Reportagen

ERINNERUNG AN CLARA ZETKIN

Der Heimat- und Naturverein Königshain-Wiederau e.V. lud am Abend des 8. März zu einer Buchlesung mit einem Sektimbiss in das Museum in der alten Dorfschule nahe der Kirche ein. In diesem Haus wurde am 5. Juli 1857 Clara Eißner geboren. Der Vater Gottfried Eißner war hier Kantor und Schullehrer, der seiner Tochter auch die Musik von Bach, Haydn und Beethoven nahe brachte. Die Mutter Josephine, geborene Vitale, die Tochter eines ehemaligen napoleonischen Soldaten, der in Leipzig seine Liebe fand und fortan als Sprachlehrer wirkte, war eine bekannte Frauenrechtlerin.

Clara-Zetkin-Skulptur vor dem Museum in der alten Dorfschule in Wiederau

Clara verbrachte in der romantischen Umgebung, als ausgesprochen „wildes Kind“ eine behütete Kindheit. Später besuchte sie in Leipzig die Privatschule der Frauenrechtlerin Auguste Schmidt und legte die staatliche Prüfung als Volksschullehrerin mit Auszeichnung ab. Clara Eißner trat 1881 in die illegal arbeitende Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP) ein, um die Emanzipation der Frauen und aller Menschen zu befördern. 1883 soll sie, nach heutiger wissenschaftlicher Sicht, im Pariser Exil den Namen des russischen Revolutionärs Ossip Zetkin (1850–1889) angenommen haben. Im Sinne eines kameradschaftlichen Miteinanders zwischen Frauen und Männern setzte sie gemeinsam mit Käte Duncker (1871–1953) auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen den 19. März als „Internationalen Frauentag“ durch. Später wurde das Datum auf den 8. März verändert.

Annett Schrenk, die Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte des Landkreises Mittelsachsen, begrüßte voller Freude die zahlreichen Gäste. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Der Referent Dr. Andreas Eichler vom Mironde-Verlag begann mit dem Verweis auf den Zusammenhang von Emanzipation und Aufklärung. Er verwies auf die vielzitierte Definition Immanuel Kants: Wir leben in der Epoche der Aufklärung. Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Eichler fügte an, dass die Mehrheit der Menschen sich heute aufkläre, indem sie sich ausschließlich über algorithmengesteuerte Netzwerke informiere. Das sei mit der Vereinheitlichung der Sprache, des Denkens und der Körperhaltung der Mehrheit, die permanent auf ein kleines Kästchen blicke, verbunden. Selbst die Träume dieser Menschen würden heute per Algorithmus vorgefertigt.

Bereits an dieser Stelle, wir hatten es so früh nicht erwartet, brachte Eichler seinen Lieblingsphilosophen Johann Gottfried Herder ins Spiel. Dieser habe gegen Kant’s Definition eingewendet, dass Unmündigkeit keine Schuld sei, dass die Vormünder die Unmündigkeit verursachten, und dass Aufklärung keine Epoche, sondern der gesamte Emanzipationsprozess der Menschen, die Bildung zur Humanität sei. Deshalb greife auch die Beschränkung von Aufklärung auf europäische Maßstäbe zu kurz. Nach Herder haben alle Kulturen und Religionen in diesem allgemeinen Emanzipationsprozess etwas einzubringen.

Die Wiederauer Kirche und im Hintergrund das Schulhaus, in dem Clara Zetkin geboren wurde.

In der Folge stellte Eichler alle Literatinnen und Literaten, die in den beiden vorliegenden Bänden der Buchreihe „Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland“ vertreten sind, mit einem Porträt vor. Bei Clara Zetkin verweilte er länger. Einerseits stellte er ihre Bemühungen um die Reform des Schulwesens mit den Vorläufern Martin Luther (1483–1546), Wolfgang Ratke (1571–1635), Christian Thomasius (1655–1728) u.a. in eine Reihe. Andererseits verwies er darauf, dass Zetkins Vorstellungen vom Bildungswesen denen Walther Rathenaus (1867–1922) ähnelten. Dieser hatte seine Reformvorstellungen im philosophischem Hauptwerk „Von kommenden Dingen“ entwickelt, das 1917 im S. Fischer Verlag Berlin erschien. Zudem verwies Eichler darauf, dass die literarischen Rezensionen Zetkins zu Johann Gottfried Herder (1744–1803), Johann Wolfgang Goethe (1849–1832), Friedrich Schiller (1759–1805), Honoré de Balzac (1799–1850), Henrik Ibsen (1828–1910), Bjørnstjerne Bjørnson (1832–1910), Alphonse Daudet (1840–1897) u.a. Ähnlichkeiten mit dem Programm des S. Fischer-Verlages aufwiesen. Eichler fasste zusammen, dass auf dem Feld der Emanzipation und Bildung die Gedanken Clara Zetkins zu finden sind, die wir heute vordringlich weiterführen sollten.

Nach Clara Zetkin ging es auf der Wanderung zwar noch weiter. Ich hörte von weitem die Namen Boas, Gunkel, Fischer, Huch, Rathenau, allein ich konnte nicht mehr folgen. Meine Gedanken verblieben bei Clara Zetkin und dem Internationalen Frauentag. Wenn der Feiertag wirklich international ist, dann wird er künftig auch für außereuropäische Vorstellungen geöffnet werden müssen. Das wäre sicher im Sinne Claras … Ich erwachte erst wieder aus meinen Gedanken, als Frau Müller, die 2. Vorsitzende des Heimat- und Naturvereins, dem Referenten mit einem liebevollen Frauentags-Blumenstrauß dankte. Dem Heimat- und Naturverein Königshain-Wiederau e.V. ist für sein Engagement zum Erhalt der historischen Stätte und der Erinnerung an Clara Zetkin zu danken.

Clara Schwarzenwald

Information

Das Museum in der alten Dorfschule: https://www.königshain-wiederau.de/verzeichnis/objekt.php?mandat=193335

Aktuelles Foto vom 8.3.2024: Das Clara-Zetkin-Denkmal, Bronze, nach einem Entwurf Walter Arnolds (1909–1979) wurde am 3. Juli 1967 im damaligen Clara-Zetkin-Park (seit 2011 Johanna-Park) aufgestellt. In Leipzig absolvierte Clara-Zetkin ein Pädagogik-Studium.

Die Bände 1 und 2 der Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland sind im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich: 

Band 1. Von den Minnesängern bis Herder: https://buchversand.mironde.com/p/literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-von-den-minnesaengern-bis-herder-sprache-eigensinn1

Band 2. Von Goethe bis Rathenau: https://buchversand.mironde.com/p/literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-von-goethe-bis-rathenau-sprache-eigensinn-2-1

Der Band 3. Von Landauer bis Gundermann ist für März 2025 ist angekündigt

https://buchversand.mironde.com/p/literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-sprache-und-eigensinn-3-von-landauer-bis-gunderman

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

2 thoughts on “ERINNERUNG AN CLARA ZETKIN

  1. Erwartungsfroh war ich der Einladung vom Mironde-Verlag Niederfrohna am 08. März 2024 nach Wiederau gefolgt. Ich bin extra zeitig losgefahren, um mich schon vor der angekündigten Abendveranstaltung mit Frau Müller vom Heimat und Naturverein Wiederau in der alten Dorfschule zu treffen. Meine Neugier auf das Clara Zetkin Museum war geweckt.
    Was mich erwartete, übertraf die kühnsten Träume… Immerhin, es war ja der Internationale Frauentag (!)- und zahlreiche Mitglieder des Vereins waren noch frohgelaunt dabei, den festlichen Empfang für die Gäste vorzubereiten. Auf den weißgedeckten Tischen erstrahlten liebevoll gebundene Frühlingsboten – Forsythien und Narzissen ver-zauberten das Ambiente. Frau Müller nahm sich Zeit, mich durch die beeindruckende Ausstellung über Leben und Werk Clara Zetkins zu führen. Unser Gespräch entzündete sich an den zahlreichen Exponaten und an den Er-innerungen längst vergangener Zeiten. Die Freude war groß, als die zahlreichen Besucher eintrafen und unter ihnen nicht wenige Freunde und Bekannte waren, die samt und sonders gekommen waren, um dem Vortrag des Autors und Verlegers, Andreas Eichler zu lauschen. Wortreich und gedankentief nahm er uns mit auf seinen „Literarischen Wanderungen“ und faszinierte mit überraschenden Entdeckungen.
    Ein Ereignis, was mich fortan mit großer Dankbarkeit begleiten wird!
    Ihr
    Siegfried Arlt
    Diplom-Kulturwissenschaftler
    Vorsitzender
    Goethe-Gesellschaft Chemnitz e.V.
    Ehrenmitglieder Goethe-Gesellschaft Weimar

  2. Es war ein interessanter Abend in ansprechendem Ambiente.
    Für mich war besonders schön, dass es vor der Lesung ausreichend Zeit für Gespräche und einen Rundgang durch die Ausstellung gab. Die gute und reichliche Bewirtung machte den Abend besonders „schmackhaft“.
    Alles war gut organisiert und liebevoll vorbereitet. Vielen Dank dafür.

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