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AERODYNAMIK – IM GESPRÄCH MIT FRIEDER BACH

Sehr geehrter Herr Bach; Sie veröffentlichten zuletzt ein Buch über den Aerodynamik-Pionier Freiherr Reinhard von Koenig-Fachsenfeld. Dessen Name ist heute selbst in Fachkreisen weitgehend unbekannt. Woran liegt das?

Frieder Bach: Einerseits war Freiherr Reinhard von Koenig-Fachsenfeld ein starker Charakter, der zielgerichtet an der Aerodynamik im Fahrzeugbau arbeitete. Er war ein Kenner und Liebhaber der Technik, lebte spartanisch, ordnete alles der Aerodynamik-Entwicklung unter und wollte weder populär werden noch Geld scheffeln. Im Fahrzeugbau drehte es sich damals in Sachen Aerodynamik nicht um die Erfindung eines einzelnen Technikers sondern um die Arbeit einer ganzen Generation junger Flugzeugbauer, die das Metier wechseln mussten. Andrerseits fallen in Fachsenfeld bei Aalen heute Schloss und Schlosspark mehr in den Blick als die Erfindungen des ehemaligen Schlossherrn.

Auch im Straßenverkehr sieht man kaum noch elegante, aerodynamisch gestaltete Fahrzeuge. Es dominieren große, schwere, unförmige, teure Fahrzeuge. Ist es mit der Aerodynamik vorbei?

Frieder Bach: Sobald man wirkliche Einsparungen im Energieverbrauch der Fahrzeuge erzielen will, dann kommt man um die Stromlinienform nicht umhin. Die Erkenntnisse liegen vor. Freiherr von Koenig-Fachsenfeld veröffentlichte ein Standardwerk zur Aerodymik. Wollen wir nicht hoffen, dass sich die deutsche Industrie bei der Aerodynamik ein weiteres Mal von China überflügeln lässt.

Anfang der 1930er Jahre, Mitten in der in den USA ausgelösten Weltwirtschaftskrise, wurde in Zwickau und Chemnitz zur Rettung der regionalen Fahrzeugindustrie die Auto-Union gegründet. Kann man den Unternehmensnamen so verstehen, dass ab sofort nur noch Autos gebaut wurden?

Frieder Bach: Nein. Die Betonung lag auf „Union“, dem Zusammenschluss von vier bisher konkurrierenden Unternehmen zur Stärkung der Region. Das wurde bekanntlich mit den vier Ringen symbolisiert. So wie andere europäische Fahrzeughersteller, z.B. Bianchi und Puch, entwickelte auch DKW das ganze Fahrzeug-Spektrum vom Fahrrad, über Fahrrad mit Hilfsmotor, Motorrad, Dreirad bis zum Automobil. Die Erfahrungen der breiten Basis flossen stets in die Weiterentwicklung der Spitze ein. Und umgekehrt. Auch die Fahrradherstellung profitierte von den Erfahrungen der Motorradproduktion. Ein Bekannter kaufte eben von einem Sammler in der Schweiz ein mehr als 100 Jahre altes, voll funktionstüchtiges DKW-Fahrrad mit Hilfsmotor.

Heißt das, dass DKW die Erfahrungen vom Bau der Fahrräder bis zu den Motorrädern brauchte, um zum Beispiel 1938 den aerodynamischen F9 zu entwickeln?

Frieder Bach: Ja man brauchte die Erfahrungen aus der ursprünglichen Basis-Herstellung wie Fahrräder, Hilfsmotoren, Motorräder vor allem in der Produktion. In der Entwicklung und konkreten Fahrzeugkonstruktion kam im speziellen Fall „DKW“ oft das Managertalent Rasmussens zu Hilfe. Er hatte ein Gespür  für zukünftige Mitarbeiter, die patentwürdige Ideen mitbrachten, siehe Dynastart, Ladepumpe, Umkehrspülung usw.  Dazu kamen die Rennerfahrungen in allen Fahrzeugklassen. Vielleicht darf ich hier auch auf den letzten Sportwagen der Auto-Union aus Chemnitz verweisen. Der kam vor 1945 über eine Skizze nicht hinaus. Wir bauten 2019/20 das Fahrzeug auf F 9-Basis nach. Auch die angedachte aerodynamische Karosserie konnten wir in Zusammenarbeit mit dem Chemnitzer Fraunhofer-Institut entwickeln. Das Auto war für das Langstreckenrennen Berlin–Rom gedacht. Durch die Stromlinienform kam es mit 34 PS auf günstige Verbrauchswerte und sogar 160 km/h Spitzengeschwindigkeit.

Wenn man heute die Fahrzeugtechnik wirklich weiterentwickeln will, dann müsste man auch die technologischen Erfahrungen der ganzen Fahrzeugbasis berücksichtigen.

In diesem Band dokumentierte Frieder Bach etwa 450 Firmen aus der Region Chemnitz-Erzgebirge, die an der Fahrzeugentwicklung beteiligt waren. Der kürzlich verstorbene Prof. Carl H. Hahn gab dem Band ein Geleitwort.

Heute sind die Unternehmen aber hoch spezialisiert und eine breite Basis fehlt. Auch mittelständische Firmen mit der Produktbasis der Auto-Union wird es in Deutschland, auch in Chemnitz nicht mehr geben?

Frieder Bach: Das ist richtig. Weil uns das bereits in den 1990er Jahren klar war, gründeten wir das Sächsische Fahrzeugmuseum in Chemnitz. Wir sammeln von Fahrrädern über Fahrräder mit Hilfsmotor, Motorräder, Dreiräder bis hin zu PKW. Dabei konzentrieren wir uns auf die Auto-Union, DKW, Wanderer und IFA. Wir dokumentieren nicht nur die Exponate sondern auch die technologischen Erfahrungen. Übrigen ist auch ein Fahrrad mit Elektroantrieb im Bestand, das der Formgestalter Clauss Dietel in den 1990er Jahren entwarf.

Frieder Bach während des Gesprächs am 20. Oktober 2023

Im Fahrzeugmuseum ging am 22. Oktober eine Ausstellung zu Textima-Rennrädern zu Ende. Werden in Chemnitz heute noch Fahrräder gebaut?

Frieder Bach: Nicht in großer Serie. Es gibt in Chemnitz Fahrradhersteller, die aber als Handwerker oder „Manufaktur“ zu bezeichnen sind und hochwertige Fahrräder, oft auch für spezielle Zwecke herstellen. Die damalige Fertigung der „Textima“-Rennräder in der Nordstraße erfolgte ausschließlich für die „erste Garnitur“ der Radrennfahrer der DDR, also die National- und Friedensfahrtmannschaft. Die Erfahrungen der Rennfahrer flossen teilweise auch in  die Fertigung der käuflichen Rennräder, die im Diamant-Betriebsteil Wüstenbrand gefertigt wurden. Die Herstellung der „Diamant“-Räder, die heute in einem Gebäude im Gewerbegebiet in Hartmannsdorf erfolgt, wurde nach 1990 mehrfach verkauft und befindet sich im Besitz eines amerikanischen Fahrradherstellers. Unter dem Aspekt des Energieverbrauchs wird das Fahrrad in Zukunft für Entfernungen bis etwa 8 km wieder das Verkehrsmittel Nr. 1 werden. Für solche Strecken braucht man kein Elektroauto.

Sehr geehrter Herr Bach, vielen Dank für das Gespräch.

Johannes Eichenthal

Information

Die Bücher Frieder Bachs sind in jeder guten Buchhandlung oder direkt beim Verlag erhältlich.

https://buchversand.mironde.com/p/aus-der-werkstatt-der-natur-der-dkw-weltrekordwagen-des-freiherrn-reinhard-von-koenig-fachsenfeld

https://buchversand.mironde.com/p/der-letzte-kompressor-zweitakter-mit-dkw-genen

https://buchversand.mironde.com/p/der-letzte-auto-union-sportwagen-aus-chemnitz

https://buchversand.mironde.com/p/fahrzeugspuren-in-chemnitz-zur-historie-des-fahrzeugbaues-teil-1

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

One thought on “AERODYNAMIK – IM GESPRÄCH MIT FRIEDER BACH

  1. Aerodynamike Gestaltung hat zunächst grundsätzlich nichts mit der Antriedsart zu tun. Sowohl elektrisch angetriebene Autos als auch solche mit Verbrennungsmotor profitieren von den Untersuchungen, die Reinhard König-Fachsenfeld und weitere Pioniere in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt haben.
    Herrn Bachs Unkenrufen zum Trotz ist derzeit mit einem cW-Wert von 0,2 der elektrisch angetriebene Mercedes-Benz EQS das strömungsgünstigste Serienfahrzeug.

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