Museum für bergmännische Volkskunst
Reportagen

IM STUDIENORT K. A. FINDEISENS

Der 22. Oktober war ein ganz normaler Herbsttag. Schwacher Sonnenschein wechselte mit leichten Regenschauern. Das „Museum für bergmännische Volkskunst“ in Schneeberg und der Mironde-Verlag hatten am Abend zu einer Vorstellung der Buchreihe „Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland“ eingeladen. 

Museum für bergmännische Volkskunst

Frau Krippner, die Leiterin des Museums, begrüßte die Gäste und den Referenten Dr. Andreas Eichler vom Mironde-Verlag. 

Museum für bergmännische Volkskunst

Eichler gab vorab die Schwerpunkte seines Vortrags bekannt und führte in die historischen Bedingungen der Sprachlandschaft „Mitteldeutschland“, der Region zwischen Braunschweig und Görlitz, ein. Die Sprachwissenschaft spreche davon, so Eichler, dass sich zwischen 11. und 13. Jahrhundert, in einer existenziellen Krise des ostfränkisch-deutschen Reiches, in dieser Region die mittelhochdeutsche Sprache durch Ausgleich zwischen ober- und niederdeutschen Dialekten herausgebildet habe. Doch Sprache sei kein Subjekt. Es seien vor allem fahrende Sänger, Spielmänner, Minnesänger gewesen, die die althochdeutsche Sprache in eine neue Form brachten, um ihren Zuhörern unter den Bedingungen erodierender politischer Strukturen eine Perspektive weisen zu können. Dann begann Eichler seine Wanderung.

Museum für bergmännische Volkskunst

Bei Kurt Arnold Findeisen hielt er sich etwas länger auf. Dieser wurde am 15. Oktober 1883 in Zwickau als Sohn eines Bergbeamten und einer Lehrertochter geboren. Findeisen besuchte nach der Schule von 1898 bis 1903 das Königlich-Sächsisches Lehrerseminar in Schneeberg. Hier erwarb er die Bildungsgrundlagen für sein ganzes Leben. In Schneeberg lernte er Alfred Hofmann-Stollberg kennen, der mit ihm studierte. Später wurde Hofmann-Stollberg ein bekannter Maler. Findeisen hielt sich nach Abschluss des Studiums kurze Zeit in Jena auf. 1904 hatte er eine Hilfslehrer-Stelle an der Höheren Bürgerschule im vogtländischen Mylau inne. Doch eine Übernahme in den Schuldienst erfolgte dem Anschein nach nicht. Vielmehr war Findeisen ab 1912 Mitherausgeber einer Zeitschrift mit dem Titel „Das Vogtland und seine Nachbargebiete. Monatsschrift für heimatliche Kunst, Literatur und Wissenschaft“. 1914 erschien Findeisens erster Gedichtband „Mutterland“ (Titel von Alfred Hofmann-Stollberg). Im Ersten Weltkrieg war Findeisen als Krankenpfleger tätig. Nach dem Krieg trat er ab 1920 als Herausgeber der Zeitschrift „Sächsische Heimat“ auf. 1921 veröffentlichte Findeisen den ersten Teil eines Robert-Schumann-Romans mit dem Titel „Herzen und Masken“ (1924 „Der Davidsbündler“, 1936 „Du meine Seele, du mein Herz“) 1922 folgte der bis heute unerreichte Karl-Stülp­ner-Roman mit dem Titel „Der Sohn der Wälder“ (Titel von Alfred Hofmann-Stollberg). 1924/25 verfasste er ein Bühnenstück über den Maler Ludwig Richter und 1925 ein Buch über den vogtländischen Dichter Julius Mosen „Von Heimat und Heimweh“. Im gleichen Jahr übernahm Findeisen die Literarische Leitung des Nebensenders Dresden des Mitteldeutschen Rundfunks.

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1928 veröffentlichte Findeisen in der Mitteldeutschen Verlagsanstalt in Leipzig  das „Hausbuch mitteldeutscher Dichtung“, eine Dokumentation von in Mitteldeutschland seit dem 10. Jahrhundert entstandenen Texten. Zur Begründung seines Ansatzes verweist Findeisen auf die Bedeutung der Region: „… hier war … die Wiege der Reformation; die Sprache der Meißnischen Kanzleien wurde durch Luthers Bibelübersetzung die Schriftsprache ganz Deutschlands. Hier schuf Bach seine unvergänglichen Fugen, Cantaten, Passionen, die großen Aufklärer Leibniz und Lessing wurden hier geboren. Die Reform des deutschen Theaters bahnte sich von hier an … Aus all dem geht hervor, dass dieses Gebiet inmitten Deutschlands einen eigenen Verstand, ein eignes Herz, einen ganz besonderen Charakter hat“ (S. 3). Am Ende bestimmt er den  Charakter der Region? „Das Land ohne Leidenschaften … das von immer wiederkehrendem Missgeschick mit einer gewissen Elastizität des Erlebens und des Erleidens begabt wurde, das Land der verbindlichen Mittellinie“ (S. 338). Findeisen erhielt für das Buch den ersten Lessingpreis, den der Freistaat Sachsen 1929 vergab. Die akademische Wissenschaft war allerdings nicht in der Lage diesen Ansatz aufzunehmen. 

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Im Jahr 1928 veröffentlichte Findeisen in der Mitteldeutschen Verlagsgesellschaft in Leipzig das „Goldene Weihnachtsbuch“. Der Titel wurde von Alfred Hofmann-Stollberg gestaltet. Die Originalzeichnungen werden im „Museum für bergmännische Volkskunst“ aufbewahrt. Findeisen widmet das Buch den „zwölf Aposteln der erzgebirgischen Weihnacht“: Max Jungnickel, Friedrich Emil Krauß, Konrad Maria Krug, Friedrich Hermann Löscher, Karl Plenzat, Rudolf Schäfer, Otto Eduard Schmidt, Werner Schmidt, Alwin Seifert, Oskar Seyffert, Heinrich Sohnrey, Leo Weismantel. Im Buch beschreibt er auf liebevoll den Ablauf der Weihnachtszeit im Erzgebirge. Seine tiefe, poetische Sprache lässt vor uns Lichter  leuchten, Düfte und Farben auftauchen. Er vermag bei uns innere Bilder zu erwecken.  Am Ende fasst er seine eigen Darstellung zusammen: „Ein Schein, begütigend, verklärend, versöhnend, fällt aus diesen Stunden auf das ganze Jahr, rückwärts, vorwärts, ein Strom neuer Daseinsfreudigkeit und gestrafften Lebenswillens verteilt sich auf die graue Zahl mühsamer Werktage … ein heiliger Sinn entwaffnet den Irrsinn einer Zeit, die, maßlos enttäuscht und entmutigt, nicht mehr glauben will, daß ein Kind imstande sei, die Welt zu erlösen“ (S. 50 f.). Das Buch wird bis heute immer wieder neu aufgelegt. 

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Eichler erinnerte kurz an die „Zeit“, die 1920er Jahre mit wirtschaftlichem Auf-und-Ab, Inflation, nicht enden wollenden Reparationen und gleichzeitiger Einführung der Fließbandproduktion und Durchrationalisierung der Industrie. Walther Rathenau habe 1917 darauf verwiesen, dass aus der Verbindung von Industrie und Vernunft die Durchdringung des ganzen Lebens mit Forderung nach Effizienz hervorgehe. Gegen diese materielle Gewalt, so Rathenau, seien geistige Gegengewichte nötig, um nicht unter Anschein äußerlicher Freiheiten versklavt zu werden.

Das eigentliche Problem der 1920er Jahre war, so Eichler, dass geistige Gegengewichte zum Effizienzzwang fehlten. Der Verleger Samuel Fischer  hatte 1926 in seinen „Bemerkungen zur Bücherkrise“ formuliert, dass nicht zuerst die wirtschaftliche Situation, sondern die durch die Unterhaltungsindustrie geweckten Bedürfnisse nach bloßer Unterhaltung und Zerstreuung die Beschäftigung mit anspruchsvollen Büchern (und der Entwicklung geistiger Alternativen) verhinderten. Eichler erinnert auch an Thomas Manns Rede zum Ausgang der Reichstagswahl vom September 1930. Dieser habe betont, dass nicht in erster Linie die wirtschaftliche Lage sondern der Einfluss der Unterhaltungsindustrie den Wahlausgang bewirkt habe.

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Hier erinnert Eichler daran, dass der Schwarzenberger Fabrikant Friedrich Emil Krauß auch nach geistigen Gegenkräften zum Effizienzzwang der Fließbandproduktion gesucht habe. Schließlich sei er einer der größten Förderer erzgebirgischer Volkskunst geworden. (An einigen seiner Wettbewerbe beteiligte sich auch die Malerin, Bildhauerin und Formgestalterin Marianne Brandt.) Findeisen, so Eichler, sei noch einen Schritt weiter gegangen. Er habe im „Goldenen Weihnachtsbuch“ die volkstümliche Religiösität als Gegengewicht zum „modernen Effizienzzwang“ entwickelt. Bewusst habe er vorchristliche und christliche Religiösität als historische Einheit behandelt. Ähnlich wie sein Kollege Edgar Hahnewald das langsame Wandern durch die Heimat als Gegenkraft entdeckte, zelebrierte Findeisen die Weihnachtsreligiösität des Erzgebirges als eine Art geistiger Gegenkraft.

Die beiden Bücher von 1928 stellen, so Eichler, vielleicht den Höhepunkt in Findeisens Schaffens dar. Er verfasste nach seiner fristlosen Entlassung vom gleichgeschalteten MDR im Jahre 1934 noch bis an sein Lebensende wichtige historische Romane, doch die Strahlkraft der beiden Bücher aus dem Jahr 1928 erreichten diese nicht wieder.

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Eichler führte seine Wanderung zu Ende. Das Publikum dankte ihm mit Applaus. Frau Krippner überreichte ein Präsent. Es schlossen sich interessante Gespräche an, ohne Zweifel war es ein Ereignis. Den Organisatoren  und den Besuchern ist zu danken.

Johannes Eichenthal

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Information

Museum für bergmännische Volkskunst: https://www.bergstadt-schneeberg.de/seite/451053/museum-für-bergmännische-volkskunst.html

Die Bücher zum Vortrag können direkt beim Verlag bestellt werden

Andreas Eichler: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland. Sprache und Eigensinn 3. Von Thomas Mann bis Gundermann: https://buchversand.mironde.com/p/andreas-eichler-literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-t-3-von-thomas-mann-bis-gundermann

Andreas Eichler: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland: Teil 1 bis 3: https://buchversand.mironde.com/p/eichler-literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-teil-1-3

Die letzte Vorstellungen der Literarischen Wanderung im Jahre 2025:

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One thought on “IM STUDIENORT K. A. FINDEISENS

  1. Wenn ich da unten wohnen würde, würde ich keine Lesung verpassen. Aber ich wohne eben in Berlin. Aber hier in Berlin erlebte ich einen porsieabend besonderer Art: ganz gegenwärtig. Max Rademann leitet die lesebühne in Sachsen. Da würde ich auch hingehen. Durch Ausfall eines Kollegen musste er in Berlin mitlesen. Die Gruppe heißt: „Prun&prosa“(blöder Name) aber hervorragend. Die lesen auf der Straße auf, was es so alles sprachlich jetzt gibt. Es war umwerfend. Anderes Thema: am 1.12. wird im albertinum eine Skulptur meines Vaters per Pressekonferenz übergeben. Jetzt räumen sie die ständige Ausstellung um. Er steht dann zusammen mit Rodin und eiweiwei: au weia! Herzlichst! Franziska

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