John Hands
Rezension

HERDER NEU LESEN II

Das gewichtige Buch von John Hands trägt den Titel »Cosmo Sapiens.« Der Untertitel lautet »Eine Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute« Die englische Originalausgabe erschien 2015, die deutsche Übersetzung zwei Jahre später.

Wir erinnern uns an Johann Gottfried Herders »Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit« von 1784 und Pierre Teilhard de Chardins Buch »Der Mensch im Kosmos« von 1959.

Es ist verdienstvoll vom Autor, ein solches Thema über Jahre hinweg verfolgt zu haben. Der Verlag gibt auf dem Umschlag und auf einer Seite vor dem Schmutztitel Pressestimmen wieder. Die berühmte Literaturbeilage der New York Times nennt den Autor ein »Universalgenie«.

Wie geht der Autor vor? Das Buch ist in vier Teile gegliedert: 1. Entstehung und Evolution der Materie; 2. Entstehung und Evolution des Lebens; 3. Die Entstehung und Evolution des Menschen; 4. Ein kosmischer Prozess. – Die Kapitel sind durch alle Teile fortlaufend nummeriert. Der Autor leitet die jeweiligen Kapitel mit Zitaten bekannter Wissenschaftler ein. Wichtige Literaturhinweise oder Argumentationen werden über Fußnoten zugänglich gemacht. Englischsprachige Autoren aus Geschichte und Gegenwart dominieren. Einen besonderen Platz in der Berufung nimmt Charles Darwin ein. Aber dessen vielleicht bedeutsamerer Großvater Erasmus Darwin wird auch erwähnt. An verschieden Stellen fügt der Autor Begriffserklärungen ein. Die vorherrschenden Auffassungen und die alternativen Erklärungen stellt er in kurzen Zusammenfassungen vor. Seine verwendete Methode beschreibt er selbst: »In jedem Teil werde ich die zentrale Frage ‚Was sind wir?‘ in die Teilfragen zerlegen, die von den einschlägigen Fachgebieten untersucht werden. Anhand der wissenschaftlich anerkannten Veröffentlichungen jedes Gebiets versuche ich Antworten zu finden, die sich nicht aus Spekulationen oder Glaubensüberzeugungen ableiten, sondern empirisch belegt sind, und prüfe, ob sich in den Befunden ein Muster erkennen lässt, das weitergehende Schlussfolgerungen erlaubt.« (S. 18) Wie in diesem Satz bereits angedeutet, macht der Autor deutlich, dass er Wissen und Glauben eindeutig trennt. Als Wissenschaftler bedauert er, dass die Mehrheit der Menschheit noch an Mythen glaube. Dennoch behandelt er in Kapitel 2 »Ursprungsmythen«. Der Autor zählt einige Mythen und einige wissenschaftliche Positionen auf. Die zitierten Wissenschaftler werden jeweils mit einigen Sätzen vorgestellt.

Der aufmerksame Leser bemerkt, dass die verwendete empiristische Logik nicht zum Verstehen von Mythen geeignet ist. Das »Nebeneinander« von wissenschaftlichen Postionen dominiert bereits hier.

Mit dem Kapitel 3 beginnt der vielleicht stärkste Abschnitt des Buches. Der Autor zeichnet die Entstehung der »Urknall-Theorie« nach, die in den letzten Jahren zum wissenschaftlichen Dogma avancierte, und überprüft die Darstellung der Theorie kalt und nüchtern auf Folgerichtigkeit. Er stellt gravierende Widersprüche fest. Danach bringt der Autor alternative Theorien zur Urknall-Theorie vor. Deren Darstellung weist keine Widersprüche auf.

John Hands

Besonders interessant ist die Beschreibung der Reaktion von führenden Kosmologen auf seine Bitte, einmal über den Text zu schauen. (Kapitel 11, S. 222 ff.) Das Spektrum reicht von der Ablehnung eines Überblicks über die Diskussion; der Ablehnung des Autors, der »die Kosmologie nicht in allen physikalischen und mathematischen Details studiert habe«; der Ablehnung zitierter Kollegen – »die nicht mehr ernst genommen würden«; der Behauptung, der Ansatz des Autors sei »grundlegend falsch«; der Ablehnung des Textes, der sich auf frühere Arbeiten des ablehnenden Professors selbst stützt usw. usf.

Der Autor bringt immer wieder seine von der Mainstream-Forschung abweichende These vor, dass die Erde ein »seltener Ort« im Universum sei (S. 43, S. 272 u.a.). Die nüchterne Art und Weise, wie er die wissenschaftliche Diskussion, oder besser gesagt die herrschende Mainstream-Dogmatik, darstellt, ist erfrischend und besitzt Seltenheitswert in der heutigen Literatur.

Weniger stark ist der Autor auf dem Gebiet der Entstehung des Lebens und der Menschheit. Das hängt zunächst mit der verwendeten Methode zusammen, die ihm nur ein Nach- und Nebeneinader erlauben. Bei der Darstellung des wissenschaftlichen Denkens über den Kosmos fällt das weniger ins Gewicht, bei der Darstellung organische Kräfte um so mehr. 

So geht der Autor davon aus, dass sich der Mensch durch Bewusstsein von allen anderen Lebewesen unterscheide. (S. 621) Sprache reduziert er auf ihre Rolle als Kommunikationsmittel: »Die Kommunikation von Gefühlen, Geschichten, Erklärungen oder Ideen durch eine komplexe Struktur aus erlernten, gesprochenen, geschriebenen oder gezeichneten Symbolen, die in der Kultur, in der sie verwendet werden, Bedeutung transportieren.« (S. 613) Die Reduktion von Sprache auf Kommunikation und »Bedeutung« verweist auf den Ursprung: die Kunstsprache der empiristischen Logik, die an ein rein quantitatives Konstrukt gebunden ist.

John Hands

Die Schwächen des Ansatzes gipfeln im Kapitel über Philosophisches Denken. Philosophie führt der Autor richtig auf die Worterklärung von Weisheit zurück. Er versteht aber unter Weisheit nur »wissenschaftliches Denken«. Er lenkt den Blick richtig auf die Entstehung von Weisheit in Indien und China, kommt aber nicht auf die Idee, dass Weisheit seit Jahrtausenden die Einheit der Gegensätze von Vernunft und Glauben umfasst.

Um organische Kräfte darstellen zu können, verwendeten Leibniz, Herder, Hegel und Marx eine Methode des gleichzeitigen Gegeneinander von Deduktion und Induktion. Das ist die philosophische Methode, die mit der Infinitesimalrechnung vergleichbar ist, und die zu einer Näherung an innere Zusammenhänge führen kann. Das Erfassen qualitativer Zusammenhänge ist dem Autor vollkommen fremd. Daraus folgt eine eingeschränkte Rezeption. Während für Johann Gottfried Herder die Kenntnisnahme Erasmus Darwins selbstverständlich war, kennt John Hands dem Anschein nicht einmal den Namen Herders. So vermag er nicht die Tradition aufzunehmen, nicht die jahrhundertealte Idee der organischen Kraft zu erfassen, nicht die Frage zu behandeln, ob Lebensfähigkeit eine grundlegende Eigenschaft von Materie ist, nicht die jahrhundertealte Idee, dass die Erde ein Lebewesen ist, nicht den Zusammenhang aufdecken, dass im Menschen alle anorganischen, pflanzlichen, tierischen Voraussetzungen, die auf der Erde entstanden, aufgenommen wurden, nicht die Frage, ob die Natur im Menschen eine Vereinfachung vornahm, die zu einem Höchstmaß an Kombinationsfähigkeit führte, nicht die Frage, ob aufrechter Gang und Hände Voraussetzung für die Entstehung von SprachVernunft (Logos), nicht die Frage, ob Sprache außer Kommunikationsmittel zu sein die Fähigkeit ist, die Sinneswahrnehmungen zusammenzufassen, Dinge zu bezeichnen und wiederaufrufbar zu machen, und schließlich menschliche Handlungssteuerung ist. 

Herders Fazit: Sprache widerspiegelt nicht nur Wirklichkeit, sondern schafft sie auch. In der Sprache unterscheidet sich der Mensch von allen Lebewesen.

Dem Autor ist für seine jahrzehntelange Arbeit an dem wichtigen Thema zu danken. Bedrückend ist der Einblick, den er uns in die hochsubventionierte Welt der Mainstream-Wissenschaft gibt. Gleichzeitig demonstrieren John Hands und seine zahlreichen Freunde, denen er im Anhang dankt, dass Grund zur Hoffnung besteht. Auch John Hands bedarf, neben der bei ihm reichlich vorhandenen Skepsis, der Hoffnung.

Insgesamt ähnelt die Methode von John Hands der des Pierre Teilhard de Chardin sowohl in den Stärken, wie in den Schwächen.

Unsere Literaturempfehlung für den Autor und alle Interessierten: Johann Gottfried Herders »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« (Herder Werke in drei Bänden, Band 3, München/Wien 2002, Hrsg. Wolfgang Proß) lesen! Dort kann man den Forschungsstand von vor 250 Jahren zur Kenntnis nehmen, eine poetisch-leichte Darstellung und eine Methode kennen lernen, die der heutigen Naturwissenschaft haushoch überlegen ist.

Johannes Eichenthal

Information

John Hands

John Hands: Cosmo Sapiens. Eine Naturgeschichte des Menschen von der Entstehung des Universums bis heute. Fester Einband, Lesebändchen, Schutzumschlag, 878 Seiten, Albrecht Knaus Verlag München 2015

ISBN 978-3-8135-0757-7

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert