermlin swingen. Noch weiter weg erklang eine lateinamerikanische Stimme zur Gitarre.

Kommentar

Dem Autoren und dem Veranstalter ist für ihr Engagement zu danken. Als Zuhörer konnte man mit Vorurteilen aufräumen. In der Tat zeigen sich im Verhältnis zu Karl May zentrale Schwächen im Verständnis von Literatur. Es war Stephan Hermlin, der nicht müde wurde zu erklären, dass es in der Literatur allein um den Text eines Autors geht. Lebenswandel, Überzeugungen, Marotten, politische Ansichten und Parteimitgliedschaften spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. In der Literatur geht es um den Text der Erzählung. Es dauerte relativ lange, bis in der DDR ein politisch-moralisierendes Verständnis von Literatur überwunden werden konnte. Klaus Walther gehört zu denjenigen, die sich dafür engagierten. An diesem Niveau sollte man festhalten, obwohl, oder gerade weil heute von anderer Seite Literatur nach politisch-moralisierenden Maßstäben gewogen wird. Der rein kommerzielle Maßstab ist hinzugekommen. Aber das wird nicht das letzte Wort der Geschichte bleiben. Echte Literatur ist das, was bleibt.

Johannes Eichenthal

 

 

Information

Klaus Walther: Karl May. Eine sächsische Biographie. Chemnitzer Verlag 2012.

ISBN 978-3-937025-89-6

www.chemnitzer-verlag.de

 

Karl May: Der Teufelsbauer. Eine erzgebirgische Dorfgeschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Klaus Walther. Mironde-Verlag 2012,

ISBN 978-3-937654-45-4

www.mironde.com

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