Reportagen

Lesung bei Lehmanns

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Der 15. Oktober hatte einen milden Herbstabend. Durch eine Baustelle war die Fußgängerzone in der Glauchauer Innenstadt nur aus einer Richtung zu erreichen. Die traditionsreiche Buchhandlung Hermann Lehmann hatte an diesem Abend zu einer Buchvorstellung eingeladen. Buchhändler Gert Lehmann (li.) begrüßte den Glauchauer Jens Hummel (re.) und sein neues Buch »Das Ende einer Epoche. Glauchau 1914 bis 1924«.

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Jens Hummel, ein »Laienhistoriker«, der für ein früheres Buch in Dresden einen zweiten Preis im sächsischen Heimathistorikerwettbewerb errang, hielt sich nicht lange bei allgemeinen Worten zur »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« (Georg F. Kennan) auf. Vorbildlich nüchtern und sachlich stellte er seine Forschungsergebnisse vor. Erst um die Jahrtausendwende, so Hummel, habe die Bundesrepublik die letzten Zahlungsverpflichtungen beglichen, die das Deutsche Kaiserreich durch seine Entscheidung für den Krieg 1914 verursacht hatten.
Mit einem Beamer wurden Fotos und Abbildungen an die Wand geworfen und er erklärte mit präzisen Sätzen dem hochkarätigen Publikum den besonderen Verlauf der Mobilisierung und Demobilisierung, der Novemberrevolution, der Errichtung der Weimarer Republik in Glauchau.
In der Tat geschieht Geschichte immer konkret, vor Ort, in jeder Stadt, jedem Stadtteil und jedem Dorf anders. Zusammenhänge und Unterschiede müssen erfasst werden, will man Geschichte begreifen. So kann Jens Hummel aufgrund seines großen Überblickes auch hervorheben, dass Elend, Leid und Unterernährung nach dem Kriegsende in Glauchau in weit höherem Maße auftraten als im Krieg selbst. Alle Versuche einer strukturierten Politik der Stadtverwaltung werden durch die Inflation vereitelt. Die Mehrheit aller Schulkinder Anfang der 1920er Jahre wird als »unterernährt« eingestuft, mehr als 11 Prozent als »schwerst unterernährt«.
Eine gute Stunde referiert der Autor. Die Kenner der Heimatgeschichte, die sich an diesem Abend in der Buchhandlung versammelten, dankten ihm am Ende mit herzlichem Beifall.

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Gert Lehmann ist ein engagierter Buchhändler, der das Familienunternehmen in dritter Generation führt. Bücher und Lesen gehören zu den Leidenschaften des stationären Buchhändlers. Nicht nur für die Bibliothek und die Lesewettbewerbe setzt er sich ein, auch Leseveranstaltungen in der Buchhandlung stehen auf seinem Programm. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen vermag er die Kunden zu beraten und zu informieren, wie es schon sein Großvater Hermann Lehmann tat. In der Buchhandlung lebt noch jener Geist der Bildung, der der deutsche Kultur in den letzten 200 Jahren Ansehen verschaffte.

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Kommentar
Es war schon eindrucksvoll den »Laienhistoriker« Jens Hummel mit professionellem Arbeitsstil vor einem auserlesenem Fachpublikum zu hören. Zugegeben, das Buch hat keinen reißerischen Titel. Sollte das der Grund dafür gewesen sein, dass man an diesem Abend Lehrer, Stadtverwaltung oder Stadtverordnete bei einem für die Stadt so wichtigem Thema vermisste?
Der australische Historiker Christopher Clark, der wegen seiner Forschungen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges von manchen hochgelobt und von manchen verrissen wurde, sprach zur Eröffnung der diesjährigen Salzburger Festspiele. Clark hob hervor, dass das beängstigende in unserer Gegenwart sei, dass wieder eine Situation entstanden sei, wie vor dem Ersten Weltkrieg.
Unzählige Sonntagsreden wurden von führenden Politikern in diesem Jahr zum Ersten Weltkrieg gehalten. Führende Historiker erklärten dem Publikum die »Lehren« aus der Geschichte. Und dann die Wirklichkeit.
Geschichte wiederholt sich, aber nie auf gleiche Weise. Um das zu begreifen, bedarf es wirklicher Bildung, bloß »vergleichende Geschichtsschreibung« reicht nicht aus.
Es geht um die konkrete Analyse der konkreten Entwicklung, wie Georg Friedrich Wilhelm Hegel gesagt hätte. In der kleinen Glauchauer Buchhandlung Hermann Lehmann wurde das an diesem Mittwochabend dem Publikum verdeutlicht. Es war ein Ereignis.
Johannes Eichenthal

Information

Jens Hummel: Jens Hummel: Das Ende einer Epoche in Glauchau. 1914 bis 1924.
14,4 × 21,0 cm, brosch., 136 S., 59 s/w Fotos und Abbildungen,
VP 9,95 €

ISBN 978-3-937654-62-1

9783937654621

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