Reportagen

Robert Schumann und Leipzig – Horst Nalewski sprach über Robert Schumann und seine Dichter

Die Leipziger Mozartstraße glänzte am Abend des 18. Dezember im winterlichen Schneeweiß. Hier sind die Autos dem Anschein nach nur noch zum Parken da. So beherrschte eine himmlische Ruhe diese schöne Straße. Der Mond schien durch die wenigen Wolken herab. Die großen Bäume am Straßenrand warfen riesenhafte Schatten. Und hörte ich in der Mitte Leipzigs nicht gar den Ruf einer Eule?

Leipziger Mozartstraße

Unser Ziel war an diesem Abend Bührnheims Literatursalon in der Mozartstraße 8. Nach und nach füllte sich der kleine Saal. Um 19.10 Uhr begrüßte Dieter Bührnheim Professor Horst Nalewski zu einem Vortrag über »Schumann und seine Dichter«. Dies sei, so scherzte Bührnheim, wohl die letzte Gelegenheit, um am Ende des Gedenkjahres etwas zum 200. Geburtstag von Robert Schumann (8. Juni 1810–29. Juli 1856) sagen zu können.

Prof. Nalewski

Der Germanist und Rilke-Werke-Herausgeber Professor Horst Nalewski verwies zunächst darauf, dass für Robert Schumann der Weimarer Dichter Johann Wolfgang Goethe eine Zentralgestalt war. Wiederholt habe Schumann Goethes Äußerungen aus den Gesprächen mit Eckermann zitiert. »In der Poesie ist durchaus etwas Dämonisches, und zwar vorzüglich in der unbewussten, bei der aller Verstand und alle Vernunft zu kurz kommen und die daher auch so über alle Begriffe wirkt. Desgleichen ist es in der Musik im höchsten Grade …« (Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 8. März 1831)
Als Thomas Mann einmal nach seinen Lieblingsgedichten gefragt worden sei, da habe er »Zwielicht« und »Mondnacht« von Eichendorff in der Vertonung durch Robert Schumann genannt. Dabei sei für ihn »Mondnacht« die »Perle der Perlen«.

An dieser Stelle zitierte Horst Nalewski »Zwielicht« und spielte danach die Liedfassung vor:

»Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken ziehn wie schwere Träume –
Was will dieses Graun bedeuten?

Hast ein Reh du lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger ziehn im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.

Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug und Munde,
Sinnt er Krieg im tückschen Frieden.

Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches bleibt in Nacht verloren –
Hüte dich, bleib wach und munter!«

Anschließend zitierte Horst Nalewski »Mondnacht« und spielte danach die Liedfassung ein:

»Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.«

Horst Nalewski setzte seinen Kommentar fort: Im Januar 1847 habe Schumann in Wien Eichendorff seine Lieder vorgespielt. Franz Grillparzer und Adalbert Stifter seien auch zugegen gewesen. Eichendorff habe sich gegenüber Schumann sehr dankbar geäußert: Schumann habe seinen Liedern erst Leben gegeben.

Der Beginn von Schumanns Gedicht-Vertonungen sei das so genannte »Wunderjahr« oder »Scheiteljahr« 1840 gewesen. In jenem Jahr habe Schumann 138 Gedichte vertont. Die von ihm gewählten Autoren seien Goethe, Heine, Rückert, Chamisso, Uhland u.v.a. gewesen. Insgesamt habe Schumann Texte von 60 Dichtern in etwa 300 Liedern vertont.
Was ging dem voraus? Das Drama zwischen Robert Schumann und Clara Wieck. Clara Wieck hatte 1831 vor Goethe Klavier gespielt, danach in Paris. Der Vater Clara Wiecks wollte seine Tochter in die absolute Spitze der Pianistinnen bringen. Dazu war ihm einerseits jedes Mittel recht. Eine Verbindung zwischen Clara Wieck und Robert Schumann lehnte Friedrich Wieck ab. Er ging sogar bis zu einer Morddrohung gegenüber Robert Schumann.
So verlobten sich Clara Wieck und Robert Schumann 1835 heimlich. Die Hochzeit der beiden war 1840 nur über den gerichtlichen Weg zu ermöglichen. Das so genannte »Wunderjahr« 1840 steht also am Ende einer bedrohlichen Auseinandersetzung Schumanns mit seinem Schwiegervater. Aus dieser Spannung heraus vermochte Schumann sein Liedschaffen zu begründen. 1827 hatte Schumann Heinrich Heines »Buch der Lieder« gelesen. Hier fand er zu einer Begegnung mit sich selbst. Das werde in Schumanns Liedkompositionen deutlich. Als Beispiel nannte Horst Nalewski ein Gedicht aus »Junge Leiden« von Heinrich Heine. Bei Schumann hieß es: »Gestern dacht ich, kaum ertrag ichs …« Bei Heine habe es dagegen geheißen: »Anfangs wollt ich fast verzagen,/ Und ich glaubt, ich trüg es nie;«
Vielleicht hätte Schumann die Strophe nicht vertont, wenn er gewusst hätte dass Heine die Zeilen für einen Freunds schrieb, der verwundet aus dem Krieg zurückkehrte. Doch das Gedicht sei eine Liebesklage, das sei entscheidend.
Schumann habe ein weiteres Gedicht von Heine vertont »Du bist wie eine Blume, so hold und schön und rein …« In Schumanns Vertonung falle besonders der Refrain auf: »Sie ist dein, sie ist dein …«
In seiner Jugend habe Schumann zwischen Klavierspiel, dem Aufspielen von Räubergeschichten und extensivem Lesen geschwankt. Goethes Faust kannte er fast auswendig. In die Satzung eines literarischen Schülervereines brachte Schumann einen Passus ein, wonach es die Pflicht eines jeden Gebildeten sei, die Literatur seines Vaterlandes zu kennen.
Von den Schriftstellern schätzte Schumann besonders Weise, Schiller, Schlegel, Fichte, vor allem aber Jean Paul. Dessen literarische Methode ermöglichte Schumann die Identifikation, weil Jean Paul jede Hauptperson mit zwei Namen versah, die einerseits die ideale Welt der Poesie verkörperte und andererseits die deutsche Misere. In dieser »Bewusstseinsspaltung« fand sich Schumann wieder. So gab er sich selbst auch zwei Namen: Eusebius und Florestan.
Die Verbindung von Wort und Ton interessierten Schumann bereits früh. Nach dem Abitur war Schumann »Mulos« (Maulesel). Mit einem Freund zog er zunächst nach Bayreuth, um die Stellen zu besichtigen, wo Jean Paul gewohnt hatte. Danach zogen beide Freunde nach München, wo sich Heinrich Heine aufhielt. Dieser habe Schumann stundenlang durch München geführt und sich mit ihm über Literatur unterhalten. Heine habe ebenfalls Napoleon bewundert, »der mit der Reinigung des Augiasstalles Europa begonnen habe, dies aber nicht vollenden konnte«. Diese Bewunderung Napoleons habe bei Schumann lange angehalten. 1844 habe er Heines Gedicht (die beiden Grenadiere) vertont und in Erinnerung an Napoleon die Marseillaise anklingen lassen. Auch in vorherigen Liedern habe Schumann schon hin und wieder einzelne Takte der Marseillaise anklingen lassen.
1840 war das erstes Leipziger Jahr Schumanns. Man gewinne den Eindruck, als ob dieser noch immer zwischen Literatur und Musik schwankte. Er war ein bekannter Pianist geworden wirkte jedoch gleichzeitig als Redakteur der »Neuen Zeitschrift für Musik«.
Diese Artikel Schumanns in der »Neuen Zeitschrift für Musik« wurden sogar von Heinrich Heine in Paris gelesen, einzelne Artikel Schumanns fand Heine sogar »außerordentlich gelungen«. Die Vertonung seiner Gedichte durch Schumann kannte Heine dagegen wahrscheinlich nicht.
Schumann wollte mit der »Neuen Zeitschrift für Musik« die Musik der Gegenwart analysieren. Er wollte Musik in Worte setzen. Über manche Stücke von Mozart oder Beethoven könne man, so Schumann, keine angemessene Worte finden. Dennoch versuchte Schumann der Verbindung von Wort und Musik nachzugehen. Oft habe Schumann neun bis zehn Stunden am Tag für die Zeitschrift gearbeitet.
Selbst der mit Schumann befreundete Felix Mendelssohn Bartholdy habe nichts von solchem Musikjournalismus gehalten. Erst im 20. Jahrhundert sei die Doppelbegabung Schumanns von der Wissenschaft anerkannt worden. Hugo von Hofmannsthal habe einen Text Schumanns in eine Auswahl deutscher Sprache und Dichtung aufgenommen, ebenso Walther Killy und auch Stephan Hermlin nahm zwei Texte….. von Robert Schumann in sein »Deutsches Lesebuch« auf.
Das Jahr 1840 wurde dann zum »Jahr der Wunder«, zum »Liederjahr« Schumanns. Er gab eine Sammlung von Brautliedern heraus, mit einer Widmung an seine Braut.
Als dann Clara und Robert Schumann 1841 zwölf Gedichte Friedrich Rückerts vertonten und an den Dichter schickten, da erhielten sie eine Dank des Dichters. Nur Rückert und Eichendorff dankten Schubert für die Vertonung.
Horst Nalewski hob hier besonders Rückerts Text »Dichterliebe« hervor. In der Vertonung komme die Angst zum Ausdruck. Diese Gefühl der Angst war bei Schumann zwischen 1835 und 1840, in der Zeit der Auseinandersetzung mit seinem Schwiegervater, dem Anschein nach präsent. Der psychische Zustand Schumanns sei labil gewesen. Er hatte die psychische Struktur seiner Familie geerbt. Er schwankte zwischen hohen Aufschwüngen und Depressionen, bis hin zu Selbstmordgedanken. Schumann habe sich daher Dichtertexten zugewandt, um sich die eigene Situation im Wort zu verdeutlichen. Als Beispiel nannte Horst Nalewski hier das Lied »Der Spielmann« nach einem Gedicht von Andersen. Hier schwinge ein Ton der Verzweiflung, die Ahnung einer Tragödie. Der letzte Ton gehe ins Leere hinaus.
Die Bekanntheit Schumanns als Komponist werde heute immer noch vor allem an Symphonien, Oratorien, Opern und der Faust-Vertonung festgemacht. Auch hier gehe es um Schuld, Liebe, Reue und Erlösung. Es werde jedoch immer noch unterschätzt, dass Schumann einen Blick für die Melodie einer Dichtung hatte. Schumann habe einen Kranz aus Noten um das Dichterhaupt winden wollen. Er habe Singstimme und Instrument gleichberechtigt behandelt. Es sei Schumann nicht um eine einfache »Begleitung« gegangen. Er wollte, dass Singstimme und Instrument Wegbegleiter sind. Jede sollte das beitragen, was die andere Seite allein nicht könne.
Hier kam Horst Nalewski noch einmal auf Goethe im Gespräch mit Eckermann zurück: »Das musikalische Talent kann sich wohl am frühesten zeigen, indem die Musik ganz etwas Angeborenes, Inneres ist, das von außen keiner großen Nahrung und keine aus dem Leben gezogenen Erfahrung bedarf. Aber freilich, eine Erscheinung wie Mozart bleibt immer ein Wunder …« (Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 14. Februar 1832).
Horst Nalewski schloss seinen Vortrag mit den Worten: »Robert Schumann ist ein solches Wunder gelungen.«

Dieter Bührnheim (li.) moderierte die Fragen an Prof. Nalewski

An dieser Stelle wurden Fragen des Publikums zugelassen.
Dieter Bührnheim fragte, was Schumann für Leipzig bedeute?
Horst Nalewski antwortet, dass das Jubiläumsjahr 2010 noch einmal deutlich gemacht habe, was die Stadt Leipzig Robert Schumann verdanke und was er ihr verdankt. Die Liedkompositionen seien hier in Leipzig entstanden. In Leipzig sei Schumann als Komponist groß und bedeutend geworden.
Ein Zuhörer fragte, ob nicht in Leipzig die Lieder Schumanns in der Aufführungspraxis etwas zu kurz kämen?
Horst Nalewski bejahte diese Frage. Die Großkompositionen hätten sich in den Vordergrund gedrängt. Aber vielleicht sei die Vernachlässigung der Lieder durch junge Sänger auch darauf zurückzuführen, dass Dietrich Fischer-Dieskau, der alle Lieder Schumanns gesungen und auf Tonträger veröffentlicht habe, als das »Nonplusultra der Schumann-Interpretation« im 20. Jahrhundert gelte.
Eine Zuhörerin verwies darauf, dass Schumann 14 Jahre in Leipzig lebte und dass hier mehr als die Hälfte seines gesamten kompositorischen Schaffens entstanden sei, nicht nur die Lieder, auch die Symphonien.
Horst Nalewski antwortete, dass die Lieder in Leipzig aber am Anfang gestanden hätten, dann sei das kammermusikalische Werk und dann die symphonische Werk entstanden.
Eine Frage richtete sich auf Schumanns Besuche im Leipziger Café Baum.
Horst Nalewski antwortet, dass Schumann dort das Publikum für seine »Neue Zeitschrift für Musik« gefunden habe. Er sei eben eine Doppelbegabung gewesen, nicht nur Musiker, auch Essayist. Dies sei erst im 20. Jahrhundert anerkannt worden.
Ein Zuschauer wollte wissen, in welchem Rhythmus Schumanns Zeitschrift erschienen sei, und welche Reichweite die Zeitschrift hatte.
Horst Nalewski antwortete, dass die Zeitschrift 14-tägig erschien, und mit Verweis auf Heine, selbst in Paris gelesen wurde. Schumann habe zehn Jahre lang einen Großteil seiner Arbeitskraft der Zeitschrift gewidmet. Zeitweise sei er der einzige Mitarbeiter der Zeitschrift gewesen. Für Schumann sei die Zeitschrift eine »Streitschrift« gewesen. Später habe Brendel die Redaktion übernommen, Richard Wagner habe dann hier veröffentlicht.
Eine Zuschauerin wollte wissen, ob die Zeitschrift Korrespondenten auch anderen Städten hatte?
Horst Nalewski verneinte, fügte aber an, dass Schumann zeitweise die Verlegung der Zeitschrift nach Wien erwogen habe. Doch er erkannte, dass er sie die Zeitschrift im damaligen Wien nicht hätte herausgeben können.

Das begeisterte Publikum

 

Mit einem herzlichen Applaus dankte das Publikum Horst Nalewski für seinen interessanten Vortrag. Zu danken ist auch Dieter Bührnheim, der immer wieder wichtige Themen aufzugreifen und zu kommunizieren vermag. Aus den Fragen des Publikums wurde deutlich, dass die Musikinteressierten überwogen. Die literarisch Interessierten hielten sich zurück. So kam es wohl, dass nicht hinterfragt wurde, ob Schumann in Sachen Poetologie mit seiner Fixierung auf den alten Goethe eigentlich gut beraten war oder ob eine naive Napoleon-Begeisterung nach 1806 zwar immer noch erklärbar, von den Romantikern der ersten Generation aber schon lange überwunden war. Vielleicht ein andermal?

Information
www.buehrnheims-literatursalon.de
E-Mail: DBfA-Leipzig@web.de

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