Der 12. Januar war ein stürmischer Tag. Dicht fiel Schnee vom Himmel und verstopfte die Wege und Straßen. Der brave Durchschnittskonsument flüchtete früh in sein Wohnzimmer, um in die Ecke zu starren, wo immer noch der »Fernseher« steht. Wir dagegen fuhren in die kleine Stadt Penig an der Zwickauer Mulde. Bei literarisch interessierten Lesern wird bei der Erwähnung des Stichwortes »Penig« sofort die Verbindung zum »Dienemann Verlag« aufblitzen. Hier veröffentlichte um 1800, die gegen erstarrte Konventionen revoltierende Jugend der deutschen Romantiker, ihre Texte. Von herausragender Bedeutung ist vielleicht immer noch die fiktionale Erzählung, denn ein »Roman« ist es nicht wirklich, »Nachtwache«, die unter der fiktiven Verfasserangabe »Bonaventura« erschien.
Als wir in Penig ankamen, war es auf den Straßen bereits ruhig. Im Hintergrund nur zwei erleuchtete Häuser: die Papierfabrik Penig. Im Vordergrund »Karstas kleines Kino«.
In »Karstas kleinem Kino« trafen immer mehr Gäste ein. Die meisten kannten sich gut, weil sie einmal gemeinsam in der Papierfabrik Penig gearbeitet hatten. Aber auch historisch interessierte Peniger und Gäste aus Chemnitz, Rochsburg, Lunzenau, Mühlau und Niederfrohna waren gekommen. Am Ende waren alle da, denen die Tradition der Papierherstellung in unserer Region am Herzen liegt.
Karsta Hönicke, die Betreiberin des Kinos, eröffnete mit der Mitteilung, dass heute keine Filmvorführung, sondern Heiner Ungers Buchvorstellung »Die Papierfabrik Penig. Geschichte und Geschichten« auf dem Programm stehe.
Heiner Unger, ein gelernter und studierter Papiermacher, hatte 1955 in der Papierfabrik eine Lehre begonnen und war später in die Papierfabrik zurückgekehrt. Bis heute betreut der historisch interessierte Techniker, der das Renteneintrittsalter lange überschritten hat, auch das Archiv und ein technikhistorisches Kabinett der Papierfabrik. Heiner Unger hatte bereits eine Dokumentation der »Wasserzeichen der Papierfabrik Penig« (2005) und eine illustrierte Geschichte »475 Jahre Papier aus Penig« (2012) vorgelegt. In seinem Vortrag skizzierte Unger an diesem Abend auf vorbildlich sachliche Weise die Geschichte der Papierherstellung in Penig, vom Gründer der Papiermühle Burkhardt Schmidt im Jahre 1537, über den legendären Papiergroßhändler Ferdinand Traugott Flinsch im 19. Jahrhundert, die Wiederaufbauleistungen der Beschäftigten nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, den Kampf gegen den Verlust der bisherigen Kunden im Binnenmarkt der DDR Anfang der 1990er Jahre, die Übernahme durch die Felix Schoeller jr. GmbH & Co KG Osnabrück bis hin zur hochspezialisierten, hocheffizienten Herstellung von Dekorpapier auf einer Maschine, die die Leistungskraft der drei früheren Maschinen übertrifft.
Das sachkundige Publikum nutzte die Gelegenheit, um den Autor zu befragen. Neben historischen Details kamen auch Fragen nach der Zukunft der Papierherstellung zur Sprache. Eine Zuhörerin fragte, wo denn in Europa heute noch an der Entwicklung neuer Papiere gearbeitet und geforscht werde.
Heiner Unger verwies darauf, dass die Tendenz zu immer größerer Konzentration der Papierproduktion auf wenige Hersteller dominiere. Hier würde dann auch die Entwicklung betrieben, die aber an den Großstrukturen auf Großserieneffektivität ausgerichtet sei.
Kommentar
Etwa 30 Gäste, die sich für die Geschichte einer der ältesten deutschen Papierfabriken, die noch am Gründungsstandort produziert, interessieren, waren an diesem Winterabend gekommen. Heiner Unger verbindet unübertreffliche Detailkenntnisse mit vorbildlich nüchterner historischer Darstellung. Insofern sind seine Bücher von besonderer Bedeutung. Dementsprechend war auch das Interesse des Publikums an seinem neuen Buch überwältigend. Dennoch zog an diesem Abend ein Hauch von Wehmut auf. Obwohl die Papierfabrik Penig, im Unterschied zur absoluten Mehrzahl ostdeutscher Fabriken, am Standort weiter produziert, und die Großserieneffektivität weiter steigert, ist die enge Spezialisierung nicht zu übersehen. Zudem sind immer weniger Menschen notwendig, um die moderne Produktionsanlage zu bedienen. Aber das ist in anderen Industrie-Branchen nicht anders.
Wo bleibt die Kompetenz der Papierherstellung in ihrer ganzen Breite? Im 19. und 20. Jahrhundert überwog der Konzentrationsprozess der Industrie. Wirtschaftliche Macht im Westen und Verstaatlichungswahn im Osten führten zu immer größeren Firmenverbünden. Die voll automatisierte Großserienfabrik, in der kaum noch Menschen beschäftigt sind, wird sich mittelfristig durchsetzen.
Zusammenfassend könnte man vielleicht sagen: Spezialisierung ist in der menschlichen Tätigkeit sehr wichtig. Spezialisierung ist auch der Grund dessen, was wir als Fortschritt bezeichnen. Aber Spezialisierung erfolgt immer auf Kosten der Basisbreite. Langfristig ist Spezialisierung deshalb eine Sackgasse. Aus der Sackgasse kommt man nur durch ein Zurückgehen auf die Basis heraus. Wenn die hochspezialisierte Großindustrie zurückgehen und neu ansetzen will, dann braucht sie eine breite Schicht mittelständischer und handwerklicher Unternehmen als Basis. In Europa bestand diese Schicht über Jahrhunderte. Hier war die Grundlage von Innovationen und Stabilität beheimatet.
1537 entschloss sich Burkhardt Schmidt die günstige Lage zur Energieerzeugung am Muldenbogen von Penig, zur Gründung einer Papiermühle, zu nutzen. Wo sind diese Neugründer von heute?
Johannes Eichenthal
Information
www.karstaskleineskino.npage.de karsta.hoenicke@gmx.de
Heiner Unger: Die Papierfabrik Penig: Geschichte und Geschichten.
14.8 × 21.0 cm, 80 Seiten, zahlreiche farbige Fotos und Abbildungen, brosch., VP 12,50 Euro
ISBN 978-3-96063-001-2
In allen Buchhandlungen oder direkt beim Verlag www.mironde.com