Der 15. Januar ist ein weißer Wintersonntag, wie aus dem Bilderbuch. Winterspaziergänge und Skiläufe stehen bei allen aktiven Menschen auf der Tagesordnung. Aber wir lenken unsere Schritte in die Stadthalle von Limbach-Oberfrohna.
Das Gebäude des ehemaligen Gasthofes und Hotels »Zum Roten Hirsch« ist der historische Kern des Ensembles. Ein moderner Anbau verbindet diesen mit dem großen Saal.
Pünktlich um 16 Uhr treten Buchautor Prof. Eberhard Görner und Gojko Mitić, der dem Haupthelden seine Stimme verleiht, in die, von den Strahlen der Abendsonne verzauberte Hirsch-Lesebar. Eberhard Görner führt die Zuhörer kurz in seinen historischen Roman »In Gottes eigenem Land. Heinrich Melchior Mühlenberg – der Vater des amerikanischen Luthertums.« ein.
In einer szenischen Lesung führen die beiden Akteure das Publikum ins Jahr 1742, in die Seereise von Pfarrer Mühlenberg in die englische Kronkolonie »Pennsylvanien«. Mühlenberg soll im Auftrag der Franckeschen Stiftungen zu Halle die finanziellen Verhältnisse der Filialen in Ordnung bringen. Der Hallenser Pfarrer ahnt noch nicht, auf was er sich eingelassen hat. Zwar findet er hier seine Frau, die Tochter von Conrad Weiser, einem »Brückenbauer« zwischen den Kulturen, doch er gerät auch in unangenehme Auseinandersetzung mit Gemeinden und den »Herrnhutern«.
Eindrucksvoll wird den Zuhörern durch die Lese-Kapitelauswahl auch der ausgebrochenen Krieg zwischen den europäischen Mächten Spanien, Großbritannien und Frankreich, der um die Ausbeutung der Kolonien, und der auch unter dem Deckmantel der »Missionierung« geführt wird, vergegenwärtigt.
Deutsche Auswanderer, die dem Kriegsschauplatz Deutschland entfliehen wollten, wurden in Pennsylvanien von der europäischen Vergangenheit eingeholt. Es gab nur einen Unterschied. In Europa trugen die Großmächte ihre Kriege seit der Reformation in Deutschland aus. In der »Neuen Welt« wurde der Krieg auf Indianerland geführt. In beiden Fällen musste die Bevölkerung großes Leid ertragen.
In der Lesung wird deutlich, dass der eigentliche Held des Buches nicht der Hallenser Pfarrer Mühlenberg, dessen Söhne es letzlich bis ins US-Establishment schafften, ist. Görner gab dem Indianerhäuptling »Fliegender Pfeil« eine Stimme und Gojko Mitić gibt ihm ein glaubhaftes Gesicht.
Mitić bekennt, dass er immer noch sucht, dass er die Weisheit jener Völker aufnimmt, deren Söhne er, in für uns unvergesslichen Filmen, dargestellt hat. Gebannt lauschen die Zuschauer am Ende der Buchlesung dem Vortrag von indianischen Weisheiten aus Gojko Mitićs Mund: die Erde ist unsere Mutter, wir sind ein Teil der Natur, Gott ist in uns und in der Natur, unser Gott ist der gleiche, wir sind Brüder …
Bemerkenswerte Sätze. Auffällig ist, dass die indianischen Weisheiten solchen der persischen Zend-Avesta, der altindischen Rgveda, chinesischer Überlieferungen oder denen des jüdischen Weisen Mose ben Maimon, des Thüringer Dominikanermönchs Meister Eckehart von Hochheim, des portugiesischen Juden Baruch de Spinoza, des deutschen Pfarrersohnes Gotthold Ephraim Lessing, des ostpreußischen Theologen Johann Gottfried Herder und vielen, vielen anderen ähneln.
Aber Eberhard Görner macht es seinen Hörern nur scheinbar leicht. Hinter der nahezu klischeehaften Darstellung des Auswandererpfarrers Mühlenberg verbergen sich ernste Probleme, deren Darstellung uns zunächst verunsichern und unsere Vorurteile, etwa von der »humanen Missionierung«, schwinden lassen. Gute Literatur vermag im Kopf des Lesers Assoziationen zur Gegenwart und zu seiner eigenen Lebenslage herzustellen. Viele denkende Menschen empfinden heute mit Unbehagen die Misere unserer Zeit, in der ein »Kampf der Religionen« zunehmend die Zukunft der Menschheit bedroht. Mit der Person des Indianerhäuptlings »Fliegender Pfeil« ermöglicht uns Görner den Blick auf einen Ausweg aus dieser Misere.
Herzlicher Applaus des sachkundigen, menschlich aufgeschlossenen Publikums, zeigte, dass man diese Anregungen von Eberhard Görner und Gojko Mitić aufnahm. Selbst nach dem Ende der Lesung wurden noch Fragen gestellt und beantwortet. Fast alle Besucher baten um eine Signatur im Buch.
Der Limbach-Oberfrohnaer Buchhändler Lang (Mitte), war mit einem Bücherstand vertreten. Er schaut nicht unzufrieden.
Wolfgang Dorn, der Chef der Stadthalle, der in seiner Jugend als Statist bei Filmen mitwirkte, nach der Veranstaltung im Gespräch mit seinem »Kollegen« Gojko Mitić.
Ohne Zweifel war diese Lesung in Limbach-Oberfrohna ein Ereignis. Die beiden Akteure verzauberten das Publikum. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre. Wir wurden wieder angeregt, selbst einmal weiterzudenken. Wir bedauern alle, die nicht dabei waren.
Johannes Eichenthal
Information
Eberhard Görner: »In Gottes eigenem Land. Heinrich Melchior Mühlenberg – der Vater des amerikanischen Luthertums.«
Miiteldeutscher Verlag. 1. Auflage 2011
ISBN 978-3-89812-766-0