Reportagen

BESUCH IN LÜTTENORT

 

Der Maler und Grafiker Otto Niemeyer-Holstein (1896–1984) baute mit seiner Familie auf einem Stück Schwemmland, an der schmalsten Stelle der Insel Usedom, seit den 1930er Jahren, Wohnhaus und Atelier auf: Lüttenort.

Es ist ein grauer, nebliger Sonnabendvormittag im Februar. Von Zempin führt ein ausgebauter Feldweg in Richtung Lüttenort. Auf dem Parkplatz stehen zwei PKW. Der Zugang zum Atelierhaus Niemeyer-Holsteins weckt unser Interesse. Im Kassenraum finden wir umfangreiche Literatur. Die Führung beginnt jedoch erst um 11 Uhr. Wir haben noch etwas Zeit und entschließen uns zu einer kleinen Wanderung im und um das Grundstück.

 

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Ursprünglich war hier eine kleine Anlegestelle für die Transporte der ansässigen Fischer und Bauern. Noch heute ist eine alte Pflasterstraße sichtbar, die durch das Grundstück zum »Hafen« führt. Hier legte aber auch der in Kiel geborene Otto Niemeyer-Holstein mit seinem Segelboot »Lütte« an.

 

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Man kann selbst an einem nebligen Februartag die Begeisterung des jungen Künstlers für diesen Ort verstehen. Der Blick auf das Achterwasser war und ist sicher zu allen Jahreszeiten ein besonderer Genuss.

Aber zunächst musste Niemeyer 400 qm Land erwerben. Allein das war schwierig. Ein preisgünstig erworbener Wagen der Berliner S-Bahn sollte das Wohnhaus werden. Der Transport kostete allerdings fast das Zehnfache des Wagens. Nur mit vielen Helfern konnte der Wagen vom Bahnhof zum Grundstück transportiert werden.

 

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Später entstanden zwei kleine Wohnhäuser. Heute wirkt dieser eingebaute Wagen, den man eigentlich nur noch an seinen Schiebetüren erkennt, wie die normalste Baulösung der Welt. Alles findet hier auf engstem Raum seinen Platz. Selbst zwei Gewächshäuser sind an das Ensemble angeschlossen. Ein Hinweis darauf, dass der Pflanzen- und Tierliebhaber Niemeyer hier als Selbstversorger lebte. Er baute Obst und Gemüse an und hielt Tiere. Ein eigenes Atelier war erst möglich als die Lagerhalle des kleinen Hafens frei wurde.

Otto Niemeyer Holstein, dessen Vater Jurist und Rektor der Universität Kiel war, wählte einen Weg der eigenständigen Existenz. Selbst Bootsrundfahrten mit seinem motorisierten Kutter »Orion« trugen zum Lebensunterhalt bei. So erarbeitete er sich die notwendige künstlerische Unabhängigkeit.

 

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Als Autodidakt erwarb er sich seine Kenntnisse auf Reisen nach Paris oder Ascona. Bis ins hohe Alter betonte er, dass ihm das Malen schwer falle, dass er kein »Talent« sei, dass er sich alles erarbeiten müsse. Das klingt angesichts seines Oevres von etwa 5000 Bildern wie Understatement. Doch Niemeyers Bemerkung trifft wohl auf viele Künstler zu. Demjenigen, dem es leicht fällt, dem fehlt oft die nötige Ausdauer.

Nun ist es 11 Uhr. Erfreulicherweise haben sich 15 Besucher eingefunden. Mehr passsen auch nicht in die kleinen Räume. Die kundige Dame vom Freundeskreis erzählt uns wichtige Dinge über das Leben des Künstlers. Die Geschichte des Hauses wird lebendig. Wir erfahren auch, dass Otto Niemeyer-Holstein Möbel und Gebrauchgegenstände aus dem Besitz des Vaters bewahrte und liebevoll in das kleine Häuschen einfügte. Ebenso vermag sie uns manches zur Entstehungsgeschichte einzelner Gemälde zu sagen.

Am Ende beindruckt uns die Leichtigkeit der Bilder Niemeyer-Holsteins, mit der er vor allem die gewaltige Natur seiner Heimat Usedom darstellte. Das Atelierhaus Niemeyers wurde zu einem Ort der Begegnung zwischen Künstlern. Nach seinem Tode ist es, gemäß seines letzten Willens, ein Museum, ein Ort der Künstlergespräche.

 

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Diabas-Büste »Käptn« von Peter Makolies im Garten von Lüttenort

 

Wir wissen nun, dass hinter dieser Leichtigkeit ein schweres Leben stand. Ein Besuch im Atelierhaus ist allen empfohlen, die Otto Niemeyer-Holstein oder Usedom oder beide mögen.

Johannes Eichenthal

Information

Lüttenort/Usedom, 17459 Ostseebad Koserow, Tel. 038375 20213

E-Mail: Atelier-ONH@t-online.de

www.atelier-otto-niemeyer-holstein.de

Bücher

Rudolf Mayer: Otto Niemeyer-Holstein, Henschelverlag Berlin 1983.

(nur noch antiquarisch lieferbar)

Roscher, Achim: Lüttenort. Geschichten aus dem Leben Otto Niemeyer-Holsteins.

Aufbau Taschenbuchverlag. Berlin . 3. Auflage 2014 ISBN 978-3-7466-2251-4

Roscher, Achim: Otto Niemeyer-Holstein. das unangepasste Leben eines großen Malers.

Aufbau Taschenbuchverlag. Berlin . 3. Auflage 2014 ISBN 978-3-7466-1737-4

www.aufbau-verlag.de