Über der Autobahn nach Dresden lag ein feiner Nebel aus Schneematsch. Der Schnee beherrschte den 17. Dezember, obwohl der Winter laut Kalender noch gar nicht begonnen hatte. Schwer beladene LKW donnerten mit 100 Sachen, glücklich einem Stau entronnen zu sein, auf der rechten Spur dahin. Ganz links stauten sich hochgerüstete Fahrzeuge, PKW mag man sie gar nicht mehr nennen, für deren Fahrer ausschließlich die Überholspur in Frage kommt. Diese »Überholer« sind oft die Verursacher von Staus. Eine Tragikomödie. Zwischen den LKW fahrend zogen jedoch selbst wir mitunter an den verstauten Linksfahrern vorbei. Aber wie die LKW so fuhren die PKW eigentlich nur in den nächsten Stau. Mit gigantischem Aufwand versuchen wir zur Zeit einige Meter weiter vorne im Stau zu stehen, koste es, was es wolle.
Das Lingnerschloss war an diesem Abend unser Ziel. Eine Umleitung. Das Waldschlösschen-Areal mussten wir umfahren. Endlich die Einfahrt zum Lingnerschloss. Die Zufahrt und der Parkplatz von fleißigen Helfern von den Schneemassen beräumt. Durch die Bäume strahlte das Schloss. Das traditionsreiche Gebäude ist noch immer eine Baustelle. Zwischen Bauplatten hindurch gelangten wir in den großen Saal. Dunkle Holztäfelungen aus den 1950er Jahren, die letzte Schicht solider handwerklicher Arbeit, prägen den Raum. Dazwischen großformatige Fotokopien der früherer Einrichtung. Das Elbtal-Panorama-Fenster war mit dunklen Vorhängen verdeckt. Aber dennoch schaffte es die Heizung nicht den Raum zu erwärmen. Das Publikum, etwa dreißig Personen, saß z.T. in Mäntel gehüllt und mit dicken Schals versehen auf den Stühlen. Ein kalter Hauch von Vergänglichkeit durchzog den Raum.
Eberhard Görner, Publizist, Filmemacher, Regisseur und Medienprofessor, trat mit den eben erschienen Weihnachtsgeschichten von Pater Gabriel vor das Publikum. In Vertretung des Autors, dem zur Zeit eine solche Reise nicht möglich ist, las Görner mit junger Stimme die Geschichten vom blinden Josua und Tamar von Bethlehem. Das Publikum hörte gebannt zu. Der Autor hätte es nicht besser machen können.
In den Lesepausen spielte die brandenburgische Kantorin Anja Liske (gebürtig in Limbach-Oberfrohna) weihnachtliche Lieder am Klavier (Stille, stille …!; Es ist ein Ros entsprungen u.a.) Die Liedertexte waren vorab an die Zuschauer verteilt worden. Zunächst klang die Gemeinde etwas zögerlich, bald sollte sich aber zeigen, dass im Publikum veritable Sänger saßen.
Am Ende danken die Zuschauer den beiden Akteuren mit herzlichem Beifall. Frau Lenk überreichte im Namen des Fördervereins Blumen. Beide verzichteten zugunsten des Wiederaufbaues des Lingnerschlosses auf ein Honorar.
Kommentar
Auf der Rückfahrt durch das verschneite Dresden in Richtung Autobahn wurde uns erst bewusst, dass wir trotz der Kühle im Schloss nicht gefroren hatten. Eberhard Görner und Anja Liske hatten es vermocht wärmende Hoffnung zu verbreiten. An kalten Wintertagen mit wenig Tageslicht wird uns vielleicht am ehesten klar, dass wir solcher bedürfen. Unser Dank gilt Pater Gabriel im fernen Tirol. Es ist ihm ein bemerkenswertes Buch gelungen. Dank an die Mitglieder des Fördervereins Lingnerschloss. Das Schloss ist ein angemessenes Forum für solch einzigartige Ereignisse.
Information
K. A. Lingner (geb. 1861) gründete am 3.10.1892 das »Dresdner Chemische Laboratorium Lingner«. Mit der Herstellung des Mundwassers »Odol« verdiente er ein zweistelliges Millionenvermögen. Er erwarb die Villa Stockhausen (später Lingnerschloss genannt). Neben seinem Aufsehen erregenden Lebensstil, z.B. mit seiner Motorjacht auf der Kieler Woche, widmete sich Lingner gemeinnützigen Projekten in Dresden.
Nach dem Scheitern von Investitionsprojekten nach 1990 gründeten kulturell interessierte Dresdner Bürger auf Initiative der »Von Ardenne Anlagentechnik GmbH« im April 2002 den gemeinnützigen Förderverein Lingnerschloss e.V.
Der Verein veranstaltet regelmäßig Führungen, Lesungen und Konzerte im Schloss.
info@lingnerschloss.de
www.lingnerschloss.de
Förderverein Lingnerschloss e.V. Bautzner Straße 132, 01099 Dresden
Das Buch des Abends
Pater Gabriel K. Lobendanz OCist: Weihnachtsgeschichten
Edition Kammweg Bd. 7
Mironde-Verlag 2009. ISBN 978-3-937654-43-0
Eberhard Görner als Regisseur
Zuletzt veröffentlichte Eberhard Görner zwei Dokumentarfilme über das Kloster Waldsassen mit dem Titel »Ruhen in der Zeit« und »Im Herzen Europas«. Die beiden Filme sind über das Kloster Waldsassen beziehbar www.abtei-waldsassen.de
Eberhard Görner als Autor
Der Narr und sein König. Der Taschenspieler Joseph Fröhlich in Dresden. Chemnitzer Verlag 2009. ISBN 978-3-937025-49-0
Himmel aus Stein. George Bähr und die Frauenkirche zu Dresden. Chemnitzer Verlag. 7. Auflage 2009.
ISBN 978-3-937025-12-4
www.chemnitzer-verlag.de
Am Abgrund der Utopie. Gespräche. Aufsätze. Selbstporträts. Faber und Faber. Leipzig 2007.
ISBN 978-3-86730-037-7
www.faberundfaber.de
Eberhard Görner als Herausgeber
Eberhard Görner, Uwe Schneider, Klaus Walther (Hrsg.): Ortstermin. Bilder aus dem Stollberger Land. Mironde-Verlag 2008. ISBN 978-3-937654-28-7
Eberhard Görner (Hrsg.): Pater Gabriel K. Lobendanz OCist: Kloster-Aphorismen.
Mironde-Verlag 2009. ISBN 978-3-937654-39-3
www.mironde.com