Matthias Theodor Vogt
Reportagen

MATTHIAS THEODOR VOGT ZUM 65.

Anlässlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt, dem Gründungsdirektor des Institutes für kulturelle Infrastruktur Sachsen, fand am 24. Mai 2024 eine festliche Tagung statt. Mitstreiter und Schüler würdigten in Beiträgen den Jubilar. 2025 erschien im Universitätsverlag Chemnitz eine gewichtige Dokumentation der Tagung mit dem Titel „Kulturpolitik gegen den Strich“. Als Herausgeber werden Dieter Bingen (Köln), Stefan Garstecki (Chemnitz), Goro Christoph Kimura (Tokyo), Luigi Ferrara (Neapel), Peter Lah (Rom) und Beat Siebenhaar (Leipzig) genannt. Gleichzeitig mit der deutschsprachigen Veröffentlichung erfolgten Übersetzungen ins Englische und Japanische.

Matthias Theodor Vogt

Eingangsportal des Institutes für kulturelle Infrastruktur in Sachsen (ehemals Schlosss Klingewalde bei Görlitz)

Eingeleitet wird die Festschrift durch eine Laudatio der Herausgeber mit dem Titel „Zuhören, Nachdenken, Handeln“. Das ist die Kurzcharakteristik des Wirkens des Jubilars: „Es ist das historische Verdienst unseres Jubilars Matthias Theodor Vogt, in einem einzigartigem Analyse- und Dialogprozess mit den staatlichen, den kommunalen und den zivilgesellschaftlichen Ebenen zwischen 1991 und 1995 das Sächsische Kulturraumgesetz im gerade wiedergegründeten Freistaat Sachsen (a) ersonnen, (b) zur gesetzlichen Verankerung und (c) nicht zuletzt zu einer friktionsarmen Umsetzung gebracht zu haben.“ (S. 1) 1996 habe Vogt in Görlitz das „Institut für kulturelle Infrastruktur in Sachsen“ begründen können. Die Autoren verweisen darauf, dass Vogt bewusst in die „Provinz“ ging. Er habe wiederholt klar gestellt, dass 70 Prozent der Sachsen, Deutschen und Europäer im ländlichen Raum leben: „… erfunden werden die bedeutenden unter den künstlerischen, technischen und sozialen Innovationen gerade nicht in jenen Zentren, die nach Enzensberger unter Armut an Raum, Stille und echter Nähe leiden.“ (S. 3)

Matthias Theodor Vogt

Prof. Vogt anlässlich des 20jährigen Instituts Jubiläum in Klingewalde am 16.11.2017

In seinem Beitrag „Vertrauen und Zuversicht. Kulturpolitikin Sachsen 2024–2029 im Kabinett Kretschmer III“ hob Vogt noch einmal seinen subsidiären Ansatz hervor: „Kulturpolitik als Stärkung der Resilienz-Fähigkeit seiner Bürger und Kommunen“. Er fasste nüchtern zusammen: „2024 ist zu konstatieren, dass die Überforderung der Kreishaushalte durch die Bundesgesetzgebung sowie die daraus resultierende Überforderung der Gemeindehaushalte die Grundlagen des Kulturraumgesetzes zerstört hat.“ (S. 24) Für eine Erneuerung der Kulturpolitik nannte Vogt die „Stärkung der bürgerlichen Agora-Kompetenz“ (ebenda) Hier wird deutlich, dass Vogt über herkömmliche Kulturvorstellungen hinausgeht. Er hat dem Anschein nach von Anfang an die Herstellung von Öffentlichkeit, die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes im Auge. Im Zusammenhang damit ist vielleicht auch das Phänomen der „Agoraphobie“ zu sehen, wonach sich eine wachsende Zahl an Menschen in den westlichen Gesellschaften aus der Öffentlichkeit zurückzieht und die Gesellschaft damit zerfällt. (S. 27)

Matthias Theodor Vogt

Prof. Vogt während der Tagung in Hellerau am 11.4.2016

Auf mehr als 400 Seiten folgen die Beiträge der Mitstreiter und Schüler. Man kann den Jubilar jedoch vielleicht am ehesten verstehen, wenn man einmal einem mündlichen Vortrag lauschte. Am 11. April 2016 hatte die Sächsische Kulturstiftung zu einer Tagung mit dem Titel „Zukunft der Kultur im ländlichen Raum eingeladen.“ Matthias Theodor Vogt kritisierte in seinem Beitrag die Themenstellung. Es gehe um die Zukunft des Landkreis-Raumes mit und durch Kultur. 80 Prozent  der Arbeitsplätze der heutigen Kinder sei noch nicht erfunden. Dafür müssten Voraussetzungen geschaffen und Hierarchien aufgebrochen werden. „Raum“ müsse extrametropolitan definiert werden. Es gehe darum, die Bevölkerung außerhalb der Großstädte zu ermutigen. 

Matthias Theodor Vogt

Anlässlich des Besuches einer Königsdelegation aus Kamerun, Gabun und Benin in Klingewalde am 16.6.2018

Mit der Emeritierung des Jubilars wird vielleicht auch das Ende einer Epoche deutlich. Der in Rom geborene Kulturtheoretiker, Musiker, Libretist, Schauspieler u.a. ist ein Polyhistor. Die Bibliothek seines Arbeitszimmers in Klingewalde beeindruckte durch Umfang und Vielseitigkeit. Der heutige Wissenschaftsbetrieb setzt dagegen auf Spezialisierung und enge Disziplingrenzen. Bücher werden nicht mehr gelesen, sondern mit elektronischen Systemen nach Stichworten durchsucht. Ist es ein Abschied vom Bildungsbürgertum? Der große Johann Joachim Winckelmann schrieb am Ende seiner „Geschichte der Kunst des Altertums“: „Ich bin in der Geschichte der Kunst schon über ihre Gränzen gegangen, und ohngeachtet mir bey Betrachtung des Untergangs derselben fast zu Mute gewesen ist, … wie eine Liebste an dem Ufer des Meeres ihren abfahrenden Liebhaber, ohne Hofnung ihn wiederzusehen verfolgt …“ (Geschichte der Kunst des Altertums, Dresden 1764/Reprint 2017, S. 431).

Johannes Eichenthal

Matthias Theodor Vogt

Historische Ansicht Schloss Klingewalde

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Information

Die deutsche Fassung ist unter dem Titel: Dieter Bingen et a. (Hrsg.): Kulturpolitik gegen den Strich. Festschrift für Matthias Theodor Vogt zum 65. Geburtstag, herausgegeben von seinen Kollegen und Schülern. ISBN 978-3-96100-249-8

https://www.mironde.com/litterata/5424/reportagen/kulturpolitik-und-wirklichkeit

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