© Foto: Heinz Hammer
Es sah an jenem Abend des 14. Januar alles so aus wie eine ganz normale Ausstellungseröffnung. Im Chemnitzer Heck-Art-Haus drängten sich wie immer die Besucher, so dass kaum noch ein Stehplatz frei blieb. Links, rechts – überall Bilder mit Hasen, Hasen und nochmals Hasen.
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Thomas Ranft begrüßte im Namen der Künstlergemeinschaft »Kunst für Chemnitz« die Besucher und eröffnete die Ausstellung »Kuss auf Backe 1,50 Euro« mit Werken des Chemnitzer Malers, Grafikers und Skulpturisten Osmar Osten.
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Der Künstler war an diesem Abend selbst zugegen.
© Foto: Heinz Hammer
Der Chemnitzer Kulturjournalist Matthias Zwarg hielt die Laudatio auf seinen Freund und Kollegen. Er hatte speziell für diesen Abend, in Anlehnung an Sergej Michalkow, dessen bekanntes Gedicht über den Hasen im Rausch überarbeitet und umgedichtet.
Hier der Wortlaut: »Die Hasen im Rausch (nach Sergej Michalkow)
Der Igel hatte einst zu seinem Wiegenfeste
Die Hasen auch im Kreise seiner Gäste,
Und er bewirtete sie alle auf das Beste.
Vielleicht ist᾿s auch eine Vernissage gewesen,
denn die Bewirtung war besonders auserlesen.
Und gradezu in Strömen floß der Wein,
Die Nachbarn gossen ihn sich gegenseitig ein.
Ja, eine Vernissage wird es gewesen sein.
Denn Bilder hingen an den Wänden
Gemalt mit feinmotorisch flinken Händen
Einsame Hasen hüpften über bunte Wiesen
Und ließen sich die Stimmung nicht vermiesen.
Obwohl sie alle Gründe dazu hätten
Denn die Welt war nicht mehr zu retten.
Gekommen waren alle, die etwas von Kunst verstehn
Frau Meier, Herr Schmidt, sogar ich war zu sehn
In der ziemlich gut betuchten Gästeschar
An der gut besuchten Heck-Art-Künstlerbar.
Doch wo waren die Chemnitzer Milliardäre?
Alles nur Lug und Trug, eine Schimäre?
Wo waren Mäzehne, elf oder zwölfe?
Wo waren die Lämmer und wo die Wölfe?
© Foto: Heinz Hammer
Aber mittendrin, wie immer auf seinem Posten
Der Kunstmaler und Philosoph Osmar Osten
Die Augen und die Ohren offen
Amüsiert und tief betroffen.
Er zeigt Arbeiten auf Pappe und Papier –
Ich war allerdings eher wegen der Getränke hier.
Ein Bild malte er sogar auf die Tür
Vom Schaltschrank vor dem Elektrodraht –
Dem Maler ist eben nichts zu schad.
Doch nicht nur ich, auch all das Getier
War mit leerem Magen hier.
Die Spinne spinnt, der Hase sinnt
Der Jäger schießt daneben
Der Maler malt es, wie es ist,
Das schöne, schwere Leben.
So kam es denn, dass Meister Lampe bald
Zu schielen anfing – er verlor den Halt.
Er konnte nur mit Mühe sich erheben
Und sprach die Absicht aus, sich heimwärts zu begeben.
Zuvor waren jedoch noch Gespräche zu führen:
Was soll diese Kunst, will sie Aufruhr schüren?
Oder uns Verwirrte verwirren?
Wer viel denkt, kann viel irren.
Oder soll sie zum Selberdenken verleiten?
Und ist der Künstler nicht eigentlich längst pleite?
© Foto: Heinz Hammer
Man fragte sich Fragen
Vermied es zu klagen
Man scherzte sehr laut
Das Eis war getaut.
Warum diese rosa-frohen Farben?
Haben wir nicht viel mehr dunkelrote Narben?
Und diese Worte in Chemnitzer Deutsch?
Da ist der internationale Kunstmarkt enttäuscht.
Die Hasen hingen leise an der Wand
Und hoppelten über Gelb und Grün
Und wer noch ein bisschen bei Verstand
Der hat ihnen das auch verziehn.
Denn der Maler hatte früh erkannt:
Es ändert sich vieles in diesem Land
Nur die Menschen ändern sich auch dann nicht
Wenn man ihnen das Blaue vom Himmel verspricht.
Deshalb malt er weiter, heimlich, still und leise
Das Braune in uns – und das ist einfach Scheiße.
Das ist auch eine kleine Revolution
Doch eine zu viel hatten wir ja schon.
In einer anderen Welt würde so viel Mut anerkannt
Doch in dieser hier ist der Hase lieber weggerannt.
Der Igel war ein sehr besorgter Wirt
und fürchtete, dass sich sein Gast verirrt.
»Wo willst du hin mit einem solchen Affen?
Du wirst den Weg nach Hause nicht mehr schaffen.
Und ganz allein im Wald dem Tod entgegen gehen.
Denn einen Löwen, wild, hat jüngst man dort gesehen.«
Dem Hasen schwoll der Kamm, er brüllt in seinem Tran:
‹Was kann der Löwe mir? Bin ich sein Untertan?
Es könnte schließlich sein, dass ich ihn selbst verschlinge.
Den Löwen her, ich ford’re ihn vor die Klinge!
Ihr werdet seh’n wie ich den Schelm vertreibe,
Die sieben Häute, Stück für Stück,
zieh ich ihm ab von seinem Leibe
Und schicke ihn dann nackt nach Afrika zurück!›
Und so verließ der Hase also bald
Das fröhlich laute Fest, und er begann im Wald
Von einem Stamm zum anderen zu schwanken
Und brüllt dabei die kühnlichsten Gedanken
Laut in die dunkle Nacht hinaus:
»Den Löwen werde ich zerzausen,
Wir sah’n in dem Wald schon ganz andre Tiere hausen
Und machten ihnen doch den blutigen Garaus!
Denn hinter mir stehen Millionen Milliarden,
Die mit mir schon lange darauf warten,
Dass sich die Kunst erhebt und wächst
Über das alltägliche Geschwätz.
Dass Phantasie und Klugheit walten
Bei den Jungen und den Alten
Bei Bettlern und bei Milliardären
Ach, wenn wir doch schon so weit wären
Dass der Geist sich über die Dummheit erhebt
Und die Nato die Waffen niederlegt.
Zum Verschrotten auf des Waldes Lichtung –
So viel zur Wahrheit und zur Dichtung.«
Infolge des geräuschvollen Gezeters
Und des Gebrülls des trunk’nen Schwerenöters,
Der sich mit Mühe durch das Dickicht schlug,
Fuhr unser Löwe auf mit einem derben Fluch
Und packt den Hasen grob am Kragen:
‹Du Strohkopf, willst es also wagen,
Mich zu belästigen mit dem Gebrüll? –
Doch warte mal, halt still!
Du scheinst mir ja nach Alkohol zu stinken!
Mit welchem Zeug gelang es dir, dich derart sinnlos zu betrinken?›
Sofort verflog der Rausch dem kleinen Tier,
Es suchte rasch, sich irgendwie zu retten:
‹Sie, wir, nein ich… Oh, wenn Sie Einsicht hätten –
Ich war auf einer Vernissage und trank viel Alkohol …
Doch immer nur auf Euer Gnaden Wohl!
Auf das Leben und auf die Kunst
Auf Schneemann, Hase, Hirsch und Brunst
Auf das Wohl der Galerie und der Galeristen
Auf das der Stati-, Nihili- und treuen Christen
Auf’s Wohl Eurer guten Frau und der lieben Kleinen!
Das wäre doch, so wollte es mir scheinen,
Ein trift’ger Grund, sich maßlos zu besaufen!
Auch wollte ich, um es zu verschenken
Damit die Kinder später an mich denken
Sogar ein echtes Kunstwerk kaufen.›
Der Löwe ging ins Garn und ließ den Hasen laufen.
Der Löwe war dem Schnaps abhold
Und hasste jeden Trunkenbold.
Jedoch betörte ihn, wie dem auch sei,
Des Hasen Speichelleckerei.
Und die Moral von der Geschichte
Für Enkel, Bruder, Base, Nichte
Für Norden, Süden, Osmar Osten
Kunst ist schön – darf nur nichts kosten.
Und ob sie uns überhaupt etwas sagt
Liegt an dem, der sie danach fragt.«
(Deutsch von Bruno Tutenberg und Matthias Zwarg.
Für Osmar Osten. Chemnitz, 14. Januar 2016)
© Foto: Heinz Hammer
Kommentar
Es ist schon bemerkenswert, dass »Kunst für Chemnitz« und Osmar Osten mitten im kalten Januar so viele Menschen anzuziehen vermögen. Die Galerie im Heck-Art-Haus platzte nahezu aus ihren Fugen. Dazu eine entspannte, lockere Atmosphäre und lustige Hasenbilder. Der i-Punkt war die Rezitation von Matthias Zwarg.
Es war alles so angenehm, dass keiner zu fragen wagte, was denn diese Hasenbilder und die vielen Anspielungen in der Laudatio bedeuten sollen? Keiner fragte zum Beispiel, warum auf einem Hasenbild ein Transparent gezeigt wird: »Wo sind die Chemnitzer Milliardäre?« Verheimlichen uns Osmar Osten und Matthias Zwarg etwa eine tiefere, geheime Bedeutungsebene dieser Bilder?
Ist es in Wirklichkeit eine Hommage an Albrecht Dürer?
Oder gibt es gar einen esoterischen Zusammenhang?
Vielleicht ist Osmar Osten einer der letzten Verteidiger unserer Feldhasen gegen die Großraumlandwirtschaft?
Oder ist es ein Bekenntnis zu »Vater August« und zur sächsischen Monarchie? In Schloss Augustusburg gestaltete der Renaissance-Maler und Cranach-Schüler Heinrich Göding über drei Etagen Wandbemalung, die den Krieg der Jäger gegen die Hasen, den Sieg der Hasen über die Jäger und den schwer errungenen Sieg der Jäger über die Hasen zeigten. Heute ist noch ein Saal mit der Darstellung des Triumphes der Hasen über die Jäger zu sehen. Die Idee für diese »verkehrte Welt« stammte nicht etwa von einem »Revolutionär«, sondern Kurfürst August selbst gab Göding das Thema und sogar die Einzelheiten vor.
Gab es in Sachsen vielleicht eine Hasenzivilisation vor der menschlichen?
Oder stehen wir am Ende vor einer neuerlichen Machtübernahme der Hasen?
Fragen über Fragen.
Johannes Eichenthal
© Foto: Heinz Hammer
Information
Die Ausstellung »Kuss auf Backe 1,50 Euro« in der Galerie Heck-Art-Haus, Mühlenstraße 2, 09111 Chemnitz, ist noch bis zum 18.3.2016 zu sehen.
(Öffnungszeiten: Mo–Mi 11–16 Uhr, Do–So nach Vereinbarung)
Am 22.1.2016 wird in der Galerie Borsenanger, Straße der Nationen 2–4, 09111 Chemnitz um 19.30 Uhr eine Ausstellung von Osmar Osten mit demn Titel »The Happy Show« eröffnet. Zur Eröffnung spricht der Kunsthistoriker Prof. Dr. Rainer Beck (Dresden).
Am 12.2.2016 um 20.00 Uhr beginnt ein Gespräch von Johannes Schulze, dem Vorsitzenden des Theaterfördervereins, ein Gespräch mit Osmar Osten.
Gleichzeitig liest Matthias Zwarg aus seinem neuen Gedichtband »Flugblätter« mit Zeichnungen von Osmar Osten.
Die Ausstellung ist noch bis zum 19.2.2016 zu sehen.
(Öffnungszeiten: Di–Fr 13–18 Uhr, Sa 11–15 Uhr)