Am 20. September veröffentlichte die Sächsische Zeitung in Dresden einen Artikel mit der Überschrift »Tausende Jahre früher als gedacht ziehen die ersten Bergleute durchs Erzgebirge.« Die Zwischenüberschriften lauten: »Sachsen hatte den wichtigsten Stoff der Bronzezeit; Hier ist alles von Menschen gemacht; Der erste Tagebau Europas; Tausende Jahre alter Fernhandel.« Ein Archäologe wird zitiert: »Erstmals in Europa haben wir hier eine technische Anlage aus dieser Zeit freigelegt und datiert. … Der Fernhandel existierte bereits.« Der Journalist fasst am Ende zusammen: »Die wertvollen Bronzefunde in Sachsen und Böhmen, die Höhenburgen aus jener Zeit, die alten Pfade übers Gebirge bekommen eine neue Erklärung. Nicht nur der Bergbau, auch die frühe Vorgeschichte Sachsens muss daher ein Stück weit neu geschrieben werden.«
Vielleicht sollten wir erst einmal lesen, was unter dem Stichwort »Aunjetitzer Kultur« schon geschrieben wurde: »älteste Frühbronzezeitliche Kultur in Mitteleuropa aus der 1. Hälft des 2. Jahrtausends v. u. Z. nach dem Fundort Únětice (fr. dt. Aunjetitz) nahe Prag. Ihr Verbreitungsgebiet umfaßte den Süden der DDR, Großpolen, Schlesien, Böhmen, Mähren sowie Teile Österreichs und der Westslowakei. Das Metall als neuer Werkstoff wurde erstmalig zu einem wirtschaftsbestimmenden Faktor. Im Gegensatz zu den mehr Kupfer verarbeitenden Gruppen der süddeutschen Frühbronzezeit (Straubing, Adlerberg, Singen) war die Aunjetitzer Kultur von Anfang an auf die Bronzelegierung orientiert. – Die Herausbildung der Aunjetitzer Kultur war ein komplexer Prozess, in dem bodenständige endneolithische Kulturtraditionen mit bestimmten südöstlichen Elementen verschmolzen. Wirtschaftliche Grundlage und Hauptproduktionsfeld der Aunjetitzer Kultur blieb die Landwirtschaft. Der Grad der Arbeitsteilung in Ackerbau und Viehzucht erscheint relativ niedrig. Die ältere Aunjetitzer Kultur war vorwiegend an die fruchtbaren Löß- und Lößlehmgegebiete gebunden. Die Herstellung des Metalls förderte den Prozess der handwerklichen Arbeitsteilung nachhaltig, ohne ihn zu vollenden. Die entscheidende Errungenschaft der Metallurgie wurde aus dem Südosten übernommen […] Der Metallformschatz der Aunjetitzer Kultur umfaßt Schmuck, Waffen und Arbeitsgeräte. Technisch wurden alle Gußverfahren (Herd-, Schalen-, Kern-, Überfangguß und Guß in verlorener Form) angewendet. Hämmern und Treiben ebenfalls hoch entwickelt. Die Hortfunde sind nach bestimmten Regeln zusammengesetzt und für die Niederlegung präpariert (z.B. mit Bast umwickelte Ringe). Im Norden streuen die Metallfunde weit über das Verbreitungsgebiet hinaus. – Die Aunjetitzer Kultur ist in regionale Gruppen untergliedert. Die ältere Phase erscheint einheitlicher, die innere Differenzierung nahm in der jüngeren Phase zu. Metallerzeugung, Austausch handwerklicher Produkte sowie Erzeugung eines ständigen Mehrproduktes bedingten den Zerfall der Urgesellschaft und führten zu ersten Erscheinungsformen der militärischen Demokratie. Hervorragendes Kennzeichen dafür sind u.a. die sogenannten Fürstengräber von Leubingen, Helmsdorf, Nienstedt und Sömmerda. In Böhmen und Mähren zeichnet sich die fortschreitende soziale Differenzierung in befestigten Höhensiedlungen ab (Věteřov-Typ). Die Aunjetitzer Kultur fand ihr Ende mit der Herausbildung der Hügelgräberbronzezeit, die die kulturräumliche Differenzierungen der frühen Bronzezeit nivellierte und die Metallwirtschaft als allgemeine Erscheinung in Europa durchsetzte.« (Lexikon früher Kulturen. 2 Bde. Hrsg. Joachim Hermann, Hans Quitta, Horst Klengel, Johannes Irmscher und Irmgard Sellnow. Bibliographisches Institut, Leipzig 1987, Bd. 1, S. 94 f.)
Altstraßennetz-Verbindung von der Nordseeküste über das Erzgebirge an das Schwarzem Meer. (Aus Günter Eckardt: Zur Schneeberger Bergbau- und Siedlungsgeschichte. Niederfrohna 2022, S. 84.)
Halten wir also fest: 1. In der Wissenschaft war die Existenz der ersten frühbronzezeitlichen Kultur Europas – zwischen Westslowakei und Harz – bekannt. 2. Bronze besteht aus den Metallen Kupfer und Zinn. 3. Die Lagerstätten von Kupfer und Zinn im Gebiet dieser Kultur sind weitgehend erforscht. Die daraus möglichen Abbaufelder waren bekannt. Gab es dennoch niemanden, der den Uraltbergbau im Erzgebirge thematisierte, um danach suchen zu können?
Dr. rer. nat. Dominique Görlitz (4. v. re) am 14. Juli 2022 bei der Eröffnung der Ausstellung »Welt der Himmelsscheiben« in Braunsbedra. Rechts neben ihm Günter Eckardt. (Link zur Litterata-Reportage: https://www.mironde.com/litterata/10240/reportagen/die-welt-der-himmelsscheiben)
Der Kapitän des Schilfbootprojektes ABORA, Dr. rer. nat. Dominique Görlitz, würdigte in der Gaststätte »Zur goldenen Sonne«, am 6. März 2023, seinen am 30. Dezember 2022 verstorbenen Mitstreiter Günter Eckardt. Vor allem die Auswahl des Kurses von ABORA IV, bei dem es um den Nachweis einer Seeverbindung zwischen Schwarzmeerhäfen im heutigen Bulgarien und Ägypten ging, sei Günter Eckardt zu verdanken. Auch die beständigen Hinweise auf transkontinentale Wegenetze von der Nordseeküste zum Schwarzen Meer, auf die frühbronzezeitliche »Aunjetitzer Kultur« in Mitteleuropa, zwischen der Westslowakei und dem Harz, und den Uraltbergbau im »Sudetengebirge« (= »Wildschweinberge«; Claudius Ptolemäus, um 140 u.Z.; erst im 16. Jahrhundert prägte Melanchthon die Bezeichnung »Erzgebirge«.), seien ein bleibendes Verdienst Günter Eckardts. (Link zum Litterata-Artikel: https://www.mironde.com/litterata/10774/reportagen/erinnerung-an-guenter-eckardt)
Am 8. November 2022 stellte Günter Eckardt, gemeinsam mit der Buchhandlung »Buch und Kunst«, in der Anton-Günther-Stube des Erzgebirgs-Zweigvereins Schneeberg-Neustädtel in Schneeberg am Markt 6, sein neues Buch »Zur Schneeberger Siedlungs- und Bergbaugeschichte« vor. Um seine Hypothes zu beweisen, dass der Bergbau am Schneeberg nicht erst mit der Suche nach Silber begann, dass Anlagen, wie die Fundgrube Rappold auf weit älteren Fundamenten errichtet wurden, startete Günter Eckardt eine transdisziplinäre Reise durch die Geschichte Mitteleuropas. Er vermochte dabei Zusammenhänge verschiedener Disziplinen aufzuzeigen. U.a. stützte er sich auf die Erkenntnisse des Altwege-Forschers Jens Richter. Seine Hypothese lautete: Wenn sich die Aunjetitzer Kultur auf die Herstellung von Bronze stützte, dann müssen die Fundorte für Kupfer und Zinn, wie der Herstellungsort für Bronze auch im Verbreitungsgebiet zu finden sein. Wenn der Anteil von Kupfer in der Bronzelegierung 90 Prozent umfasst, dann kann man annehmen, dass Bronze nahe dem Kupfer-Fundort geschmolzen wurde. (Hier glaubte er, dass im Gelände des späteren Klosters Memleben das Zinn aus dem Erzgebirge mit dem Kupfer aus dem Vorharz verschmolzen wurde.) Wenn frühbronzezeitlicher Bergbau in Mitteldeutschland denkbar und nachweisbar ist, dann muss auch römischer Bergbau hier denkbar und nachweisbar sein. (Hier vermutetet er, dass die römische Armee von der Donau her zum Erzgebirge vordrang. Das Kloster Grünhain vermutetet er z.B. auf römischen Fundamenten errichtet. Bergbau, der für die genormte Waffenproduktion notwendig war, wurde von der römischen Armee selbst betrieben, nicht nur »bewacht«. Auch strategische Bauwerke wurden mit genormten Bauteilen von der römischen Armee, die über Ingenieure, Vermesser, Kartographen u.a. verfügte, errichtet.)
Seine Unvoreingenommenheit und seine Offenheit ermöglichten dem gelernten Maler, studiertem Kulturwissenschaftler und Restaurator, dem Grenzgänger verschiedener Wissenschaftsdisziplinen Günter Eckardt, nach der notwendigen transdisziplinären Erforschung unserer Geschichte zu streben, und uns in die richtige Richtung zu führen. Wie nennt man solche Menschen? Pioniere, Scouts, Sherpa! (Link zum Litterata-Artikel über die Buchvorstellung: https://www.mironde.com/litterata/10659/reportagen/zur-schneeberger-bergbaugeschichte)
Johannes Eichenthal
Information
Günter Eckardt: Zur Schneeberger Bergbau- und Siedlungsgeschichte.
21,0 × 21,0 cm, Broschur, 96 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen und Fotos
VP 16,00 Euro; ISBN 978-3-96063-050-0
Erhältlich in jeder Buchhandlung oder versandkostenfrei beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/guenter-eckardt-zur-schneeberg-bergbau-und-siedlungsgeschichte
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.
Danke für den interessanten Artikel und die ausgezeichnete Erklärung zur Aunjetitzer Kultur.
Die historischen Handelsbeziehungen, die Wegebeziehungen über größere Distanzen und der bronzezeitliche Bergbau in unserer Region bilden einen weiteren kleinen Baustein zum Erkennen und zur Würdigung der Leistungen unserer Vorfahren.
Gern möchte ich auch auf den Abbau von Zinn im Osterzgebirge hinweisen. Die gleiche Projektgruppe hat in Schellerau (Osterzgebirge) einen ähnlichen bronzezeitlicher Abbau von Zinnerz beschrieben. (s. u.a. https://www.saechsische.de/sachsen/sachsens-geschichte-begann-viel-frueher-als-gedacht-V6DMNKQJIUHI5K4U7WETETI63I.html )
Wir können also Günter Eckardt zu seiner aufwendigen Recherche und den spannenden Erklärungen nur postum unseren Respekt zollen sowie ihm danken und sind gespannt, welche Erkenntnisse uns noch im Bereich Archäomontanwesen erwarten.
Ein sehr interessanter Artikel ,dem ich ein Erlebnis beifügen möchte .Das liegt allerdings schon etwa 20 Jahre zurück .
Eine Reise ( Dienstreise ) entlang der Route nach Südosten etwa 900 Km entfernt. Allerdings über Autobahnen und Landstraßen mit dem PKW ist das an einem Tag zu schaffen.Das Ziel war Kosìce ( Kaschau) die zweitgrößte Stadt in der Slowakei.
Eine Industriestadt mit historischem Kern und viel Historie.Ganz im Zentrum der Stadt der „St.Elisabeth Dom“.Der größte Dom der Slowakei und zugleich der östlichste gotische Dom von Europa.
Das beste aber war das Museum ( Ostslowakisches Museum).Hier gab es auch eine Reihe von Ausgrabungsstücken zur Besiedlung und Bebauung in Urzeiten bis ins Heute.
Das bedeutendste Exponat ist aber der Goldschatz von Kosice.Etwa 3000 Golddukaten aus dem 16.-17. Jahrhundert fein poliert und in Schaukästen allesamt ausgestellt !!!
Dazu ist der Weg in den Keller notwendig in eine Art Bunker mit mächtiger Stahltür.
Auch hier eine Superlative-es ist der größte in Europa gefundene Goldschatz-über 11Kg Gold in einem Haus bei Abrissarbeiten 1935 gefunden.Da müssen schon wohlhabende Leute in der Stadt gewohnt haben.Das interessante dabei ist -woher stammen die Münzen?
Von Siebenbürgen,Ungarn,Böhmen,Polen ,Danzig,Niederlande und weitere Stätten.(Es gibt eine gute Beschreibung im Internet)
Ein reger Handel zwischen Schwarzem Meer und Nord-undOstsee und weiteren Regionen hat sich über Jahrhunderte bzw. über Jahrtausende herausgebildet .