Sehr geehrte Damen und Herren, wir veröffentlichen einen Gastbeitrag von Detlef Manfred Müller. Johannes Eichenthal
Am 11. Juni 2021 verstarb der Diplomdesigner, Maler & Graphiker Horst Eczko in Reichenbach/Vogtland. Er wurde am 12. April 1937 in Nußberg/Ostpreußen in einer wohlsituierten Familie geboren. Ende 1944, beim Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen, ging jedoch nahezu alles verloren: Der Wehrmachtssoldat, Kradfahrer Erich Eczko, ältester Bruder und designierter Nachfolger des Vaters, war schon zuvor bei Leningrad gefallen. Der Vater, Bauunternehmer und Bürgermeister von Nußberg, wird von den Russen ohne Pardon erschossen. Das weitläufige Anwesen der Eczkos, zu dem auch der große Sonntagsee gehörte, der Baubetrieb mit seinen Beschäftigten, Haus und Hof, waren nun Geschichte.
Horst hat uns immer wieder und wieder davon erzählt. An seinem Lebensende nahezu unaufhörlich die unzähligen Traumata benannt:
Der Zugführer eines unweit Nußberg stationierten „Führersonderzugs“, Max Hornfischer, der Schwager des Vaters, rettet Mutter und Kinder aus Ostpreußen. Mit drei kleinen Kindern und einigem Bargeld kann sich die dazu noch schwangere Mutter rechtzeitig nach Westen absetzen. Fünf Eczkos gelangen so zur Verwandtschaft nach Reichenbach im Vogtland. Vom geretteten Geld kann eine Wohnung samt Ausstattung erworben werden. Doch das Schicksal hadert mit ihnen. Beim letzten lokalen Angriff auf ein sonst nahezu unzerstört gebliebenes Reichenbach wird die Familie tatsächlich noch ausgebombt, verliert komplett ihr neu erworbenes Hab und Gut. Was bleibt ist tatsächlich das nackte Leben.
Eine dramatische Geschichte. Verluste wohin man nur schaut. Das sind die prekären Ausgangsbedingungen für den nun vaterlosen achtjährigen Horst. Dazu noch der fremde Dialekt und das Stigma eines Flüchtlings. Und doch gelingt es Horst, vor allem mittels einer inzwischen gut gefüllten Zeichenmappe, 1952 in der Reichenbacher Weberei Uhlemann, Textilzeichnerlehrling (Dessinateur) zu werden. Und zwar beim ehemaligen, vom sächsischen Nazi-Gauleiter Mutschmann persönlich entlassenen Direktor der Plauener Staatlichen Kunstschule für die Textilindustrie: Prof. Georg Schauer.
Schauer, 1945 in repräsentativer Wohnlage am Oberen Bahnhof Plauen gleich mehrfach ausgebombt, wird nach dem Kriege in Reichenbach Leiter der deutsch-englischen Möbelstoffweberei Uhlemann und ist solchermaßen von 1952 bis 1958 beruflicher und künstlerischer Mentor von Horst Eczko.
Der damals erst 50jährige Georg Schauer wird in der Folge seinem Schüler ästhetisches Denken, die innovativ-technische und gestalterische Qualität des sächsischen Textildesigns, nahe bringen, vermittelt aber dem Jungen dabei nicht nur das Hand- und Kopfwerk des Designers, sondern auch Pflichtgefühl, Verantwortung und Gewissenhaftigkeit.
Horst Eczko hatte den Ersatzvater gefunden und kann sich fortan in der Tradition jener Industriedesigner sehen, die über Jahrzehnte hinweg an der Plauener Kunstschule ausgebildet wurden.
1958 wechselt Eczko aus pekuniären Gründen von der privaten Fa. Uhlemann und seinem Mentor Georg Schauer, zu Prof. Friedrich Saalborn ins Zentrale Musterbüro des VEB Kombinat Baumwolle nach Lengenfeld im Vogtland. Dort lernt er auch den ehemaligen Schönheider Textilfabrikanten und nunmehrigen technischen Leiter des Zentralen Musterbüros Walter Arlt kennen. Arlt und Schauer kennen sich noch aus den Vorkriegsjahren. Das sind gute Bedingungen. Horst Eczko wird Arlts Assistent und lernt u. a. routiniert mit fotografischen Techniken umzugehen. Optionen, die er zur intensiven Erkundung neuer bildnerischer Mittel und Methoden nutzt.
Dann entdeckt der junge Entwerfer Mitte der 1960er Jahre die Schweizer Fachzeitschrift Graphis für sich die Stilrichtung des Informell. Er erweitert seine gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten durch spontane Gestik und tachistische Spurensuche. Ein mehr und mehr erweiterter grafischer Spurenmix entsteht, der für Eczkos Entwürfe über Jahrzehnte charakteristisch wird. Dazu kommt, gemeinsam mit seiner Frau Marion Eczko, eine umfangreiche freischaffende Tätigkeit. Ausstellungsbeteiligungen, Personalausstellungen und ein umfangreiches Engagement in den gestalterischen Gremien des Kombinates Baumwolle und des Verbandes Bildender Künstler der DDR, sind für Jahrzehnte Alltag des Künstlerehepaares Eczko. Nicht zuletzt entsteht für die Familie in Lengenfeld ein Haus, in dessen Bau die gestalterischen Erfahrungen des Paares einfließen. Bis zuletzt war Horst stolz auf das Heim der Familie.
In den siebziger und achtziger Jahren setzt er sich im Rahmen seiner engagierten Lehrtätigkeit an der traditionsreichen Reichenbacher Ingenieurschule erneut mit Theorie und Praxis gestalterischer Fragen und Positionen auseinander. Für seine Seminare entstehen nahezu altmeisterliche Naturstudien und diverse serielle Untersuchungen, die für seine Studentenschaft stilbildend werden. Dort bin ich dem charismatischen Dozenten begegnet, habe mich ihm und seiner Familie dauerhaft befreunden dürfen.
Als in den achtziger Jahren die Kunst-Doktrin der DDR, wie der ganze Staat, regelrecht porös wird, entwickelt Eczko abstrakte Figurationen, Mementos, die er auch in großformatigen Drucken realisiert. Seine Bildideen, ähnlich einem Palimpsest, mehrfach überschrieben, die vielfältigen materialtechnischen Experimente, wechseln dabei nicht selten mit kaligraphischer Malerei. Dem umfangreichen Werk liegen zumeist Ideen und Skizzen zugrunde, die Eczko über Jahrzehnte hin entwickelt hat. Gleichzeitig befruchten sie seine Industrieentwürfe.
Das facettenreiche Können der Eczkos zahlt sich aus, als die Abwicklung der mitteldeutschen Textilindustrie 1990 dazu nötigt, zu neuen Horizonten aufzubrechen. Der berufliche Weg führt nun ins Oberfränkische Konradsreuth, zur weithin agierenden Hightex-Manufaktur Rohleder, einem gesuchten Spezialisten für hochwertigste Möbelstoffe. Rohleder verfügt über modernste technischen Möglichkeiten und bedient eine weltweite Kundschaft.
Das Designerpaar Marion und Horst Eczko findet hier für ein weiteres Jahrzehnt anspruchsvolle und vielseitige gestalterische Aufgabe.
Im Jahre 2002 nehmen die Eczkos zwar endgültig Abschied von der Industrie. Aber immer noch gerät dem nun alternden Meister Neues auf Papier und Leinwand. Die Lust am grafischen Schreiben, auch am Satirischen, provoziert noch immer bildnerische Erfindungen.
Und dann noch eine regelrechte Überraschung!
Die Wiederentdeckung der Landschaft: Reminiszenzen an eine mystische Kindheit in Ostpreußen regen eine Fülle mittel- und kleinformatiger Malerei an.
Ein funkelndes Alterswerk hat er uns damit geschenkt, ja, das Schaffen des Alten wird in den zwei Jahrzehnten, die ihm noch blieben, vielstimmiger denn je, eigentlich liberal und voller Toleranz.
Mit dem Tod Horst Eczkos sind wir erneut ärmer geworden. Und mit uns ist es die Design- und Kunstgeschichte, unsere einstmals so bedeutsame sächsische Industrieformgestaltung.
Detlef Manfred Müller