Essay

Der Streit der Kulturen

Der Träger des Preises der Leipziger Buchmesse zur »Europäischen Verständigung« des Jahres 2014 heißt Pankaj Mishra. Ausgezeichnet wurde der bis dahin weitgehend Unbekannte für sein Buch »Aus den Ruinen des Empire. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens.« (Erschienen im Frankfurter S. Fischer Verlag, in dem in den letzten Jahrzehnten bemerkenswerte Bücher zu dieser Thematik erschienen.)
Eben veröffentlichte dieser Pankaj Mishra in der Wochenzeitung »Die Zeit« einen Artikel mit der Überschrift »Das westliche Gejammer« (http://www.zeit.de/2014/38/krieg-krise-westen-pankaj-mishra).
Selbstverständlich wurde der Artikel von vielen Lesern kommentiert. Aber die eigentlichen Adressaten des Beitrages kommentierten nicht, denn streng genommen richtete Mishra seine Worte an die Machteliten.
Allerdings macht es Mishra unserem kosmopolitischen Jetset nicht leicht. Wer lässt sich schon gern »Provinzialismus« vorwerfen?
Aber Mishra meint, dass man mit »Provinzialität« das Wunschdenken erklären könne, dass seit dem Ende des Kalten Krieges in Europa und den USA die Reden der Politiker und die Mainstream-Medien bestimme, denen zufolge sich die westliche liberale Demokratie und der Kapitalismus schrittweise im Rest der Welt durchsetzen würden.
Mit kurzen Sätzen umreißt Mishra die katastrophale Lage der heutigen »brennenden Welt« und die Reaktion der westlichen Eliten: »In den vergangenen Monaten hat ein Ereignis nach dem anderen … weite Teile der westlichen Elite sprachlos und verblüfft zurückgelassen.«
Die gängigen westlichen Reaktionen seien Wehklagen über die »Schwäche Amerikas« und Vorwürfe an US-Präsidenten Obama.
In seinem Erklärungsversuch geht Mishra zunächst darauf ein, dass die westliche Geschichtssicht nach 1945 übersah, dass das bedeutendste Ereignis des 20. Jahrhunderts das Ende der Kolonialzeit war, und das Auftauchen neuer Nationalstaaten in Asien und Afrika, »von Staaten, die aus den Trümmern der westlichen Reiche aufstiegen.«
Bereits hier verweist er auf die konkrete Lage: Kolonialismusgegner befanden sich oft in Auseinandersetzungen mit Demokratien, die nach außen imperialistische Politik betrieben. Für die jungen Nationalstaaten war die westliche Nationenbildung ein Inspirations-Modell, dass auch nach den europäischen Katastrophen von 1914 und 1939 nicht an Anziehungskraft verlor.
(Hier vergisst Mishra eine Kleinigkeit, vielleicht weil sie nicht in sein Weltbild passt. Der Zweite Weltkrieg begann mit dem japanischen Überfall auf China vom 18. September 1931. Aber dieser Teil des Weltkrieges, der 20 Mio. Chinesen das Leben kostete, der letztlich gegen die UdSSR gerichtet war, und erst im August 1939, unmittelbar nach Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes zwischen Deutschem Reich und UdSSR durch die japanische Niederlage in der Schlacht am Halchin Gol begrenzt wurde, ist heute weitgehend unbekannt.)
Mishra versucht die Motivationen der großen Nationalstaatengründer Nasser, Nehru, Mao u.a. verstehbar zu machen: So leben wie die Europäer und Amerikaner.
»Doch«, fügt er an, »die Dampfwalze des industriellen Kapitalismus hat es in der nicht westlichen Welt nie vermocht die Religionen zu überrollen.«
Diese Religionen erlebten ein »militantes Revival«. Hier fügt Mishra an, dass sich die westliche Nationenbildung gar nicht kopieren ließe. Er führt die Ursache für die westliche Vorstellung auf »späthegelianische Fantasien« zurück. Dem Anschein nach meint Mishra hier eher den frühen EU-Ideologen Alexandre Kojéve als dessen Epigonen Francis Fukuyama und seiner These vom »Ende der Geschichte«.
Wichtig ist, dass Kritik nicht moralisierend auftritt, sondern nach theoretischen Schwachpunkten sucht. Und hier hat Mishra hat schon den richtigen Punkt getroffen. Die westliche Fortschritts-Auffassung ist, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, von Hegelianern geprägt worden. Nur auf dieser Grundlage konnte das Konstrukt von der westlichen »Universalkultur« entstehen, dass allen anderen Kulturen nur eine nachholende Entwicklung zubilligte. »Zivilisierung wider Willen« nannte Dieter Senghaas dieses »Nachholen«. Aber wer wird schon gern zwangsweise »zivilisiert«?
Hegel hätte sich angesichts dieser theoretischen Leistungen, die eher an den abstrakten Kant erinnern, im Grabe umgedreht. Das Allgemeine kann nie rein in die Existenz treten. Das Wesen findet sich immer nur in den Erscheinungen. In allen Kulturen sind allgemeine Züge vorhanden aber die Kultur im Allgemeinen, die kann es nicht geben.
Zudem flüchtet sich die etablierte westliche Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten in bloßes Vergleichen. Aus westlicher Sicht wurde abstrakt-allgemein die Welt »vermessen«.
»Sonderwege« wurden herausgefiltert und anschließend moralisch verurteilt. Besteht Geschichte nicht nur aus Sonderwegen?
Eine Wissenschaft, so Johann Gottfried Herder, die das Besondere nicht erklären kann, ist keine. Herder wäre auch Herrn Professor Mishra einmal zur Lektüre zu empfehlen gewesen, denn er weist uns zwar auf die Religion in Asien, Afrika und Lateinamerika hin, belässt es aber bei der Unterscheidung zum Westen. Richtig ist, dass das westliche Aufklärungsverständnis sich allein auf Vernunft konzentrierte und den Glauben vernachlässigte. Es war Joseph Kardinal Ratzinger, der vor mehr als zehn Jahren Philosophen und Theologen an die wechselseitige Bedingtheit von Glauben und Vernunft erinnerte.
Wenn heute eine Instanz den dringend notwendigen Frieden herbeiführen könnte, dann wären es die Religionen. Aber die Kirchen müssten sich einer Vernunft-Kritik unterziehen.
In Wien wurde vor einigen Wochen eine Ausstellung mit dem Titel gezeigt »Es gibt nur einen Gott – aber viele heilige Schriften«. Diese von den Freimauren über Jahrhunderte vertretene Einsicht könnte ein Anfang sein.
Die deutsche Kultur hätte einiges beizutragen. Wer kennt nicht die Sehnsucht der Jenaer Frühromantiker nach einer Urerzählung? Früher und differenzierter entwickelte in Weimar Johann Gottfried Herder diese Einsicht. Angesichts der Veröffentlichung von Zarathustra-Texten durch einen französischen Orientalisten sprach er von auffälligen Übereinstimmungen mit der Genesis und dem Johannis-Evangelium. In diesem Zusammenhang sprach Herder von der »Urerzählung der Schöpfung«, die über die Jahrtausende von einem Volk zum anderen weitergegeben worden, und jeweils in besonderer Weise »nationalisiert« worden sei.
Es besteht dem Anschein nach ein genetischer Zusammenhang der Religionen. Es müsste doch heute möglich sein die daraus resultierenden Zusammenhänge zwischen den Religionen hervorzuheben, um endlich die furchtbaren Folgen von Imperien-Phantasien, auch wenn S. Brzezinski es ein »demokratisches Imperium« nennt, einzudämmen? (S. Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. S. Fischer.1999. ISBN 3-596-14358-6)
Selbstverständlich bestehen nicht nur Gemeinsamkeiten zwischen Religionen und Kulturen. Man sollte nicht versuchen den anderen ihre Besonderheiten streitig zumachen. Im Gegenteil. Es geht um einen gemeinsamen Wettstreit der Kulturen, um ein gemeinsames Lernen, um eine gemeinsame friedliche Zukunft aller Menschen auf dieser Erde.
Johannis Eichenthal

Pankaj Mishra: Aus den Ruinen des Empire. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens. S. Fischer. Frankfurt 2013 ISBN 978-3-10-048838-1

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