Vor Jahren schrieb der Journalist und Autor eines Buches über die Suche nach dem Bernsteinzimmer im Erzgebirge, Mario Ulbrich, dass bei dem hohen Aufwand, der in der Suche nach dem Bernsteinzimmer betrieben wurde, auch langsam einmal etwas gefunden werden müsse. In den 1990er/2000er Jahren machten tatsächlich zahlreiche spektakuläre Expeditionen auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer von sich reden. Zum Teil kam schwere Technik zum Einsatz. Journalisten großer Zeitungen, von Radio- und Fernsehen berichteten intensiv. Zeitzeugen meldeten sich mit Erinnerungen aus den letzten Kriegstagen zu Wort. Mehrfach stand der endgültige Durchbruch, der Fund des legendären Bernsteinzimmers unmittelbar bevor – doch immer wieder wurden wir enttäuscht.
Wilfried Augustin und Günter Eckhardt waren zum Teil an solchen großen Aktionen beteiligt und verfügen über vielseitige Erfahrungen, wie sie nur das Leben lehrt.
Von Augustin stammen die ersten drei Kapitel mit dem Titel »Geheimnis Bernsteinzimmer« Er geht sehr, sehr vielen Spuren nach. Dem armen Leser schwirrt dabei der Kopf vor lauter Orten, Namen und Pseudonymen. Zum Trost sehen wir dann, dass es dem Autor auch so geht: er versieht an mindestens einer Stelle den Namen von Gustav Wyst mit dem Vornamen seines Pseudonyms Georg. (S. 21)
Es folgen zwei Kapitel aus der Feder Günter Eckhardts zu Suchaktionen im Kloster Grünhain.
Nach einigen Ergänzungen Augustins fügt Eckhardt ein Schlusskapitel an, dass es wirklich in sich hat. Wie bei einem guten Krimi verbietet es sich an dieser Stelle, genauer zu werden. Das Kapitel sollte man unbedingt selbst lesen.
Die beiden Autoren gehen lokalhistorisch vor. Das ist begründet, weil Geschichte immer an konkreten Orten vor sich geht. Das, was Geschichte ist, kann nicht als vergleichender Durchschnittswert ermittelt werden.
Doch was am Ende des Zweiten Weltkrieges in Sachsen und Thüringen passierte, war das Ergebnis der Handlungen von Akteuren aus ganz Europa und den USA. Trotz aller Bemühungen fehlen den Lokalhistorikern die Akteneinsichten in London, Moskau, Paris, Rom, Tokio und Washington. Das kann man ihnen nicht anlasten. Deutlich werden hier gewaltige Forschungslücken der etablierten Wissenschaft.
Die Lokalhistoriker zeichnet aus, dass sie sich von dem schwankenden Boden ihrer Forschung nicht entmutigen lassen. Sie suchen unablässig weiter. Insofern ist die »Suche nach dem Bernsteinzimmer« inzwischen vielleicht eine Metapher für ein aktives, unabhängiges und selbstbestimmtes Leben geworden. Und, leben wir nicht alle auf schwankendem Boden? Insofern hat Mario Ulbrich vielleicht doch nicht ganz recht. Schon Johann Gottfried Herder sagte, dass das Streben höher als das Erlangen stehe.
Johannes Eichenthal
Information
Wilfried Augustin und Günter Eckhardt: Auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer. Hohenpeißenberg 2020 (3., erweiterte Auflage)
ISBN 978-3-932539-43-5
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.