Reportagen

Franz Schubert in Meißen

Der 15. Januar war ein heller, sonniger Tag, der uns Glauben machen wollte, der Frühling sei schon angebrochen. Spaziergänger zogen in Herden durch die Landschaft. Wir aber machten uns auf den Weg nach Meißen. In dem kleinen Städtchen ließ die Elbe schon ihre Muskeln spielen: hier und da verließ sie ihren gewohnten Weg. Die Uferstraßen waren zum Teil nicht mehr befahrbar. Aber wir wollten hinauf auf den hochwassersicheren Burgberg. In der Evangelischen Akademie war für diesen Abend ein Ereignis angekündigt. Im Saal wurden zum Glück zwei Stühle für uns frei gehalten, und schon ging es los.

Der Sänger Marion Michels (vorn) und der Pianist Marc Bettendorf führten den Liederzyklus »Die Winterreise« auf, die Franz Schubert nach Gedichten aus Wilhelm Müllers Zyklus »Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten« von 1821 komponiert hatte. Das Besondere an dieser Aufführung war, dass im Raum 24 Holzschnitte von Wolfgang Herbst zu den 24 Gedichten der »Winterreise« zu sehen waren. »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. …« sang Marion Michels.

Der Zyklus verlangte eine geschlossene Aufführung ohne eine Pause. Das Publikum hatte die notwendige Geduld und war am Ende begeistert. Man dankte den Künstlern mit herzlichem und langem Applaus, so dass gar noch ein Zugabe erfolgte. Sänger Marion Michels ist auch ein vielseitiger Orchestermusiker, der in Jazz, Lied, Oratorium und Chanson zu Hause ist. Zudem ist er Mitbegründer der »Schubertiade Luxemburg«. Pianist Marc Bettendorf ist ein promovierter Chemiker und Lehrer für Mathematik, Physik und Chemie am Lycée Technique in Ettelbrück. Er ist aber auch als Klavierlehrer tätig und der Begründer der »Schubertiade Luxemburg«.

Foto: Den Helden des Abends wurde auch mit einer Flasche des besonderen Meißener Weines gedankt …

Nach der glücklichen Aufführung der »Winterreise« nahmen die beiden Musiker den Schöpfer des Holzschnittzyklus Wolfgang Herbst in ihre Mitte. Der gelernte Schriftsetzer und Bäcker, studierte Sänger und Grafiker Herbst vermochte in der Tat Worte und Töne in prägnante Bilder zu verwandeln. Die Suche, der Weg und die Frage nach dem Sinn unserer Existenz prägen den Text von Wilhelm Müller. Freude und Trauer, Enttäuschung und Hoffnung durchlebt Müllers Wanderer. Mitunter fürchtet man, dass der Wandersmann verzweifeln könnte. Doch immer wieder, seinen ganzen Weg lang vermag er zu hoffen. Am Ende trifft er einen alten Spielmann mit seiner Leier. Marion Michels singt: »Wunderlicher Alter, soll ich mit Dir gehn, Willst Du zu meinen Liedern Deine Leier drehn?«

Die Besucher betrachteten nach dem Ende des Konzertes lange die Holzschnitte. Man hatte noch die Musik und die Worte im Ohr.


Kommentar

Ohne Zweifel gelang den Organisatoren der Evangelischen Akademie in Meißen ein Ereignis. Zwar hatten die drei Künstler ja schon in den vergangenen Jahren in Luxembourg, Düsseldorf, Biel und in Bad Kötzting ihr Projekt erfolgreich vorgestellt. Aber jede Aufführung ist bekanntlich eine neue Herausforderung. Das Konzept erwies sich als tragfähig. Wilhelm Müller und Franz Schubert waren sicher Ausnahmekünstler. Doch mit der Vertonung der »Winterreise« als Liederzyklus glückte Franz Schubert eine ganz besondere Leistung. Das Lied ist vielleicht die Urform der Poesie. Johann Gottfried Herder zitierte oft den Satz von Johann Georg Hamann »Die Poesie ist die Muttersprache des Menschengeschlechtes« und fügte an: und das Lied ist ihr konzentrierter Ausdruck. Hier wird deutlich, warum sich der oberste Kirchenbeamte von Weimar so um die Bewahrung der Volkslieder bemühte. Zu erwähnen ist aber auch, dass Wilhelm Müller im Nachhinein die Herderschen Intentionen traf: Müller vermochte das Volkslied zu bewahren, indem er es maßvoll veränderte.
Bei Herder ist das Lied zudem die Urform des Gebetes, wobei er Gebet nicht als eine Art »Wünsch-Dir-was« versteht, sondern als Selbstvergewisserung des Menschen in seiner bedrängten Existenz. Die Besonderheit unserer Existenz, unsere Sehnsucht nach Hoffnung, das sah Herder als Kern unserer Religiosität an. Unter diesem Aspekt wird deutlich, dass uns im Werk von Wilhelm Müller und Franz Schubert eine Dimension von Religiosität begegnet, die uns im Alltag in der Regel verborgen bleibt. Auch deshalb gilt es den Künstlern und den Veranstaltern für dieses außergewöhnliche Ereignis zu danken.
Johannes Eichenthal


Information

www.ev-akademie-meissen.de

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