Ein spätsommerlicher Spaziergang im Schlosspark Esterházy in Eisenstadt brachte mich kürzlich auf einen Gedanken, der mich seither nicht mehr loslässt. Zwischen alten Bäumen, die seit Jahrhunderten hier stehen und deren Wurzeln in unsichtbarer Tiefe miteinander verflochten sind, kam mir die Frage: Könnte man nicht auch die Bau- und Immobilienwelt als ein solches Ökosystem verstehen?
Denn wie die Natur lebt auch unsere Branche nicht von Einzelkämpfern, sondern von Beziehungen. Der Naturkreislauf zeigt uns, dass alles im Wandel ist – nichts bleibt, alles verwandelt sich. Die wechselseitige Abhängigkeit dagegen verlangt etwas anderes: Resonanzfähigkeit. Wer nicht mehr in Resonanz mit seiner Umwelt steht, geht im Kreislauf unter. So ist es in der Natur – und so ist es auch im Bauwesen.
Vom Auftraggeber bis zum Rückbau – ein Kreislauf wie in der Natur
Wenn ein Bauwerk entsteht, ist es selten das Werk eines Einzelnen. Zuerst stehen die Auftraggeber, die eine Idee entwickeln, die Bedürfnisse vieler Menschen bündeln und daraus ein Ziel formulieren. Diese Idee ist wie der Same, der in die Erde fällt.
Die Planer nehmen diesen Samen auf, geben ihm Gestalt und Form. Sie übersetzen ihn in Linien, Flächen, Räume – in Geometrie und Funktion. Ohne diese Arbeit bliebe die Idee unsichtbar, ohne Körper und ohne Richtung.
Dann kommen die Ausführenden: Handwerker, Ingenieure, Unternehmen. Sie verwandeln das Gezeichnete in greifbare Realität, Stein für Stein, Kabel für Kabel.
An der Spitze dieses Systems stehen die Betreiber, die das Bauwerk nutzen, erhalten und mit Leben füllen. Von ihnen hängt ab, ob das Gebäude für Jahrzehnte funktioniert, ob es Sicherheit, Komfort oder Energieeffizienz bietet.
Und schließlich, am Ende eines langen Lebenszyklus, übernehmen die Rückbau- und Recyclingbetriebe. Sie sorgen dafür, dass Materialien nicht Abfall bleiben, sondern wieder in den Kreislauf gelangen – so wie in der Natur nichts verloren geht, sondern verwandelt wird.

Die unsichtbare Sonne – Software und offene Standards
Doch ein Kreislauf braucht Energie. In der Natur ist es die Sonne. In unserer Branche sind es Software, digitale Plattformen und offene Standards. Sie halten den Fluss der Informationen in Gang und sorgen dafür, dass Übergaben gelingen.
Man könnte sagen: Offene Standards sind wie Stimmen in einem Chor, die aufeinander hören und sich zu einem Klang verweben, der größer ist als die Summe seiner Teile. Geschlossene Standards dagegen sind Stimmen, die sich nur selbst hören und die Resonanz mit den anderen verlieren.
Fehlt diese Resonanzfähigkeit, verliert ein Bauwerk seine Anschlussfähigkeit, und Auftraggeber verlieren die Möglichkeit, souveräne Entscheidungen zu treffen.
Darum sind offene Standards so entscheidend. Sie sind die „Biodiversität“ unseres Bau-Ökosystems. Sie garantieren Vielfalt, Austauschbarkeit und Langfristigkeit. Ohne sie droht Monokultur – und wie jede Monokultur ist sie anfällig für Krisen.

Das Miteinander entscheidet
Und wie in der Natur entscheidet letztlich der Mensch. Ein Wald gedeiht nur, wenn man ihn pflegt, ihm Raum lässt und Eingriffe mit Bedacht setzt. Genauso braucht auch ein Bauprojekt Vertrauen, Balance, Anpassungsfähigkeit und langfristige Orientierung.
Projektallianzen und kooperative Modelle sind Versuche, diese Prinzipien vertraglich zu verankern: Ein gemeinsames Ziel statt gegeneinander laufender Interessen, Transparenz statt Misstrauen, geteiltes Risiko statt Schuldzuweisungen.
Das sind Strukturen, die Stabilität schaffen – nicht nur für ein einzelnes Projekt, sondern für die Branche als Ganzes.

Veränderung und Bewahren
Wenn wir unsere Bau- und Immobilienbranche als Ökosystem begreifen, folgt daraus eine wichtige Erkenntnis: Man kann nur dann etwas erfolgreich verändern, wenn man zugleich die wesentlichen Dinge bewahrt. Und umgekehrt: Man kann nur das Wichtige bewahren, wenn man auch den Mut zur Veränderung hat.
Ich nenne dieses Spannungsverhältnis Innokonservation: die Einheit von Innovation und Konservation. So wie ein Wald sich erneuert, indem er Altes in Neues verwandelt, so sollten auch wir Bestehendes nicht zerstören, sondern weiterentwickeln.

Ein Ausblick nach Berlin
Bald, vom 22. bis 24. September, trifft sich die internationale Community beim buildingSMART Summit in Berlin. buildingSMART wurde bereits 1995 gegründet – damals noch unter dem Namen International Alliance for Interoperability (IAI) – und setzt sich seither weltweit für die Entwicklung und Verbreitung offener Standards im Bauwesen ein.
Das zentrale Ziel besteht darin, sicherzustellen, dass Daten zwischen verschiedenen Softwarelösungen, Akteuren und Lebenszyklusphasen ausgetauscht werden können – unabhängig davon, welches Programm oder welches Unternehmen beteiligt ist.
Dort, in Berlin, werden wir diskutieren, wie wir diese Fragen – offene Standards, kooperative Modelle, die Brücke zwischen digitalen Modellen und Produktionsprozessen – gemeinsam voranbringen können.
Ich hoffe, dass wir dort nicht nur viele unterschiedliche Positionen hören, sondern auch einen Konsens finden: Wie wir die digitale Zukunft der Bauwerke so gestalten, dass sie stabil, nachhaltig und menschlich bleibt.
Denn eines ist klar: Die Zeit, darüber zu sprechen, ist vorbei.
Es ist an der Zeit zu handeln.
Christoph Eichler
Information
Christoph Eichler veröffentlichte im Mironde-Verlag gemeinsam mit Christian Schranz das BIMCert-Handbuch 2024: https://buchversand.mironde.com/p/christian-schranz-christoph-eichler-hrsg-bimcert-handbuch-2024
Aus der Feder von Christoph Eichler stammt eine Einführung in die BIM-Denkweise: https://buchversand.mironde.com/p/christoph-eichler-bim-leitfaden-struktur-und-funktion