Reportagen

GERT HOFMANN ZUM 25. TODESTAG

Aus Anlas des 25. Todestages von Gert Hofmann veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Andreas Eichler, Gründungsmitglied des Freundeskreises Gert Hofmann und Geschäftsführer des Mironde Verlages.

 

Am 1. Juli 1993 verstarb der deutsche Dichter Gert Hofmann, einer der meistübersetzten Schriftsteller der 1960 bis 1990er Jahre, in Erding bei München. Er wurde am 29. Januar 1931 in Limbach bei Chemnitz geboren. Nach dem Besuch der Leipziger Sprachschule und einem Studienjahr in Leipzig ging er nach Freiburg im Breisgau. Dort formulierte Hofmann innerhalb weniger Wochen sein literarisches Selbstverständnis als Dissertationsschrift unter dem lapidaren Titel »Interpretationsprobleme zu Henry James«. Nach Hofmanns Erfahrungen war es schon längere Zeit nicht mehr möglich, einen Roman im klassischen Sinne zu schreiben. »Heute wird alles als Roman bezeichnet, was garantiert keiner ist« (Thomas Mann). Hofmann hob deshalb den Prozess der Dramatisierung des Romans bei James heraus. Der Roman als »abgeschlossene Darstellung einer abgeschlossenen Epoche« ist für James nicht mehr möglich. »Dramatisierung« meint hier die Anwendung der Mittel des Dramas auf die Epik, d.h. die Vergegenwärtigung von Geschichte in unserem Kopf. Die Mehrdeutigkeit der Sprache soll dem Leser leichter Assoziationen und Vergenwärtigung ermöglichen. Der Schriftsteller ist hier ein Sprachschöpfer.

Mit dem Übersteigen der realistisch-beschreibenden Epik verbunden ist der Verzicht auf Aktualismus. Der Künstler solle sich ein Sujet aus der jüngsten Vergangenheit suchen, was nicht mehr existiert, an das sich die Leser jedoch noch erinnern. Dialoge bilden die Struktur dieser Art von Texten.

In der Dramatik sah Hofmann seine Berufung. So konzentrierte sich Gert Hofmann auf Hörstücke, Hörspiele, Fernsehspiele und Theaterstücke. In den Jahren 1960–1992 wurden 43 Hörspiele Gert Hofmanns von deutschen und internationalen Radiosendern z.T. mehrfach produziert und gesendet, sieben Theaterstücke aufgeführt und vier Fernsehspiele gesendet. Das erste eigenständige Hörspiel Gert Hofmanns, »Die Beiden aus Verona«, inszenierte und sendete der Bayerische Rundfunk 1960.

Im Rückentext wird ein falsches Geburtsjahr Gert Hofmanns angegeben

 

Am 7. Februar 1961 fand die Premiere von Hofmanns erstem Theaterstücks »Advokat Pathelin« am Freiburger Wallgrabentheater statt. Am 23. Januar 1963 ging in Bristol die Uraufführung seines zweiten Theaterstückes »The Borgemaster« (Der Bürgermeister) über die Bühne. Stefanie Hunzinger von S. Fischer, die Gert Hofmanns Publikationen betreute, war sowohl in Freiburg als auch in Bristol bei den Premieren zugegen.

Im Lauf der Jahre 1963/64 spielten Bühnen in ganz Westeuropa und in der Tschechoslowakei dieses Stück. 1965 produzierte der WDR zusammen mit SWF und BR eine Hörspielfassung des »Bürgermeisters«. Der SDR produzierte noch im Jahre 1965 eine Fernsehspiel-Fassung.

 

Im Sammelband »Die Überflutung« findet sich auch das Hörspiel »Das Autorengespräch«. Im Rückentext ein falsches Geburtsjahr Gert Hofmanns.

 

Am 2. Juli traf sich der Freundeskreis Gert Hofmann in der Limbacher Gaststätte »Stadt Wien«, um an den 25. Todestag des Autors zu erinnern. Die Gaststätte befindet sich in 50 Meter Entfernung vom ehemaligen Standort des Hofmannschen Geburtshauses, das vor Jahren abgerissen wurde, obwohl es auf der Landesdenkmalliste stand.  Gert Hofmann besuchte die Gaststätte »Stadt Wien« letztmalig am 24. Juli 1990, beim einzigen Besuch seiner Geburtsstadt, seit seinem Weggang. Die Gaststätte besitzt nach Wiener Vorbild noch die Original-Einrichtung von 1929. Es ist mittlerweile der einzige authentische Erinnerungsort an die Jugend Gert Hofmanns in Limbach.

Mitglieder des Freundeskreises führten an diesem Abend das  Hörspiel »Autorengespräch« auf. Dieses Hörspiel erfuhr seine Ursendung am 8. September 1970 durch den WDR. Es treten drei Personen auf.

Der ehemalige »Erfolgsautor« wird nur mit seinem Nachnamen »Lindner« benannt. Er wurde einbestellt, weil er seit etwa drei Jahren keine »Erfolgstexte« mehr liefert, sich in die bayerischen Wälder zurückgezogen hat, lange Spaziergänge unternimmt, mit Almbauern spricht und alle Kontaktversuche seines früheren Verlegers einfach ignoriert.

Einbestellt haben den »Erfolgsautor« der Großverleger (li.) und sein Verlagsleiter »Wenzel«, ein promovierter Lyriker, der jetzt die schöngeistige Abteilung des Verlages leitet und sich nun »alles das leisten kann, wovon er früher in seinen Gedichten nur geträumt hat«. Beim Versuch »Lindner« wieder in seine Rolle als »Erfolgsautor« zu bringen, wendet der Großverleger zunächst alle Mittel der Freundlichkeit an. Hofmann wäre aber nicht Hofmann, wenn nicht von Anfang an die Strukturen eines Verhörs hinter dem Text hervorscheinen. In der Tat kippt die Situation schließlich auch. Der Großverleger wirft Lindner Undankbarkeit vor: »Gott ist mein Zeuge, dass ich Sie nach Kräften gefördert habe, dass ich Ihnen die ehrenvollsten literarischen Preise und Auszeichnungen zugeschoben und die höchsten Honorar gezahlt habe«.

Trotz der Wendung, in der die anfängliche Lobhudelei in ihr Gegenteil umschlägt, vermag Gert Hofmann mit seinen Schluss nocheinmal eine dramatische Zuspitzung zu schaffen, bei dem jedem ernsthaften Literaten das Lachen im Halse stecken bleiben muss.  Damit nimmt Hofmann dem Hörer alle Illusionen, dass es im massenkulturellen Literaturbetrieb um »Literatur« gänge. Vielleicht ist das Hörspiel vergleichbar mit Billy Wilders  Film »Extrablatt«, der dem Zuschauer ebenfalls in herrlichen Dialogen die Illusion nimmt, im Zeitungswesen gehe es um »sachliche Nachrichten«.

Nach dem Hörspiel erinnerte Jochen Richter in kurzen Impressionen an den letzten Stummfilm-Pianisten im Limbacher Kino »Deutsches Haus«, in der Helenenstraße, der in Gert Hofmanns Roman »Der Kinoerzähler« vorkam.

Mitglieder und Gäste des Freundeskreises Gert Hofmann fanden sich abschließend nocheinmal zum traditionellen Erinnerungsfoto an den Abend des 2. Juli 2018 in der Gaststätte »Stadt Wien« zusammen. Es war ein Ereignis. (Sigfrid Hoyer hatte eine kleine Ausstellung der Bücher Gert Hofmanns vorbereitet.)

 

 

Foto Copyright: Ursula Hasenkopf

Kommentar

Am 1. August 1972 schrieb Gert Hofmann das Vorwort zum Katalog einer Ausstellung mit Werken des spanischen Malers Castillo. Er hob hervor, dass Castillo ein Erbe der abendländischen Tradition gewesen sei, der seine Erbschaft nicht verworfen habe. Man finde in diesem Werk kein Novitäten-Kabinett, keinen Schlager der Saison, keine avantgardistische Provokation, keinen Vorwand für verbale Akrobatik zur Weltveränderung durch Künstler, keine Ästhetik des Trivialen und kein Anprangern des Elends des Proletariats für 100.000 Mark pro Quadratmeter. Statt dessen zeige Casstillo, dass individuelle Entfaltung nur dem möglich sei, der seine abendländischen Erbschaft nicht verworfen habe.

Das ist der Punkt: Individualität ist nur dem möglich, der sich seiner Genesis aus der allgemeine Erbschaft der Menschheitskultur bewusst ist. »Massenkultur« ermöglicht dagegen lediglich manieristischen Narzissmus. Kaum ein deutscher Autor hat mit solchem Amüsement auf diesen entscheidenden Punkt unserer Existenz aufmerksam gemacht, wie Gert Hofmann.

Andreas Eichler

 

Informationen

Gert Hofmann: Kündigungen. 2 Einakter. S. Fischer, Frankfurt/Main 1969.

Gert Hofmann: Die Überflutung. 4 Hörspiele (Autorengespräch, Schmähreden des alten B. auf seinen Sohn, Der Lange Marsch, Die Überflutung). S. Fischer, Frankfurt/Main 1981. ISBN 3-596-27059-6

Beide Bücher sind antiquarisch erhätlich

Informationen zur Biographie

Gert Hofmann wurde am 29. Januar 1931 in Limbach bei Chemnitz geboren

1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht inhaftiert und in der Folge von der Schule religiert. Darauf Setzerlehre und privater Sprachunterricht. Wohnt bei der Großmutter.

1948–50 Besuch der Leipziger Sprachschule. Abschluss mit drei Diplomen (Englisch, Französisch, Russisch) und Abitur am Leipziger Petri-Gymnasium

1950/51 Studium der Slawistik an der Universität Leipzig

1951–57 Studium Englisch, Deutsch, Französisch, Soziologie an der Universität Freiburg/Breisgau. Erste literarische Arbeiten.

1957 Promotion mit einer Arbeit in Anglistik »Interpretationsprobleme zu Henry James«. Gleichzeitig Hörstücke und Hörspiele für den Rundfunk

1961 Tätigkeit als Germanistik-Dozent des DAAD in Frankreich und England Theaterstücke (u.a. Inszenierungen von Helmut Qualtinger und Ivan Nagel)

1965 Aufenthalt in den USA

1971 Germanistik-Dozent in Jugoslawien. Die Familie wohnte im österreichischen Klagenfurt

1979 erster Prosaband veröffentlicht: »Die Denunziation«. Es folgen »Die Fistelstimme« (1980), »Fuhlrotts Vergesslichkeit« (1981), Gespräch über Balzacs Pferd« (1981), »Auf dem Turm« (1982), »Unsere Eroberung« (1985), »Der Blindensturz« (1985), »Die Weltmaschine« (1986), »Veilchenfels« (1987), »Vor der Regenzeit« (1988), »Der Kinoerzähler« 1990), »Tolstois Kopf« (1991), »Das Glück« (1992), »Die kleine Stechardin« (1994 postum).

1981 gab Gert Hofmann seine Dozenten-Tätigkeit auf und wurde freier Schriftsteller

1982 Umzug nach Erding bei München

Am 1. Juli 1993 verstarb Gert Hofmann in Erding. Er hatte bis zuletzt an dem Lichtenberg-Roman »Die kleine Stechardin« gearbeitet. (Der 1. Juli ist der Geburtstag von Johann Christoph Lichtenberg)

Gert Hofmann erhielt u.a. den Harkness Award 1965 (verbunden mit einem 2-Jahres-Stipendium in den USA, G.H. weilte mit Familie 1 Jahr in Yale/New Haven und 1 Jahr in Berkeley/Kalifornien), den Ingeborg-Bachmann-Preis 1979, den Alfred-Döblin-Preis 1983, den Hörspielpreis der Kriegsblinden 1983, den Literaturpreis der Stadt München 1993.

 

Über Gert Hofmann

Michael Hamburger: »Sein Mitleid besteht in diesem Einfühlungsvermögen, das sich jedoch nirgends an der Oberfläche zeigen darf. Das wäre nur Ablenkung vom Wesentlichen und ein Verfallen in Sentimentalität.«

Christopher Middleton: »Erzählerstimme oder -stimmen erzählen die ganze Welt – alles geht hervor aus dem Aufruhr, der Genauigkeit, der Unmittelbarkeit von Hofmanns Stimmen.«

Klaus Walther: »Ein Erzählstil, der in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart seinesgleichen sucht …«

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