Kevins Brewery
Reportagen

ZUM WELTTAG DES BIERES

Der 29. April war ein sonniger Frühlingstag. Uns zog es zu einem besonderen Veranstaltungsort: in eine ehemalige Gardinenweberei in der Zwickauer Seilerstraße. Beim Betreten des Gebäudekomplexes trafen wir Tanzkurs-Teilnehmerinnen und hörten ab und zu eine Band proben. Hier finden wir „Kevins Brewery“, eine Kraftbier-Brauerei, die ihre Räume auch anderen Aktivisten zur Verfügung stellt. Am 23. April jeden Jahres wird der Welttag des Buches und der des Bieres begangen. Weil zwei Veranstaltungen an einem Tag für den Mironde-Verlag nicht möglich sind, am 23. April trat er ja in der Stadtbibliothek Limbach-Oberfrohna auf, wählten die Veranstalter den 29. April, um wenigstens den Zusammenhang beider Welttage zu verdeutlichen. Die Buchhändlerin und Antiquarin Gabriele Hertel hatte diese Vorstellung des dritten Bandes der „Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland“ organisiert. Langsam füllte sich der Raum, bis fast alle Plätze besetzt waren.

Kevins Brewery

Um 19 Uhr begrüßte Gabriele Hertel die Gäste und den Mironde-Verlag zur Buchvorstellung.

Kevins Brewery

Dr. Andreas Eichler, der Autor des Buches, begründete den Zusammenhang der Herausbildung der mittelhochdeutschen Sprache in der Region zwischen Braunschweig und Görlitz im Rahmen der Ostexpansion des deutschen König- und Kaiserreiches zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert, mit der Entstehung einer Erneuerungsmentalität in Mitteldeutschland. Dann stellte er die 26 Personen kurz vor, mit denen er im dritten Band – von Thomas Mann bis Gundermann – den Prozess fassbar machen möchte.

Kevins Brewery

Bei dem Kaufhausgründer und Verleger Salman Schocken  verweilte er etwas länger. Der am 29. Oktober 1877 in Margonin bei Poznan in einer jüdischen Kaufmannsfamilie geborene Schocken gründete 1907 gemeinsam mit seinem älteren Bruder das Kaufhausunternehmen „I. Schocken Söhne Zwickau“. Neben dem Zwickauer Kaufhaus gehörte auch die Einkaufszentrale in Zwickau dazu. 1913 hatte das Unternehmen 500 Mitarbeiter. Nach dem Unfalltod des Bruders wurde Salman Schocken 1929 alleiniger Geschäftsführer. Er vereinigte strenge Rationalisierung mit sozialer Verantwortung für seine Mitarbeiter. Filialen in mehreren Städten entstanden. 1931 hatte das Kaufhausunternehmen 6000 Mitarbeiter und 100 Mio. RM Jahresumsatz. 

Salman Schocken wollte sich nicht assimilieren, sondern die jüdische Kultur als Gastgeschenk in die deutsche Kultur einbringen. Bereits 1929 hatte er in Berlin ein Institut zur Erforschung Hebräischer Poesie gegründet und 1931 den Schocken Verlag. Er war, so Eichler, selbst Buchliebhaber. 1931 umfasste seine Bibliothek 60.000 Bände. Die Zielsetzung des Schocken-Verlages beschrieb er in einer Zeitungsanzeige: „eine Brücke zu sein zwischen Jahrhunderte alten Geistesgut und heutiger verantwortungsbewusster Geistesarbeit“. Als Verlagsleiter wirkte der Ex-Verleger Lambert Schneider und als Lektor der promovierte Orientalist Moritz Spitzer.

1932 stellte Schocken selbst Goethe-Texte zusammen und veröffentlichte sie im Schocken-Verlag, mit der Ortsangabe Zwickau, in einer soliden und preiswerten Form. Für Schocken, so Eichler, sei Goethe der Inbegriff eines „Tatmenschen“ gewesen. Er habe zahlreiche Goethe-Gesamtausgaben und Einzelbücher in Erstausgaben besessen.

Das Großprojekt der Übersetzung der „Hebräischen Bibel“ ins Deutsche war das Kernstück des Verlags-Programms. Schocken hatte es vom insolventen Verlag Lambert Schneiders übernommen. Die herausragenden Gelehrten Martin Buber und Franz Rosenzweig waren die Herausgeber. Daneben habe der Schocken-Verlag, so Eichler, auch zeitgenössische Autoren veröffentlicht: eine Gesamtausgabe Franz Kafkas (1936), Bücher des späteren Nobelpreisträgers Samuel Agnon oder auch das Werk „Philosophie und Gesetz. Beiträge zum Verständnis Maimunis“ (1935) des Philosophen Leo Strauß.

1938 wurde der Verlag aus Deutschland und Berlin vertrieben. Schocken verlegte den Sitz zunächst nach Palästina und 1940 nach New York. (Dort sei die Cheflektorin Hannah Arendt gewesen.) – Am Lebensende reiste Salmann Schocken oft in die Schweiz und starb dort am 6. August 1959.

Kevins Brewery

Stefan Wäntig von Kevins Brewery verfolgt auch den Vortrag

Bei dem am 15. Oktober 1883 in Zwickau gebornen Kurt Arnold Findeisen verweilte Eichler ein zweites Mal etwas länger. Dieser habe von 1898 bis 1903 das Königlich-Sächsische Lehrerseminar in Schneeberg absolviert.

1904 folgte ein kurzzeitiger Studienaufenthalt in Jena, über den jedoch keine Einzelheiten bekannt seien. Ab 1904 war Findeisen Hilfslehrers, ab 1912 Mitherausgeber einer Vogtländische Monatsschrift und ab 1920 Herausgeber der Zeitschrift „Sächsische Heimat“. 1921 trat Findeisen als Autor von Biographien auf (Robert Schumann, Karl Stülpner u.a.) 1928 habe Findeisen mit dem „Hausbuch mitteldeutscher Dichtung“ den Versuch unternommen, den Zusammenhang der literarisch-sprachlichen Überlieferung mit der sächsischen Mentalität zu erfassen. Mitteldeutschland habe Findeisen als „das Land ohne Leidenschaften … das von immer wiederkehrendem Missgeschick mit einer gewissen Elastizität des Erlebens und Erleidens begabt wurde, das Land der verbindlichen Mittellinie“ charakterisiert. Ein Hauch von Mentalitätsgeschichte, wie sie um diese Zeit mit der Annales-Schule in Frankreich entstand, sei hier erkennbar. Aber die Wissenschaft in Deutschland, so Eichler, ignorierte Findeisens strategischen Ansatz und verlor den Anschluss.

Dafür habe Findeisen mit dem ebenfalls 1928 erschienen „Goldenen Weihnachtsbuch“ die erzgebirgische Weihnachts-Mentalität dokumentiert und den Nerv des Publikums getroffen. Bereits 1936 erschien es in zweiter Auflage und wird bis heute immer wieder neu aufgelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Findeisen weitere historische Romane veröffentlicht. Am 18. November 1963 sei er in Dresden verstorben.

Kevins Brewery

Mit dem Wanderziel „Hoyerswerda“ und der Vorstellung des Sängers und Dichters Gerhard Gundermann beendete Eichler die Wanderung. Das Publikum dankte mit herzlichem Applaus.

Kevins Brewery

Auf der Heimfahrt ging uns noch einmal durch den Kopf, dass in der Zwickauer Seilerstraße Aktive versammelt sind, die sich wirtschaftlich alle selbst tragen. Unabhängigkeit ist eine Voraussetzung für wirkliche Kunst und Literatur. Der Kulturbegriff ist dafür ungeeignet. Johann Gottfried Herder meinte, dass das, was „Kultur“ genannt werde, oft nur „verfeinte Schwachheit“ sei. Er hatte dabei den teuren Unterhaltungsbetrieb der „höfischen Kultur“ im Auge. Gegen dessen Manierismus setzte Herder auf die Erneuerung von Kunst und Literatur durch echte Volkstümlichkeit. Begrifflich fasste er die Bildungsidee mit „Humanität“. Bildung zur Humanität war für Herder die zentrale Aufgabe von Kunst und Literatur. Er war es auch, der gegen alle Widerstände die Einsicht verteidigte, dass wir uns als Menschen eben nicht in „Bewusstsein“ sondern in bezeichnender Sprache konstituieren. Insofern ist die Wanderung durch die sprachlich-literarische Erbschaftslandschaft eine Art „Grundlagentraining“ unserer Bildung zur Humanität. Die Veranstaltung war ein besonderes Ereignis. Den Organisatoren und dem Publikum ist zu danken.

Clara Schwarzenwald

Kevins Brewery

Information

www.kevin-brewery.de 

 KEVIN Brewery – Craft Beer From Zwickau

Öffentliche Vorstellungen des dritten Bandes der „Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland“.

Kevins Brewery
Kevins Brewery

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert