Brockhage
Reportagen

HANS BROCKHAGE ZUM 100.

Der 27. Februar ließ bereits den kommenden Frühling ahnen, wenngleich der noch auf sich warten lässt. Erstaunlich viele Besucher zog es am Abend in das Atelier des Skulpturisten Hans Brockhage (27. Februar 1925 bis 18. Februar 2009). Wie durch ein Wunder vermochte der lang gezogen Atelierraum alle aufzunehmen, vielleicht auch deshalb, weil die großen Skulpturen Brockhages den Raum geistig erweiterten? Paul Brockhage begrüßte die Gäste im Namen des Vereins Atelier Hans Brockhage (AHB). Oberbürgermeister Ruben Gerhart begrüßte die Gäste im Namen der Stadt Schwarzenberg und hob hervor, dass es auch für Nicht-Künstler beeindruckend sei, was Professor Brockhage geschaffen habe. Die Skulpturistin Anna Franziska Schwarzbach erinnerte an der Schaffen ihres Vaters. Sie erzählte Anekdoten, zitierte Aussprüche, erinnerte an die Entstehung einzelner Werke … Die Besucher fühlten sich in die Zeit um die Jahrtausendwende und ihrer Begegnungen mit Professor Brockhage versetzt. Erinnerungen und Bilder tauchten auf. Plötzlich sah ich mich im Gespräch mit dem Professor, der 2001 auch eine Marianne-Brandt-Biographie vorgelegt hatte … 

Brockhage

Die ersten Besucher erreichen am 27. Februar 2025 das Atelier-Hans-Brockhage.

Sehr geehrter Herr Professor Brockhage, Sie sind in der erzgebirgischen Heimat verwurzelt, wie kaum ein anderer. Bäume und Holz der heimatlichen Landschaft durchziehen Ihr Lebenswerk wie Jahresringe. Man könnte vermuten, dass Sie demzufolge auch in einem der uralten Erzgebirgshäuser wohnen. Wenn wir aber Ihr Grundstück betreten, dann erblicken wir ein Haus, dessen Form uns an die Prinzipien des Bauhauses erinnert. Wie passt das zusammen?

H. B.: Vielleicht musste ich eine sachlich-strenge Atmosphäre für das Wohnen und Arbeiten finden, um im Denken offen zu bleiben. Das sind schon Gegensätze, doch man muss im Leben Gegensätze vereinigen können, um produktiv zu bleiben. Im Übrigen widerspricht das auch nicht dem »Form«-Begriff, wie er seit Aristoteles entwickelt wurde. Im Alltagsdenken bringt man Form und Inhalt in eine Beziehung oder man versucht Form und Funktion zu verbinden. Doch »Form« wird auf dieser Ebene bloß statisch gefasst, nur als eine Art passiver »Hülle«. Unter philosophischen Aspekt dagegen ist »Form« die Bewegung des Inhalts (und der verschiedenen Funktionen). Hier spricht man von »Formierung«, als einem Prozess.

Brockhage

Noch konnte man sich umsehen.

Hatten die Denkmalschützer keine Bedenken, als Sie den Bau dieses Hauses im Innenstadtbereich von Schwarzenberg beantragten?

H. B.: (lacht) Es war damals fast eine anarchistische Aktion. Aber einerseits half uns ein international anerkannter Architekt. Andrerseits wollten wir auf den Grundmauern eines 28 Meter langen Hinterhauses einfach ein praktisches Gebäude bauen. Die Räume sollten möglichst in einer Ebene liegen, eine gut zu erreichende Werkstatt war gewünscht und eine sogenannte »Laufkatze«, um auch schwere Brocken bewältigen zu können. Also eine Art »Wohn- und Arbeitsmaschine«, von der ja alle guten Architekten träumen. 

Brockhage

Langsam füllte sich der Raum.

Wer war denn dieser Architekt?

H. B.: Das war Robert Lenz, ein Schüler Le Corbusiers. Kaum jemand hat mir in meiner Arbeit je wieder so viel gegeben, wie dieser hochbegabte, und heute leider völlig vergessene Robert Lenz. Er lebte einige Wochen bei uns, studierte unsere Lebensweise und machte danach Vorschläge für den Bau. 

Er versuchte nicht, uns eine Lehrbuch-Vorstellung überzustülpen. Gleichzeitig brachte er aber auch seine Erfahrungen ein. Manches davon begriffen wir erst später. Jedenfalls ist das Haus so vielseitig konzipiert, dass die verschiedenen Phasen im Leben einer Familie hier ihren Raum finden können, ebenso wie funktionale Anforderungen, die wir uns hätten nicht träumen lassen.

Trifft es zu, dass es neuerdings Bemühungen gibt, Ihr Haus unter Denkmalschutz zu stellen?

H. B.: Ja, das ist richtig. In Berlin gibt es einige aktive Leute, die sich um das Werk des Le-Corbusier-Schülers Robert Lenz bemühen. In diesem Zusammenhang kommt unser Haus vielleicht nun auch zu einem Prädikat, das viele ältere Häuser in Schwarzenberg besitzen, ich will nur schnell noch zu Ende bauen …

Brockhage

Paul Brockhage begrüßte die Gäste im Namen des Vereins Atelier Hans Brockhage (AHB).

Die Neue Zürcher Zeitung berichtete übrigens letzthin von einer großen Le Corbusier-Ausstellung in Genf. Im Mittelpunkt soll der Le-Corbusier-Gedanke vom Zusammenhang von Architektur, Malerei und Plastik stehen. Die Malerei betrieb Le Corbusier als eine Möglichkeit zur Inspiration, als Spielfeld neuer Ideen, als »Kanal« zur Architektur …

H.B.: … das erinnert mich aber stark an Marianne Brandt. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass sie die Malerei als eine Form der »Gestalt-Simulation« betrieb. Ohne Zweifel muss die praktische Formgebung ja mit einer Art geistiger Gestaltung verbunden sein. Um diesen Arbeitsprozess überhaupt zu verstehen, müssen wir wahrscheinlich die Zusammenhänge der verschiedenen Genres hervorheben, in denen ein Künstler tätig ist. Ein Künstler denkt nicht in diesen scheinbar klar abgegrenzten »Schubkästen« der Kunsthistoriker. Für den Künstler gibt es nur einen Arbeitsprozess und verschiedene Mittel …

Ja, das sah Le Corbusier auch so. Aber seine Malerei wurde ebenfalls lange unterschätzt …

H.B.: Vielleicht hängt das auch mit der Dominanz von wissenschaftlichen Vorurteilen zusammen, die mehr Schulbildungen u. ä. reflektieren …

Brockhage

Oberbürgermeister Ruben Gerhart begrüßte die Gäste im Namen der Stadt Schwarzenberg und hob hervor, dass es auch für Nicht-Künstler beeindruckend sei, was Professor Brockhage geschaffen habe.

… Le Corbusier fand ja dann einen eigenständigen Weg zum zeitgemäßen Bauen. Vom Bauhaus soll er sogar einmal als vom »Paradies der Mittelmäßigkeit« gesprochen haben …

H. B.: Das ist sicher etwas überzogen. Aber es erinnert mich immer mehr an Marianne Brandt. Nach Ihrer anfänglichen Begeisterung vom Bauhaus versuchte sie mit großer Anstrengung wieder ihren eigenständigen Weg zu finden und zu gehen. Ich erinnere mich, als sie unserer Tochter Franziska einmal einen blauen Pullover schenkte und dazu sagte, dass es doch schön wäre, wenn man sich vorstellte, dass da so ein blauer Pullover durch die graue Masse laufe …

Alberto Alessi hatte in seinem Vorwort zur Marianne-Brandt-Biographie des Chemnitzer Verlages ja auch auf einen Brief der Brandt verwiesen und hervorgehoben, dass er nur wegen der Bemerkung, dass sie eingesehen habe, dass die Individualität des Künstlers entscheidend sei, Produkte der Brandt in sein Programm aufgenommen habe …

H. B.: Ja, dieses Geleitwort Alessis war mir damals noch etwas fremd. Aber wenn das so ist, dann kann die Kunstgeschichte heute die Brandt nicht mehr einfach immer wieder auf »das« Bauhaus reduzieren. Mit einer solchen Reduktions-Methode, mich erinnert das stark an die Systemtheorie von Niklas Luhmann, kann man gerade die Besonderheit eines Künstlers nicht erfassen. Aber gerade darauf kommt es ja an.

Brockhage

Anna Franziska Schwarzbach erinnerte an der Schaffen ihres Vaters. Sie erzählte Anekdoten, zitierte Aussprüche, erinnerte an die Entstehung einzelner Werke …

Aber auch die starre Genre-Trennung bringt eigentlich nichts …

H. B.: Das ist richtig. Aber es sind eben verschiedene Denkweisen. Die Kunsthistoriker versuchen das Werk eines Künstlers über dessen Resultate zu begreifen. Vielfach hat diese Wissenschaft ja auch keine anderen Untersuchungsgegenstände. Der Künstler dagegen kennt nur seine Arbeit. Gert Hofmann lässt den alten Kinoerzähler in gleichnamigen Roman einmal sagen: »Die Kunst kennt kein später, sondern nur ein jetzt!«

Das bedeutet, dass man das Werk der Brand nur mit einer ähnlichen Methode begreifen kann, wie man sie bei Le Corbusier anwendete?

H. B.: Auf jeden Fall. Man muss versuchen auch die Brandt aus ihrem Arbeitsprozess heraus zu begreifen. Das Experiment, in der Plastik, wie in der Malerei, waren wesentliche Momente eines einheitlichen Arbeitsprozesses. Allein aus dem Blickwinkel der Resultate ist dieser nicht verstehbar, auch wenn wir noch so lange auf ihr berühmtes Tee-Service schauen … wir müssen endlich einmal »hinter« das Service blicken. Doch bislang scheute die Kunstwissenschaft bereits davor, die Produkte der Brandt zur Kenntnis zu nehmen, die nicht in das Teekannen-Klischee passten: Die Malerei, die Holzfiguren, Räuchermänner, Pyramiden usw., vom Arbeitsprozess ganz zu schweigen.

Brockhage

Der kubanische Cellist Douglas Vistél verzauberte den Raum mit Bach’schen Suiten und lateinamerikanischem Flair.

Streng genommen ist es schwer vorstellbar, dass die Brandt ihre modernistischen Metall-Gestaltungen mit Erzgebirgskunst zusammenbringen konnte …

H. B.:  … das ist schon verrückt, aber gerade das ist das Lebendige, das Interessante an dieser Frau, die ihr Leben lang auf der Suche nach neuen Ideen war, sich nie begnügte, immer wieder neu ansetzte, sich nie eitel rühmte, immer wieder die Herausforderung suchte …

Kann man vielleicht Ihr eigenes Ausstellungsprojekt, das Sie unter dem Titel »Brockhage trifft Wendt« zur Weihnachtszeit 2006 im Chemnitzer Industriemuseum planen, auch in diesem Lichte sehen?

H. B.: Ja, streng genommen ist es unvorstellbar, meine großen schwarzen Hölzer zusammen mit den filigranen Figuren der berühmten Firma »Wendt & Kühn« in Grünhainichen auszustellen. Aber es kommt mit zunehmendem Alter eine Zeit der Er-Innerung, des Nach-Innen-Gehens. Und da hat es das Erzgebirge ja so in sich. Die Konzeption zu dieser Exposition macht mir zwar noch Kopfzerbrechen. Doch das Nachdenken über solch gegensätzliche Dinge gehört zu den Vergnügen, die meine Welt im Gleichgewicht halten, auch die Lust, über den eigenen Schatten springen zu wollen …

Brockhage

Das Werk Hans Brockhages ist immer unterwegs, auf dem Weg, zwischen gestern und morgen …

Ich erwachte, wie aus einem Traum. Der offizielle Veranstaltungsteil war bereits zu Ende. Die Besucher wurden bewirtet. In kleinen Gruppen sprach man über gestern, heute und morgen. Die Veranstaltung war ein Ereignis. Den Organisatoren des Vereins AHB ist zu danken.

Johannes Eichenthal

PS. Zu Hause schaute ich im Computer nach. In der Tat gibt es ein Interview mit Professor Hans Brockhage, das am 5. Mai 2006 geführt und danach in der Litterata veröffentlicht wurde. Leider ist der Artikel für Leser heute nicht mehr zugänglich. Zum Glück wurde er in meiner Erinnerung wieder erweckt.

Information

www.atelierhansbrockhage.de

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

One thought on “HANS BROCKHAGE ZUM 100.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert