Rezension

ROSINA SCHNORR

Der erzgebirgische Bergmannssohn Eberhard Görner ist seit vielen Jahren unterwegs. Eben noch gratuliert er seinem Blutsbruders Gojko Mitić, dem er die Rolle des Häuptlings »Fliegender Pfeil« auf den Leib schrieb, zum 80. Geburtstag. Bereits vor Jahren stellte er mit dem »Making off« den Hauptfilm über die Familie Mann in den Schatten. Er führte legendäre Film-Interviews: Mit der Meeresbiologin Elisabeth-Mann Borgese, der einzigen Frau unter den Gründern des Club of Rom; mit dem großen Verleger Gottfried Beermann-Fischer; mit dem Literaten und Psychoanalytiker Hans Keilson; mit den Nonnen und dem Spiritual Pater Dr. Gabriel Lobendanz im Zisterzienserinnen-Kloster Waldsassen. Und wenn Walther Rathenau noch lebte, dann hätte er in Bad Freienwalde mit ihm auch ein solches Interview geführt, bei dem der Zuschauer den Eindruck hat, selbst mit dem Interviewten im Dialog zu sein.

Seit der geplante Film über George Bähr und die Frauenkirche nicht gedreht werden konnte, schreibt Eberhard Görner statt Drehbüchern echte Bücher. Und hier fällt auf, dass in den letzten Jahren immer mehr Sachsen und die erzgebirgische Heimat des Autors in den Fokus rücken. Einerseits entstanden eine Reihe von Romanen über Dresden in der Zeit August des Starken. Andererseits gab Eberhard Görner 2010 im Mironde Verlag ein Buch mit dem Titel »Weißes Gold im Erzgebirge? Veit Hans Schnorr von Carolsfeld« heraus. Hier wurde der Zusammenhang der Schnorrschen »Weiße-Erde-Zeche« und der Neuerfindung des Hartporzellans durch Ehrenfried Walther von Tschirnhaus thematisiert. Ebenso veröffentlichte Eberhard Görner einen Artikel in dem 2013 im Mironde Verlag erschienen Band über die Kultur des Erzgebirgskreis, in dem Geschichte, Handwerk, Industrie, Kunst, Musik, Sport, Literatur, Sagen u.a. in einem weiten Panorama dargestellt wurden.

Spätestens seit dem Thema »Weißes Gold« war Eberhard Görner die Bedeutung der Familie Schnorr für die Erzgebirgskultur klar. Erst mit dem Kaolin der Firma Schnorr vermochte Tschirnhaus, der sein ganzes Leben der Porzellanerfindung untergeordnet hatte, Anfang Oktober 1708 in Dresden ein Hartporzellangefäß herzustellen. 

Nun liegt eine Romanbiographie über Rosina Schnorr aus der Feder Eberhard Görners vor. Das Buch beginnt mit der Hochzeit der verwaisten, achtzehnjährigen Rosina Hübner mit dem zwei Jahre älteren Veit Hans Schnorr am 1. August 1636 in Schneeberg. Görner stellt Veit Hans als Hammerherren mit paternalistischem Führungsstil dar. Er fordert viel von sich selbst und seinen Mitarbeitern. Aber sorgt für seine Arbeiter, wie für eine Familie. Er kennt die Härte der des Bergwerks- und Hüttenbetriebes. Das Durchschnittsalter der Bergleute war bis ins 20. Jahrhundert hinein etwa 35 Jahre. Radon hieß die Ursache der »Schneeberger Krankheit«. Was Veit Hans gegenüber seinen Mitarbeitern recht war, dass war ihm gegenüber seiner Ehefrau billig. Er bezog sie von Anfang an in die Führung des Unternehmens ein. Die der Buchbeschreibung nach große Küche, war Schauplatz von Beratungen und Verhandlungen. Rosina fuhr auch mit ins Hammerwerk und in die Gruben. Gleichzeitig dirigierte sie den großen Haushalt und gebar fünf Kinder. Trotz der Zerstörungen und der Massaker an der Zivilbevölkerung im Dreißigjährigen Krieg, bei dem die Religion politisch missbraucht wurde, das »katholische« Frankreich finanzierte z.B. das »protestantische« Schweden, um den Krieg gegen das »katholische« Österreich zu führen, vermochte Veit Hans Schnorr das väterliche Geschäft weiterzuführen und zu erweitern. Görner schildert sehr bildhaft Freud und Leid und die Bedeutung des religiösen Trostes in solch schweren Zeiten.

Doch dann geschieht etwas unvorstellbares. Auf dem Heimweg von der Leipziger Messe wird Veit Hans Schnorr entführt. In Schneeberg wartet man vergeblich auf ihn. Keine Nachricht trifft ein. Keine Lösegeldforderung. Veit Hans Schnorr bleibt spurlos verschwunden. Aber das Geschäft muss weiterlaufen. Rosina Schnorr steht unter großem Druck. Die halbwüchsigen Kindern, die Verpflichtung den Kunden und den Mitarbeitern gegenüber, die Vorbehalte des Schneeberger Stadtrates und die Hoffnungen der Konkurrenten drohen sie zu zermürben.

Prof. Eberhard Görner während einer Lesung in Niederfrohna

Eberhard Görner findet Bilder, um uns die Selbstbehauptung der Rosina unter diesen Extrembedingungen verstehbar und nachvollziehbar zu machen. Es ist notwendig, den Ehemann für tot erklären zu lassen, denn nur eine Witwe durfte damals ein Unternehmen weiterführen. Persönliche Gefühle der Trauer und der Hoffnung auf eine Rückkehr mussten zurückstehen. Rosina ist eine Frau der Selbstbeherrschung. Immer wieder blendet der Autor auch Gedichte und Liedzeilen ein, deren Melodien Rosina Trost spendeten.

Erst 1664 erhält Rosina einen Brief ihres Mannes, der nach Russland entführt wurde, um im Ural den Bergbau und die Erzverarbeitung aufzubauen. Nach einem Einfall tartarischer Horden war ihm die Flucht gelungen. Er schrieb 1664 aus Wien, kam aber nicht mehr in Schneeberg an.

Zwischenzeitlich war es Rosina gelungen das Unternehmen zu konsolidieren. Sie setzten den paternalistischen Führungsstil ihres Mannes fort. Görner beschreibt, dass die Männer sie in den Verhandlungen unterschätzten, und dass sie dadurch sehr vorteilhafte Verträge abschließen konnte. Es gelang ihr zum Beispiel eine Art von Pottasche-Monopol zu erreichen. Damit stellte sie die Firmenexistenz auf eine sichere Grundlage. 

Das Schicksal wollte es, dass Rosina die acht verwaisten Kinder ihrer Schwester aufnahm und kurz vor ihrem Tod eine Waisenkinder-Stiftung in Schneeberg einrichtetet.

Rosinas Sohn Veit Hans Schnorr der jüngere (1644−1715) baut das Unternehmen weiter aus und erhielt vom Kurfürsten die Herrschaft Carlsfeld, so dass sich der Familienname auf Schnorr von Carolsfeld erweiterte. Die eigentliche Begründerin des Unternehmens war aber seine Mutter.

Eberhard Görner gelingt mit seinem Buch nicht nur eine Hommage an Rosina Schnorr, sondern an alle Frauen, die in den extremen Situationen der letzten Jahrhunderte oft das Heft des Handelns übernehmen mussten, um die Existenz der Familie zu sichern, während sich die Männer weit weg befanden, im Krieg oder in Gefangenschaft.

Johannes Eichenthal

Information

Eberhard Görner: Das Leben der Rosina Schnorr. Chemnitzer Verlag 2020. ISBN 9783944509747

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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