Der 9. Oktober war weder ein trüber noch ein sonniger Herbsttag. Die Buchhandlung Goerke, die sich am Meeraner Markt befindet, hatte gemeinsam mit dem Mironde-Verlag zu einer Vorstellung der „Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland“ eingeladen. Die Buchhandlung Goerke ist eine der „Säulen“ unserer Kultur. Hier finden die Leserinnen und Leser Beratung und einen lebenslangen Zugang zum Weltwissen.
Silvia Hengmith, die Inhaberin der Buchhandlung, begrüßte voller Freude die zahlreichen Gäste und den Referenten Dr. Andreas Eichler. Dieser begründete zunächst, dass die Menschen weder durch Denken, noch durch Denk-Bewusstsein zu Menschen würden. Denken und Rechnen könnten Tiere und Maschinen auch. Spätestens seit Johann Gottfried Herders Essay über den Ursprung der Sprache von 1770, der von der Berliner Akademie der Wissenschaften preisgekrönt wurde, sei nicht mehr bestreitbar, dass der Mensch durch die bezeichnende Sprache zum Menschen werde. Allerdings müsse er sich, im Unterschied zu Tieren und Maschinen, diese Fähigkeit erst aneignen. Durch Erzählung, Nachahmung und Übung werde der Mensch erst zum Menschen. Die Geschichte der sprachlich-literarischen Überlieferung besitze deshalb für die Bildung zur Humanität entscheidende Bedeutung. Eichler entfaltete in der Folge ein Bild dieser Überlieferung in der Region Mitteldeutschland, der Sprachlandschaft zwischen Braunschweig und Görlitz, von den Minnesängern bis Gerhard Gundermann. Etwas länger verweilte er bei Edgar Hahnewald (1884–1961). Der sozialdemokratische Journalist, Mitglied des Landesvereins sächsischer Heimatschutz und Buchillustrator entwickelte einen singulären Erzählstil zur Beschreibung von Wanderungen und Fahrten durch Deutschland, Sachsen, das Erzgebirge und Böhmen. Für die Meeraner von besonderem Interesse war vielleicht, dass Hahnewald in seiner Zeit als Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung in Gera ein Mentor des in Meerane geborenen Journalisten und Drehbuchautors Erich Knauf (1895–1944) war.
Nach der Veranstaltung wurde noch lange diskutiert. Ein Bibliothekarin freute sich darüber, dass Eichler den Leser zu einen Originaltext hinführt, ohne diesen ein-für-allemal interpretieren und kommentieren zu wollen. Eichler hatte darauf verwiesen, dass wir den gleichen Text zu verschiedenen Zeiten ganz anders verstehen, dass es geradezu ein Merkmal herausragender Texte sei, dass sie über die Jahrhunderte immer wieder neu verstanden werden könnten. Er nannte Jakob Böhmes „Aurora“ oder die Bibel. Eichler fügte an, dass Klaus Walther im Jahre 2020 in seinem Buch „Was soll man lesen?“ begründete, dass auch ein Kanon für den Leser keinen Sinn mache, weil für jeden Menschen zu unterschiedlichen Zeiten ein anderes Buch das wichtigste sei. Das Buch, so Eichler, sei ja gerade die Möglichkeit eines individuellen Zugangs zum Weltwissen.
Einige Gäste sprachen noch lange nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung mit dem Autor. Die Buchhandlung erwies sich als idealer Begegnungsort. Anfragen, ob die deutschen Predigten und Traktate Meister Eckharts in der Ausgabe Josef Quints von 1963 noch lieferbar sind, konnten z.B. von der Buchhändlerin sofort beantwortet werden. Die inhaltlichen Informationen zu Meister Eckhart lieferte der Autor.
Es war ein Ereignis, obwohl der 9. Oktober nur als mittelmäßiger Herbsttag in die Geschichte einzugehen vermochte. Allen Beteiligten ist zu danken.
Clara Schwarzenwald
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.
Information
Die Bücher zum Vortrag können in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag bestellt werden
Andreas Eichler: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland. Sprache und Eigensinn 3. Von Thomas Mann bis Gundermann: https://buchversand.mironde.com/p/andreas-eichler-literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-t-3-von-thomas-mann-bis-gundermann
Andreas Eichler: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland: Teil 1 bis 3: https://buchversand.mironde.com/p/eichler-literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-teil-1-3
Weitere Vorstellungen der „Literarischen Wanderung“
