Rezension

JEREMY RIFKIN: DER GLOBALE GREEN NEW DEAL

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin (Jg. 1945) veröffentlichte sein neues Buch mit dem Titel »Der globale green new Deal. Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann« im Frankfurter Campus-Verlag.

Im ersten Teil beginnt Rifkin mit der These, dass die Infrastruktur der heutigen Industriegesellschaft veränderte werden müsste um zukunftsfähig zu werden. Er bringt keine stringente Argumentation vor, sondern arbeitet mit einer Mischung aus analytischen Trenddarstellungen und persönlichen Anmerkungen. So flicht er immer wieder ein, dass er eben bei dieser oder jener Regierung zur Beratung gebeten oder von dieser oder jener Regierungschefin mit einem Gutachten beauftragt wurde. Die Kapitelüberschriften enthalten Visionen: z.B. »Grüner Gratisstrom für alle«, »Kohlenstofffreies Leben: autonome E-Mobilität, vernetzte Gebäude und smarte Öko-Landwirtschaft« u.a. Der größte Teil seiner Argumentation zur Vermeidung des Kollapses unserer Zivilisation richtet sich an Investoren. Rifkin rechnet Ihnen vor, dass das Festhalten an der fossilen Infrastruktur zu Billionen-Verlusten führen werde, und dass es deshalb besser sei, in die erneuerbaren Energien (Sonne, Wind u.a.) zu investieren. 

Auch im zweiten Teil setzt Rifkin seine Argumentation im Stile eines Groß-Unternehmensberaters, der seinen Auftraggeber nicht erschrecken möchte, fort. Ohne Zweifel hat dieser Versuch etwas für sich. Die Zukunft der Menschheit ist zu ernst, um wichtige soziale Kräfte auszuschließen, selbst die nicht, die für die bisherige Misere verantwortlich sind. Die Frage ist, ob Rifkin in diesen Kreisen damit etwas erreicht. Daran schließt sich eine weitere Frage an: für welchen Leserkreis wurde dieses Buch geschrieben? Vielleicht eher für US-Leser? Rifkin listet z.B. nüchtern die Defizite der US-Wirtschaft auf. In den nächsten Jahren sind Billionen Dollar notwendig, nur um die marode Infrastruktur auf dem Stand von heute zu halten, von Erneuerung gar nicht zu reden. Dagegen stellt Rifkin China und Europa in Sachen erneuerbare Energien nahezu als vorbildhaft dar. Diese Darstellung soll dem Anschein nach den US-Leser beeindrucken, verzerrt aber die tatsächliche Lage z.B. in Europa und besonders in Deutschland.

Man könnte noch viele Einwände bringen. Aber damit würden wir dem offenen, in mancher Hinsicht auch naiven Bemühen des Autors nicht gerecht.

Freilich macht er es uns nicht leicht. So beginnt er mit seiner wichtigen These, dass die zentralisierte Infrastruktur der Industriezeit dezentralisiert werden müsse, dass Regionen und Kommunen bisherige Aufgaben des Nationalstaates übernehmen werden. Für seine deutschen Leser fügt er aber an, dass »distributet« nicht im Sinne von »dezentralisiert« sondern als »verteilte« Infrastruktur übersetzt werden soll. Aber wenn eine erstarrte Zentralisierung aufgelöst werden soll, dann wird diese de-zentralisiert. Es waren zwei Europäer, der Philosoph Jacques Derrida und der Architekt Rem Kohlhaas, die in den 1980er Jahren anlässlich einer Ausstellung in New York für den notwendigen Prozess die Metapher von der Dekonstruktion der Industriegesellschaft aufwarfen. Nicht zufällig wurde in der UdSSR in der gleichen Zeit der Ausdruck »Perestroika«, mit ähnlicher Bedeutung geprägt.

Aber hier kommen wir auf ein weiteres Problem: Rifkin sieht dem Anschein nach die Lösung der genannten Probleme als eine alleinige Frage des Konsums. So berichte er über Modelle des Teilens von Produkten (Sharing, Ko-Konsum), den Produktionsstrukturen der Industriegesellschaft widmet er jedoch kaum einen Satz. Aber Nationalstaat, Industrie, Zentralisierung – das sind nur Aspekte ein und derselben Entwicklung. Seit 1800 ballten sich Strukturen und Macht zusammen. Kohle und Öl waren die Ziele der Kriege des 20. Jahrhunderts. Dafür hetzte man die Völker gegeneinander auf. Die Dekonstruktion dieser Monopol-Strukturen dürfte nicht so einfach werden. Rifkin äußert sich darüber jedoch nur sehr verschwommen. Ebenso wenig finden wir Hinweise auf jene Strukturen und Kräfte, die die Dominanz der jetzigen Industriegesellschaft ablösen sollen. Seiner Meinung reicht in der Zukunft jedem Menschen ein Smartphone, um an der globalen Wirtschaft teilnehmen zu können. Ein großer Teil der Menschen verfügt bereits über solche Technik, ohne dass eine Wirkung in Rifkins angedeutetem Sinn zu verzeichnen ist.

Es war der französische Wissenschaftler Jean Fourastié, der den Satz prägte, dass die Zukunft der Industriegesellschaft alles andere als Industrie sein werde. Das wurde oft als Plädoyer für eine »Dienstleistungsgesellschaft« verstanden. Aber in der ganzen Wirtschaft geht es um »Dienstleitung«. Der Ausdruck »Dienstleistungsgesellschaft« sagt daher alles und nichts. Wenn wir aber die strukturelle Ebene in unsere Überlegung einbeziehen, dann kommen wir auf Fernand Braudels Hinweis, dass die eigentümergeführten Familienbetriebe weltweit die Grundlage allen Wirtschaftens darstellen. Diese Grundlage muss man stärken, wenn man von der Dominanz des industriellen Verhältnisses zur Natur in ein anderes Aneignungsverhältnis übergehen will. Eine stabile Gesellschaft hat einen tiefen Schwerpunkt, d.h. eine breite Basis. Umgekehrt führt die Einengung der Basis zu Gunsten der Spitze zu wachsender Instabilität.

Auch »Bildung« kommt bei Rifkin nicht vor. Der weltweite Übergang zu einem anderen Verhältnis zur Natur ist aber nur mit der Schaffung gleicher Bildungschancen für alle Menschen in ihrer Lebenswelt denkbar.

Aber Rifkin bringt dafür einen Hinweis, den wir in der heutigen Literatur selten finden: Er verweist darauf, dass wir einen Platz im Naturkreislauf finden müssen. Allerdings benutzt er Bilder einer strafenden Natur, z.B. der »Zorn des Planeten« werde keinen verschonen (Seite 122).

Die Natur »bestraft« uns jedoch nicht. Im Universum geht alles nach berechenbaren Gesetzen vor sich, denen Planeten, Menschen und Staubkörner gleichermaßen unterworfen sind. Aber wenn Gleichgewichte auf der Erde oder im Kosmos gestört werden, dann setzen Gegenbewegungen ein. In den Büchern des heiligen Wissens des Rig-Veda oder des Daodejing wurden solche Einsichten seit Jahrtausenden überliefert. Hier finden wir die Grundlage, um das Projekt für Menschen aller Glaubensrichtungen zu öffnen. 

Der dem Anschein nach naive Glauben Rifkins an die Zukunftsfähigkeit der Menschheit erinnert an den unbefangenen Blick eines Kindes. Das kann also nur der Anfang sein. Der erwachsene Mensch muss sich seiner Verantwortung bewusst werden. Die analytische Vernunft Rifkins reicht für die Überwindung der strukturellen Verantwortungslosigkeit der Industriegesellschaft nicht aus.

Es war Johann Gottfried Herder (1744–1803), der 1784 mit seinem ersten Band der »Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit« eine Theorie des Naturkreislaufes vorlegte. Die Natur und unsere Erde betrachtete er als Lebewesen, als organische Systeme. Der Mensch hat für Herder die Verantwortung und die Möglichkeit an der Weisheit der Natur teilzuhaben. Menschliche Weisheit umfasst in jahrtausendalter Tradition, die Einheit der Gegensätze von Vernunft und Glauben. Vernunft ist die Fähigkeit aus unseren Fehlern zu lernen. Das versucht Rifkin erfolgreich. Glauben ist die Hoffnung, dass wir der kosmischen, der göttlichen Vernunft teilhaftig werden können. Wir brauchen den Glauben, um unseren Platz in der Natur zu finden. 

Es ist wohl nicht auszudenken, was dabei herauskäme, wenn Jeremy Rifkin seine analytische Vernunft, sein Engagement und seinen Enthusiasmus mit einer Herder-Lektüre verbinden könnte.

Johannes Eichenthal

Information

Jeremy Rifkin: Der globale green new Deal. Campus-Verlag, Frankfurt. 2019

320 Seiten, gebunden, Schutzumschlag

ISBN 978-3-593-51135-1

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

One thought on “JEREMY RIFKIN: DER GLOBALE GREEN NEW DEAL

  1. Ein großes Dankeschön an den Autor das er sich durch den Rifkin gegraben hat. Mir selber fehlt die Motivation dazu. Von daher bin ich sehr froh über diese wunderbare Zusammenfassung. Rifkin ist aus meiner Sicht ein Paradebeispiel für publizierende Weltverbesserer welchen jegliches Verständnis zu technologischen Zusammenhängen fehlt, jedoch meinen diese aus einem tiefsitzenden Glauben heraus zu etwas – aus ihrer naiven Betrachtungsweise – “Besseren” zu machen. Sie machen sich mit ihren veröffentlichten Thesen im höchsten Maße angreifbar, aber die breite Leserschaft ist ofensichtlich nicht in der Lage das zu erkennen. Ein kleines Beispiel: Einerseits plädiert Rifkin für die intensive Nutzung von Smartphones zur Einbindung des Individuums in die Weltwirtschaft, anderseits sieht er in der Dezentralisierung/Verteilung von Technologie die Lösung – nur: gerade Mobilfunknetze sind ein Paradebeispiel der IT-Zentralisierung und die weltumspannenden Datenkommunikationsnetze das Gegenteil von Energieeffizienz. Anderes Beispiel: Rifkin verlangt den Umbau der Infrastruktur, ignoriert dabei jedoch völlig die Aufwände zur Herstellung der dafür notwendigen baulichen/technologischen Grundlagen – eine Analyse bzw. Gegenüberstellung des lebenszyklischen Energieverhaltens der verschiedenen Varianten (Bestehendes erhalten, Umbau) fehlt völlig. Aber diese Analyse ist entscheidend: denn der Umbau/Aufbau von Infrastruktur erfordert Industrie und Energie – wo das herkommen soll und wie das funktionieren soll wird von Rifkin nicht weiter thematisiert. Darüber hinaus wirkt die von Rifkin gesetzte Deadline 2028 völlig willkürlich und basiert bestenfalls auf einer gedachten linearen Weiterentwicklung des Status Quo – so wie seinerzeit die Vorhersage des Club of Rome – schlechtestenfalls ist es eine rein fiktive theatralische Komponente eines PR-Konzeptes zur Aquise von Berateraufträgen bei der EU-Kommissionspräsidentin. Der Hinweis des Autors, wonach sich Rifkin tendenziell eher der us-amerikanischen Situation widmet, ist wesentlich und auch Bestandteil meiner Hoffnung wonach wir in Europa nicht zwangsläufig den von Rifkin geschilderten Weg nehmen müssen, sondern unsere eigene Entwicklung haben und unseren eigenen Weg gehen können.

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