Rezension

PAUL VERLAINE GEDICHTE

Sehr geehrte Damen und Herren, 

wir freuen uns, Ihnen einen Artikel Prof. Eberhard Görners vorstellen zu können.

Johannes Eichenthal

In Bielefeld-Jöllenbeck lebt ein Mann, welcher ohne Übertreibung in Deutschland als einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Französischen ins Deutsche zu würdigen ist: Dr. theol. Frank Stückemann, emerierter evangelischer Pastor und lutherischer Widerständler. Der Mann ist von großer Bescheidenheit und bemerkenswertem literarischen Fleiß. Neben seinen Übersetzungsarbeiten, auch Ernest Dawson aus dem Englischen, hat er zahlreiche Publikationen zu westfälischen Autoren der Aufklärung und des Vormärz veröffentlicht, vor allem über Johann Moritz Schwager, ein Pastor im Westfälischen, welcher sich auch als Schriftsteller einen Namen machte, was ihm von solchen großartigen Autoren wie Klopstock, Nicolai, Wieland u.a. bestätigt wurde. Das ist die deutsche Seite der Medaille Stückemann, die andere ist die französische. Von ihm wurde Tristan Corbie´res GALLIGE AMOUREN (1992) übersetzt, 1993 DAS SANDKÄSTCHEN von Charles Cros und 1995 vom selben Autor DIE KORALLENKETTE – alles im Verlag Psd. L. Partisander. POETISCHE WERKE von Jules Laforgue erschienen 2002 – und nun im Lyrik-Taschenbuch der Aachener Rimbaud Verlagsgesellschaft mbH 2021 GEDICHTE II von Verlaine, Paul – geboren am 30. März 1844 in Metz, gestorben am 8. Januar 1896 in Paris. In nur 52 Jahren hat er ein gewaltiges lyrisches Werk geschaffen. Als Sohn eines Berufsoffiziers, der jedoch 1851 aus der Armee austrat und nach Paris übersiedelte, wurde Verlaine nach Abschluss des Gymnasiums städtischer Beamter und führte ein bürgerliches Leben. 1866 und 1869 erschienen seine ersten Gedichtsammlungen POEMES SATURNIENS und FETES GALANTES – Gedichte, die in ihrer Betonung klangmusikalischer Elemente auf seine spätere Entwicklung hindeuteten. 1871 lernte Verlaine den Dichter Rimbaud kennen. Für ihn verließ Verlaine seine Familie und führte mit Rimbaud ein unstetes und ausschweifendes Vagabundenleben, das 1873 mit einem Mordversuch an dem Freunde endete, was Verlaine eine längere Gefängnishaft eintrug. In dieser Zeit entstand sein Gedicht über die DICHTKUNST – es nahm programmatisch vorweg die Wesenszüge seines späteren Schaffens: Ersetzung der Begrifflichkeit von Inhalt und Sprache durch Musikalität, Rhythmik, schwebende Unbestimmtheit, Nuancen, durch symbolhaftes Andeuten und Verschleiern bei gleichzeitiger Ablehnung strenger metrischer Regelhaftigkeit und jeglicher Rhetorik. Verlaine wurde zum Hauptvertreter des französischen Symbolismus. Verlaine, strenger Katholik und gleichzeitig gnadenloser Kritiker der Katholischen Kirche wie in

GLEICHNISSE

Herr, sei gepriesen, der Ihr mich zum Christen machtet, in dieser Zeit

voll Hass und blödsinniger Wut; Doch gebt mir auch die Kraft, den heitʼ

ren Wagemut Von einem Hund, der stets Euch treu zu bleiben trachtet.

Macht mich zum Lamm, das zu erwählen Ihr geruht, Weil es der Mutter

folgt und auf den Hirten achtet Und weiß, dass es, wird es vom Meister

einst geschlachtet, Die Wolle lassen muss und danach auch das Blut.

Lasst mich das Monogramm des Sohns als Fisch enthüllen; Er reite im

Triumph mich schlichtes Eselsfüllen Und stürze meinem Fleisch die Säue

in die Schlucht.

Denn besser als der Mann und als die Frau bestreiten In diesen falschen

und aufrührerischen Zeiten Die Tiere ihre Pflicht mit einfältiger Zucht.

Nach eigenem Bekenntnis gehörte Verlaine zu den VERFLUCHTE DICHTER die sich bewusst und teilweise provozierend außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stellten und in ihrer Dichtung dem Lebensgefühl der »Decadence« Ausdruck verliehen. Außer Verlaine zählte sich zu dieser Gruppe in einer 1884 erschienen Essaysammlung auch Mallarmé, Rimbaud, Viliers de I’Isle Adam und andere. Der provozierend antibürgerliche Charakter dieser Lyrik wird bei Verlaine besonders in den Bänden FEMMES und INVECTIVES sichtbar. Trotz verschiedner Versuche, als Lehrer oder Bauer zu arbeiten, vermochte Verlaine im bürgerlichen Leben nie mehr Fußzu fassen. Er starb, dem Alkohol verfallen, einsam und arm, obwohl er schon zu Lebzeiten den Ruhmestitel eines »prince des poeʼtes« erhalten hatte. Die über seine Epoche hinausreichende Bedeutung Verlains besteht in der nachhaltigen Bereicherung der Möglichkeiten, menschliche Empfindungen und Stimmungen poetisch auszudrücken.

Wir finden, der hier zitierte Text aus dem LEXIKON FREMDSPRACHIGER SCHRIFTSTELLER von den Anfängen bis zur Gegenwart, erschienen 1981 im VEB Bibliographisches Institut Leipzig, ermöglicht uns einen schönen Übergang zu den Überlegungen der Zeitschrift »Romanische Forschungen«, welche Frank Stückemanns Übersetzungsleistung »bewundernswert« sieht, die den Dichter beim Wort nehme und in dessen jeweiligen Sprachregister verbleibe: »Wohltuend schnörkellos, frisch und unverbraucht wirken diese Verse in der Diktion Stückemanns«, reflektiert der Literaturkritiker S. Gramatzki und lobt, »Er gerät nicht in die Versuchung, Verlaine seine eigene Tonart aufzuzwingen.« M. Ackermann schreibt in der »Literaturgesellschaft« über Stückemanns Übersetzungskunst: »das Erfrischende ist, dass diese Musikalisch-übertragende, inhaltlich möglichst wortgetreue Näherung, soweit sie im Deutschen irgendwie möglich ist, am genauesten, auch in rhythmischer Hinsicht, das wiedergibt, was Verlaine schreibt.«

FRÜHLING

Die junge Frau mit roten Haaren, Der Unschuld eine Lieblingsspeise,

Sprach zu dem blonden Mädchen leise Worte, die sanft und zärtlich waren:

»Du sprießt und blühst zu einer wahren Hainbuche auf kindliche Weise:

Lass meine Finger bei der Reise Im Moos zur Rosenknospe fahren,

Lass mich zwischen dem hellen Rasen Die Tautropfen von deiner nassen Und

liebreizenden Blüte trinken, –

Wie die zaghafte Himmelsbläue Das Morgengrau umstrahlt, erfreue Dich

 unbefangen nach Gutdünken.«

Verlaines Lyrik ist so aktuell, dass die Zeitschrift SINN UND FORM von der Akademie der Künste Berlin, in ihrer Nummer 69 im Jahre 2017 das Vorwort von Joris-Karl Huysmans zu Paul Verlaines »Poeme religieuses Paris« aus dem Jahr 1904 abdruckte: »Man muss gelebt haben, um schreiben zu können« – aber wie ist es mit dem Horror der Einsamkeit? Huysmans diagnostiziert: »Die Lust am Alleinsein, die ihn vor solcher Schmach hätte bewahren können, ist selbst bei denen selten, die ein geregeltes und ruhiges Leben führen. Es ist frappierend zu sehen, wie wenig vor allem Künstler es mit sich in einem Zimmer aushalten. Das Bedürfnis zu plaudern und sich zu zerstreuen beherrscht sie derart, dass sie die Gesellschaft des Erstbesten der Stille der Abgeschiedenheit vorziehen. Auch etwas Eitelkeit ist zweifellos im Spiel, der Wunsch, unter Mitbrüdern zu glänzen und zu verblüffen. Hinzufügen muß man auch, dass Einsamkeit für manchen heilsam, für viele andere aber verderblich ist.«

BESCHEIDENER RAT

Wenn uns Menschen schmähen, Geht uns dies nicht an. Geh, das Herz nur

kann Unser Wesen sehen.

Und noch ein Rat: Lesen Sie GEDICHTE II von Paul Verlaine, übersetzt von

Dr. theol. Frank Stückemann!

Eberhard Görner

Informationen

Paul Verlaine: Gedichte II. französich/deutsch. Lyrik Taschenbuch, Rimbaud Verlag Aachen 2021;

ISBN 978-3-89086-320-7

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