Meister Eckart
Reportagen

DER GEBURTSORT MEISTER ECKARTS

Der 18. Oktober war ein sonniger Herbsttag. Am Abend zog es erfreulich viele Zuschauer in das Bürgerhaus von Tambach-Dietharz. Im Geburtsort Meister Eckarts war von der Tourist-Information und dem Mironde-Verlag zu einer Vorstellung der Buchreihe „Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland“ eingeladen worden.

Meister Eckart

Frau Hübscher, die Leiterin der Tourist-Information, begrüßte die Gäste, unter Ihnen auch Bürgermeister Marco Schütz, und den Referenten Dr. Andreas Eichler vom Mironde-Verlag. Dieser gab vorab die Schwerpunkte seines Vortrags bekannt: Er wolle deutlich machen, dass der Mensch durch bezeichnende Sprache zum Menschen werde, dass deshalb die Aneignung des sprachlich-literarischen Erbes enorme Bedeutung habe und dass für die erfolgreiche Erbeaneignung Voraussetzungen notwendig seien, die er vermitteln wolle. Im Anschluss gab er einen Überblick des Buchprojektes. 

Meister Eckart

In der Einleitung hob der Referent hervor, dass die Sprachlandschaft „Mitteldeutschland“, die bis 1945 die „Mitte“ der deutsch sprechenden Menschen war, im Zuge der Ostexpansion des ostfränkisch-deutschen Kaiserreiches im 10. Jahrhundert entstand. Bereits zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert geriet das Reich in eine existenzielle Krise. Die alten politischen Strukturen erodierten und neue waren noch nicht absehbar. Gerade in dieser Zeit wurde die althochdeutsche Sprache zum Mittelhochdeutschen weitergeführt. Abstrakt gesehen handelte es sich um einen „Ausgleich“ zwischen nieder- und oberdeutschen Dialekten. Doch inhaltlich ging es den Pionieren dieses Prozesses darum, dass man endlich in deutscher Sprache nach einem Weg aus der Krise suchen wollte. Vorreiter dieses Prozesses seihen die sogenannten Minnesänger gewesen. Eichler nannte beispielhaft Heinrich von Veldeke, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide. Letztlich habe die Funktionselite in Mitteldeutschland mittelhochdeutsch gesprochen. In der Folge stellte Eichler alle 67 Personen kurz vor, denen im Buch je ein Kapitel gewidmet ist.

Meister Eckart

Bei Meister Eckhart hielt sich der Referent etwas länger auf. Er verwies darauf, dass Eckart nach Mechthild von Magdeburg, deren Traktat „Vom fließenden Licht der Gottheit“ er im Erfurter Prediger-Kloster sicher in einer Abschrift gelesen hatte, einer derjenigen war, der in der zusammenbrechenden Ordnung die Suche nach einer Perspektive für das Individuum philosophisch vertiefte. Eckart lernte an der Pariser Universität die herausragenden Theologen seiner Zeit kennen. Er las lateinische, griechische, hebräische und vielleicht auch arabische Texte. Unterrichtet und disputiert wurde an der Universität in Latein. Traditionell setzte man Philosophie hier mit Weisheit, der Einheit der Gegensätze Glaube und Vernunft, gleich. Aber Glaube wurde als Dogma und Vernunft als bloß quantifizierende Missdeutung der Aristotelischen Logik vermittelt. Mit dieser Logik konnte man nur Folgerichtigkeit bereits bekannten Wissens nachweisen, kein neues Wissen gewinnen. So drehten man sich im Kreis und bewies immer wieder das Dogma. Diese Intellektualphilosophie war nicht nur keine Hilfe bei der Suche nach einem Weg aus der Krise, sie beschleunigte die Krise sogar. Deshalb musste Eckart nach anderen Möglichkeiten suchen. Die Predigten und Lehrgespräche in mittelhochdeutscher Sprache, die seit 1294 in Erfurt dokumentiert sind, waren philosophischer Unterricht auf höchstem Niveau. Aber auch Eckart war auf der Suche. Gerade diese kleine Form der Predigt gab ihm die Möglichkeit der Vermittlung seiner neuen Erkenntnisse und Resonanz bei seinen Schülern. Ohne Berücksichtigung dieser konkreten Umstände ist die Philosophie Eckarts nicht zu begreifen.

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Bei der Altphilologin Erika Albrecht verweilte Eichler auch etwas länger. Diese wurde 1953 in der FU Berlin von Hermann Kunisch mit einer Arbeit zu Meister Eckart promoviert worden. Danach war sie am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig. Erst nach ihrer Emeritierung publizierte sie eigene Forschungsergebnisse zu Meister Eckart. 1978 trat sie im Amtsblatt der Evangelischen Landeskirche Thüringens mit der Bestimmung des Geburtsortes von Meister Eckart hervor. Mit Unterstützung des Erfurter Kirchenarchivrates Dr. Erich Wiemann, und dessen Hinweis auf Artikel von Johannes Biereye und Heinrich Hesse, konnte sie nachweisen, dass sich Eckarts Vater „von Hochheim auf Tambach“ nannte, dass die Familie in Tambach lebte und dass Eckart hier geboren sei. Die konkurrierenden Orte „Hochheim“ bei Gotha und Erfurt seien dagegen nie Adelssitze gewesen. Das wichtigste Buch Albrechts erschien im Jahre 1987, erst nach ihrem Tod. Sie legte eine kommentierte neuhochdeutsche Ausgabe eines seit 1857 in mittelhochdeutscher Sprache vorliegenden Fragments Eckarts, mit dem Titel „Die sieben Grade des schauenden Lebens“, vor. Albrecht begründete stringent, dass Eckart unter „schauendem Leben“ die Verbindung von Aktivität und konzentrierte Passivität in der Meditation verstanden habe. 

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Die Kirche in Tambach-Dietharz ist heute eine Herbergskirche füe Fuß- und Radwanderer

Albrecht habe darauf aufmerksam gemacht, dass man Eckart nicht ohne die Meditationspraxis begreifen könne. Eichler ergänzte, dass die Meditation für Eckart der Kern des Gebets gewesen sei. Das Gebet habe dazu gedient, das Schicksal anzunehmen, nicht, sich Dinge zu wünschen. Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Gottfried Herder hätten an Eckart angeknüpft, um organische Systeme, wie das Lebewesen Erde, begreifen zu können, die allein auf empirischem Weg nicht erfassbar sind. Walther Rathenau habe das Konzept des „schauenden Lebens“ aufgenommen und seine wissenschaftliche Arbeit darauf begründet. Eichler verwies hier darauf, dass die heutige überspezialisierte Wissenschaft, die noch nach den Grundsätzen der bloß quantifizierenden Logik arbeite, kein Bild vom Naturkreislauf vorlegen könne. Eine Vorstellung vom Naturkreislauf sei aber notwendig, damit sich die Menschheit wieder in den Naturkreislauf einordnen könne. Auch heute sei ein Zurückgehen auf Meister Eckart angeraten.

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Das Bürgerhaus von Tambach-Dietharz

Nach Beendigung des Bild-Vortrages entstand eine angenehme Diskussion. Es war ein schöner Abend. Dem Anschein nach wirkt die Faszination des Geburtsortes Meister Eckarts noch heute. Jeder, der versucht, die deutschen Predigten Eckharts zu lesen, sollte wenigstens ein Mal Tambach-Dietharz besucht haben.

Clara Schwarzenwald

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Information

Die Bücher zum Vortrag können direkt beim Verlag bestellt werden

Andreas Eichler: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland. Sprache und Eigensinn 3. Von Thomas Mann bis Gundermann: https://buchversand.mironde.com/p/andreas-eichler-literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-t-3-von-thomas-mann-bis-gundermann

Andreas Eichler: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland: Teil 1 bis 3: https://buchversand.mironde.com/p/eichler-literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-teil-1-3

Weitere Vorstellungen der Literarischen Wanderung

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