Reportagen

Gert Hofmann zum 80. Geburtstag

Geburtsstadt ehrt ihren großen Sohn mit einem Festakt

Am 29. Januar 1931 wurde Gert Hofmann in Limbach in Sachsen geboren. Stadt und Landschaft der Umgebung prägten den jungen Gert Hofmann. Früh interessierte er sich für Sprache. Zunächst besuchte er einen privaten Sprachlehrer zum vertieften Unterricht in der englischen, französischen und russischen Sprache. 1948 wechselte er an die renommierte Spezial-Sprachschule in Leipzig. Es folgte das Studium der Germanistik, Romanistik, Slawistik und Anglistik. Neben seinem Brotberuf als Germanistik-Dozent schrieb er Hör- und Fernsehspiele. 1979 erschien sein erster Prosaband. Stilistisch folgte er Henry James und Thomas Mann in der Dramatisierung des Romanes. Diese stille Innovation der künstlerischen Form wurde bislang von der Kritik nicht angemessen gewürdigt. Einem breiten Publikum ist der 1993 verstorbene Gert Hofmann nicht mehr bekannt.

Die Stadt Limbach-Oberfrohna würdigte den 80. Geburtstag ihres großen Sohnes am 29. Januar 2011 mit einer Festveranstaltung. Oberbürgermeister Dr. Hans-Christian Rickauer begrüßte voller Freude die zahlreich erschienenen Gäste und erinnerte noch einmal an den Lebensweg Gert Hofmanns.

Der promovierte Literaturwissenschaftler Klaus Walther verwies in seiner Laudatio zunächst auf das komplizierte Verhältnis von Literatur und Fiktion. Einerseits seien die Kinder- und Jugendjahre Gert Hofmann in Limbach keine normalen Jahre gewesen. Man verlebe diese Zeit mit hoher Intensität. Zudem habe Gert Hofmann Kindheit und Jugend in Zeiten historischer Umbrüche erlebt. Zeugnis dieser Einflüsse seien Ortsnamen aus der Umgebung, die in den Romanen und Erzählungen auftauchten, Straßennamen, der »Hohe Hain«, der »Große Teich« usw. Aber andererseits sei Gert Hofmann kein Landschaftsmaler gewesen. So mache er aus dem nahen »Wittgensdorf« das Dorf »Wittgenstein«. Ein Irrtum sei hier auszuschließen. Eher müsse man Ironie vermuten. Und so beginne auch sein wohl bekanntester Roman »Der Kinoerzähler«ganz harmlos mit dem Alltag in einem sächsischen Provinzstädtchen. Aber Gert Hofmann wäre nicht Gert Hofmann, wenn er uns nicht bald auf Gedanken mit hoher Sprengkraft brächte.

»Der Kinoerzähler« sei Gert Hofmanns zehntes Prosabuch gewesen. Aber Hofmann sei nicht auf Masse und Bestsellerei versessen gewesen. Er selbst habe sich immer als ein Autor für Kenner und Liebhaber verstanden. Das erforderte artistisches Vermögen auf dem Kammweg des Lebens,.
Die Figur des Großvaters im Roman »Der Kinoerzähler« sei ein Abbild einer solchen Künstlerexistenz. Hofmann lasse die Großmutter über den Großvater sagen, dass schon in seiner Zeit beim Zirkus die Phantasie öfters mit ihm durchgegangen sei. Aber, so sagte der Kinoerzähler, im Kino ist es, wie im Leben. Am Ende wird man ausgewechselt. So traf ihn im Roman auch die Entlassung bei Einführung des Tonfilmes, weil nun kein Filmerklärer mehr gebraucht wurde. Anders als in der Trivialliteratur gebe aber wirkliche Literatur den großen Anspruch der Welterklärung und des Weltverstehens nicht auf. Die Großmutter warf ihrem Mann zwar vor, dass er seine Luftgeschichten höher als die Wirklichkeit schätze, als ob es etwas Höheres als die Wirklichkeit gäbe? Aber Gert Hofmann zeige im Roman, dass Kunst kein Sofa der Harmonie ist, sondern ein Kammweg am Abgrund: Kunst ist mit Gefahr verbunden, manchmal mit Lebensgefahr, meint der Großvater.
Am Ende des Romans »Der Kinoerzähler« habe Gert Hofmann selbst darauf verwiesen, dass man das historische Material in eine Form bringen müsse, wenn man wenigstens versuchen wolle, es vor dem Vergessen zu bewahren. Dies, so Klaus Walther, sei der Punkt. Nicht im Stoff liege die eigentliche Leistung Gert Hofmanns, sondern in seinem Vermögen diesem eine Form zu geben.
Entgegen den Behauptungen mancher Rezensenten habe Gert Hofmann in diesem Roman den Stoff mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Eleganz erzählt.
Das Buch der »Kinoerzähler« sei 1990 zuerst erschienen und heute leider fast vergessen. Aber Bücher suchten sich ihre Leser, wenn sie gebraucht würden.
Die Geburtsstadt Gert Hofmanns sei in der glücklichen Lage, dass der Schriftsteller ihr Kultur vererbt habe. Klaus Walther dankte hier dem Oberbürgermeister und den Gästen für die feierliche Form, in der an den Jubilar erinnert wird.

Foto: Die »Schauspielerinnen« und ihre »Regisseurin« Beate Richter vom Albert-Schweitzer-Gymnasium Limbach-Oberfrohna

Nach einem musikalischen Zwischenspiel führten drei Schülerinnen Gert Hofmanns Hörspiel »Autorengespräch« vor. Die jungen Schauspielerinnen meisterten mit hohem Einsatz, dramatischem Talent und jugendlicher Frische den anspruchsvollen Text. Der Humor des Autors erzeugte große Heiterkeit unter des Gästen. Es geht um ein Gespräch eines »Großverlegers« und seines Assistenten mit einem berühmten Schriftsteller, der nichts mehr schreibt … Am Ende erhielten die drei Schülerinnen herzlichen Beifall. Die Gäste hatten in konzentrierter Form den singulären Stil Gert Hofmanns erleben dürfen. Er hätte an dieser Aufführung seine Freude gehabt.
Nach einer Vorführung eines Fernsehinterviews mit Gert Hofmann, das anlässlich seines Besuches im Jahre 1990 hier aufgenommen wurde, ging der offizielle Teil des Festaktes zu Ende. Manch ein Besucher blieb noch an den Büchern, Fotos und Dokumenten stehen, die die Stadtbibliothek Limbach-Oberfrohna liebevoll ausgestellt hatte. Auch eine Kopie der Dissertation Gert Hofmanns stellte die Bibliothek aus.

Einige Verehrer des Meisters fanden sich im Anschluss in der Limbacher Gaststätte »Stadt Wien« zusammen. Dies befindet sich nur wenige Meter vom ehemaligen Geburtshaus Gert Hofmanns entfernt. Hier war er auch bei seinem Besuch im Jahre 1990 zu Gast. Hier erinnerte er sich an seine Kinderjahre und die Aufgabe des Bierholens in einem Krug für den Großvater. Die Einrichtung der Gaststätte ist originalgetreu seit dem Jahre 1929 erhalten und steht heute unter Denkmalschutz.

Am Abend des 29. Januar 2011 gab es in »Stadt Wien« in Limbach-Oberfrohna etwas ganz Besonderes: gemeinsam hörte der kleine Kreis die Sendung von Katrin Wenzel über Gert Hofmann im MDR-Figaro.
Ohne Zweifel ein Ereignis. Wir bedauern alle, die nicht dabei waren.
Johannes Eichenthal

Information

Das Gesamtwerk Gert Hofmanns wird vom Carl-Hanser-Verlag München/Wien betreut.

Der Roman »Der Kinoerzähler« erschien im Jahre 2009 in einer Sonder-Edition der Tageszeitung »Die Welt« im Axel Springer-Verlag. ISBN 978-3-941711-22-8

Das Hörspiel »Autorengespräch« wurde erstmalig am 8.9.1970 im WDR gesendet.Der Text ist in dem Band Gert Hofmann: Die Überflutung. 4 Hörspiele. Fischer Verlag Frankfurt/Main 1981, zu finden. ISBN 3-596-27059-6

Die Rundfunk-Sendung von Katrin Wenzel zum 80. Geburtstag Gert Hofmanns finden Sie unter www.mdr-figaro.de

Der MDR-Figaro sendet am 7.2.2011 um 22.00 Uhr anlässlich 60 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden und 80. Geburtstages Gert Hofmanns sein mit dem Preis für das Jahr 1982 ausgezeichnetes Hörspiel: Die Brautschau des Dichters Robert Walser im Hof der Anstaltswäscherei von Bellelay, Kanton Bern. (NDR 1982)

Im Anschluss, um 23.05 Uhr, werden zudem Ausschnitte aus der Preisverleihung am 26.4.1983 im Plenarsaal des Bundesrates gesendet. (WDR 1983)

Wortlaut der Laudatio von Klaus Walther:

Die poetischen Provinzen des G. H.
Literatur, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist der manchmal vertrackte, manchmal auch erstaunliche Versuch, das wirkliche Leben in eine imaginäre Welt zu verwandeln, die freilich wiederum ein scheinbar wirkliches Leben hervorbringt. Und obwohl wir jenen Kinoerzähler aus Limbach nie gesehen haben, sehen wir ihn doch vor uns als eine wirkliche Person. Und da sind wir schon bei unserem Personal, das wir hier ein wenig besichtigen wollen.
»Mein Großvater Karl Hofmann arbeitete im Apollotheater in Limbach/Sachsen«. So beginnt das vielleicht wichtigste Buch des Autors Gert Hofmann, der heute vor achtzig Jahren eben in dieser Stadt geboren wurde. Ich will hier nicht die Stationen seiner Biografie im einzelnen Detail vortragen, aber daß eben Limbach nicht nur ein zufälliger Geburtsort ist, sondern eine wichtige Lebenssation, immerhin lebte er hier von seiner Geburt von 1931, Besuch der Volksschule, der Höheren Schule, bis er 1948 mit der Familie nach Leipzig kam. Das waren ja nicht nur Jahre seiner Kindheits-und Jugendzeit, sondern eben auch Zeiten des Umbruchs, der historischen Veränderung. Und so finden wir in seinem Werk manches poetische Detail, wie Wüstenbrand oder Kellerwiese, der Hohe Hain und der Große Teich, die sich schließlich als Realitäten dieser Kindheitslandschaft erweisen. Und vielleicht hat mit diesem Limbach nicht nur alles begonnen, sondern eben diese Provinz ist zur poetischen Provinz dieses Schriftstellers geworden. Provinz also, Kleinstadtszenerie, die er mit seinem Generationsgefährten Peter Härtling teilt, der ganz in der Nähe aufgewachsen ist. Und auch andere seiner Bücher »unsere Eroberungen« etwa und »Veilchenfeld« verweisen auf die hiesige Topographie, da ist von der Stadt die Rede und ganz direkt von Hohenstein-Ernstthal und von Chemnitz auch, das Koordiantebnsystem seiner Handlungsorte ist ablesbar.
Aber darum geht es nicht vor allem. Freilich, Provinz ist einmal das Gegebene, das Reale, und es kann auch das Poetische sein. Bedeutende Literatur hat sehr oft auch eine Ansiedlung im Realen, man denke an das Königsberg von Günter Grass, das Lübeck Thomas Manns, die Liste liesse sich fortsetzen. Und so haben wir hier nun einen Erzähler, der im Koordianatensystem von Zeit und Raum sächsischer Provinienz schreibt. Also Limbach in Sachsen. Hofmann ist freilich kein Milieubeschreiber, kein Landschaftsmaler. Das Erzählen entwickelt sich aus dem Faktischen von Biografien. Nur einmal verändert der Autor eien realen geographiscne Namen: Aus dem Örtchen Wittgensdorf wird in seinem Buch Wittgenstein. Ist es ein Lapsus calami, ein Schreibfehler oder ein intellektueller Spaß. Wir neigen zu der zweiten Erklärung, denn Hofmann wäre nicht Hofmann, wenn er nicht hinter dem Kino noch ein paar Bomben versteckt hätte, denn natürlich ist er wie mancher seiner Kollegen ein Sprengmeister, der uns Hören und Sehen vergehen läßt. Jedenfalls wissen wir schon durch ein solches Indiz, daß wir es wohl nicht mit einem Erzähler besonnter Vergangenheit zu tun haben.
Übrigens »Der Kinoerzähler« ist das zehnte Buch dieses Autors, der immer »Kunst-Stücke für Kenner und Liebhaber« schrieb, wie er es einmal selbst benannte, einer der sich nicht in die Bestsellerlisten bequemte, dem es dort zu eng war, der lieber auf dem Kammweg seine gefährlichen Kunst-Stücke veranstaltete, lebensbedrohlich, lebensgefährlich. Und auch diese Kinoerzähler-Geschichte zeigt den Artisten Hofmann sogleich. Das Spiel mit der Faktizität, der freundlich-heitere Beginn, die scheinbar harmlose Situationskomtik des Geschehens in den Anfangsphasen, sie erweisen sich als Raffinesse des Autos, der hinter den Familien- und Kleinstadtszenen die Schrecknisse der Zeit versteckt oder besser gesagt: entdeckt. Karl Hofmann, der Großvater, ist der Kinoerzähler von Limbach. Nun muß man heutigen Lesern und Hörern zunächst einmal erklären, was denn dies ist, ein Kinoerzähler. In den Zeiten des Stimmfilms begleitete er mit seinen Ausdeutungen und Kommentaren, mit seinen Geschichten die Filmvorführung. Und hier nun haben wir wieder einen Kammweg, denn das Erzählen und Erklären, es hält sich an der Wirklichkeit, aber es verwandelt sie in die Kunst. Damit haben wir es auch bei Karl Hofmann zu tun, der im Apollo-Theater des Herrn Theilhaber agiert. Er ist eine tragikopmische Gestalt, ein Kauz, der sich in phantastischen Plänen ergeht, und er ist ein Künstler. Nicht nur, weil er Bücher schreiben will und Gedichteinfälle notiert, die dann nie zu Gedichten werden, er ist es als Kinoerzähler – oder als Abbild des Romanciers. Schon als er noch im Zirkus als Nummernankündiger arbeutete, kommentierte die Großmutter: »Die Phantasie ging durch mit ihm!« Und der Großvater weiß: »Es ist im Zirkus wie im Leben..früher oder später scheitert alles, und du wirst ausgewechselt«. Dies betrifft nun auch seine Existenz als Kinoerzähler. Sie ist ja nur eine andere Variante des Zirkusansagers. Der Tonfilm macht keinen Bogen um Limbach, Kinobesitzer Theilhaber hat es prohezeit. Und Karl Hofmann, der Don Quichotte, der gegen die Windmühlenflügel kämpft, er verliert. Die Geschichte vom Kinoerzähler ist nicht nur ein Genrebild kleinbürgerlicher Misere des Großvaters als Beinahe-Künstler, unverstanden von der Großmutter, geliebt vom einsamen Fräulerin Fritsche, die Trivialität des Alltags gegen deren Druck er sich nmit der anderen Trivialität seiner Stummfilmbilder wehrt. Und um einen Zeitsprung zu machen, ein beliebtes Mittel heutiger Bestsellerliteratur, die sich in phantastischen Welten und Räumen bewegt oder das Hebammenleben als eine Parabel für die Trivialität von Gewalt, Geld und Sex zu verwenden, es nimmt nicht Wunder, daß bei einem Übermaß dieser Trivialität das Eigentliche von Kunst, Welterklärung und Weltbesichtigung durch ein Individuum verschwindet. Hofmanns leise Zeitbilder werden überdeckt von der lauten Musik unseres Kunstbetriebes, Event heisst die Losung, Skandal, Getöse, Hundertausend, Zweihunderttausend, das wird verzeichnet. Mit dem was ein paar Leser und Liebhaber als Literatur verstehen, hat das wenig zu tun. Man muß schon diese aussterbende Fähigkeit des Lesens besitzen, wen man sich Hofmann nähern will, Aber um auf unsere Geschichte zurückzukommen: Der abendliche Gang ins Kino, seine Auftritte, sein Schwadronnieren, es sind Fluchtwege aus dem Leben in die Kunst. Für ihn sind die Kinobilder die »zweite Welt«, wie er einmal sagt, ohne die er nicht existieren kann. Die Großmutter beschreibt es ziemlich genau: »Doch dieser Mann ist vernarrt in seine Luftgeschichten, nur, weil sie angeblich höher sind als die Wirklichkeit! Als ob es etwas gäbe, das höher wäre als die Wirklichkeit«, sagt die Großmutter.
Als der Tonfilm kommt, verliert er seine zweite Welt, die Katastrophe ist angesagt. Er verstummt, verkriecht sich in die Krankheit, bis er sich aus den Begegnungen mit den beiden Parteigenossen, den Herren Götze und Friedrich, vom Nationalsozialismus eine Wiederbelebung der alten Stummfilm-Herrlichkeit erhofft.
Wir haben uns hier bei der Geschichte des Kinoerzählers aus Limbach angehalten oder aufgehalten, aber sie ist ja nur ein Beispiel für andere Geschichten auch, wirkliche und erfundene. Die poetische Provinz eines Autos hat ihre Horizonte, ihre Landschaften, aber sie ist ebenso wirklich wie sie unwirklich ist. Das scheint nun ein sehr widersprüchlicher Satz, aber Kunst ist kein Sofa der Harmonie, sondern ein Abgrund am Kammweg, ein Weg zwischen Komik und Tragik, eine widersprüchliche Angelegenheit. Nicht immer ist in Hofmanns Geschichten solcher Hintergrund sichtbar wie im Kinoerzähler. In seinem vorletzten Buch »Das Glück«, wobei dieses Wort Glück durchaus eine ironisch beleuchtete Formel ist, bleiben die direkten Ansieldungen des Geschehens unbenannt. Auswechselbare Kulissen von Stadtlandschaft und Park, ein paar Ortsnamen, die Zeit irgendwann nach dem Krieg, das ist schon fast alles. Aber die Behältnisse haben ähnliche Inhalte, es sind wie immer alte Geschichten. Aber bleiben wir noch eine Zeit bei diesem Limbacher Zeitgenosssen, nunmehr in der Nähe von Parteigenossen. Während die Parteigenossen vom Führer schwärmen, redet der Großvater von Adele Sandrock in »Verlogene Moral«. Realitätz und Kunst vermsichen sich auf eine seltsam gefährliche und makabre Weise. Das Leben ein Kinofilm, das Kino als Voraussetzung solcher politisierter Zeitlichkeit? Die verkitschte Gefühlswelt des Faschismus auch eine Folge trivialer Kunst? Die Zusammenhänge und Übergänge werden fließend. Die Komik, die die Geschichte bisher getrieben hat, sie wechselt ins Schreckliche: Wenn man eben über Herrn Friedrichs Beinahe-Begegnung mit dem Führer in einem Pissoir in München lachen konnte, vergeht einem in Großvaters Analogie das Lachen. Wie gesagt, das betrifft auch andere Texte, auch jene, in denen er das Künstlersein direkt benennt.
Michael Krüger, sein Verleger, hat bei Gelegenheit auf solche Schriftstellergeschichten Hofmanns verwiesen: »Sechsmal hat Gert Hofmann über Schriftsteller geschrieben, sechs Versuche mit tödlichem Ausgang«. Da ist auch jener Michael Reinhold Lenz, der nach Riga zurückkehrt, um sich mit dem Vater auszusöhnen. Er will, daß der Vater ihn anerkennt, daß er ihn erkennt. Doch was er auch zu seinem Vater spricht, es bleibt unverstanden, ja ungehört. Die Geschichte ist, die Kenner und Liebhaber wissen es, durchaus ein Text, der aus der Nähe zu Georg Büchner kommt, zu jenem Lenz, der über das Gebirge geht: »Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen«. So beginnt eines der berühmtesten Prosastücke der deutschen Literatur. Die Nachbarschaft ist nicht zufällig, sondern wie mir scheint mit großem Kunstverstand udn Kunstsinn entwickelt, sein Lenz ist auf dem Weg zurück nach Hause, sein Kammweg heisst Rückkehr zum Vater, ein zu hause gibt es nicht, und es wird wie so oft bei Gert Hofmann eine Katastrophe. Der Vater verweist ihn aus dem Haus, Lenz taumelt dahin, fällt zwei Matrosen, wie es heisst in die Hände und dann eben »Meine Herren, was wollen Sie von mir…«, ein Ende, eine Frage. Aber wir sind aus unserem Limbach weit abgekommen nach Riga oder sind wir durchaus auch hier in des Kinoerzählers Welt geblieben? Jemand geht weg oder auch einfach in den Tod. Der Großvaster wird in einem Notsarg auf dem Limbacher Friedhof begraben. Warum wird das heute erzählt? Gegen Schluß dieses Buches gibt Hofmann eine Antwort:«Man müßte das ganze Material über den Großvater und die Großmutter und die Mutter und die vielen toten Leute einmal zusammentragen und auf einen Tisch ausbreiten, und das sagt mir mein Ordnungssinn, in eine bestimmte Form bringen, damit es ein bisschen Bestand hat«. Hofmann ortet sich hier selbst, eine Form wird gesuchtm, damit es Bestand hat, Form ist ja, was das Kunstwerk zum Kunstwerk macht. Nicht im Stofflichen liegt die eigentliche Leistung dieses Romans, sondern in der Fähigkeit des Autors, ihm eine entsprechende Form zu geben. Hofmann ist ja selbst ein Jongleur im Kino des Erzählens. Er verwirrt und entwirrt im ständigen Wechsel seiner Stimmen und Erzählebenen. Das Komische seiner Situationen und Figuren wird immer wieder gebrochen. Da enthüllen sich dann unaufhaltsam die tragischen Verwicklungen. Und bei all der Jongleursarbeit, die da ins Artifizielle hineingetrieben wird, ist dies entgegen der Behauptung des Autors kein Buch der Einfallslosigkei, der Lustlosigkeit, sondern ein Roman, der ob der Leichtigkeit und Eleganz, die dieses Erzählen ausströmt und zum Genuß für den Leser werden läßt, seinesgleichen sucht. Das Buch ist 1990 erschienen, wie es scheint, ist es heute in unserer Literaturlandschaft fast vergessen, wie überhaupt Gert Hofmanns Bücher. Aber das ist eine alte Geschichte: Bücher suchen sich ihre Leser, wenn sie gebraucht werden. Ich erzähle bei solcher Gelegenheit gern ein anderes Vergessen und Wiederauferstehen. Als Hermann Hesse 1962 starb, schrieb die Wochenzeitschrift »Die Zeit«, daß »mit diesem Gartenzwerg unter den Nobelpreisträgern kein Blumenstrauß mehr zu gewinnen sei«. Nun, sein damals noch junger Verleger, Siegfried Unseld, konnte die Rechte für den amerikanischen Raum für ganze 500 Dollar zurückkaufen, und der US-amerikanische Verleger ludt ihn zum Essen ein, weil er dachte, daß doch wohl diese 500 Dollar viel zu viel seien. Aber sechs Jahre später wurde Hesse wieder entdeckt, allein in Amerika gab es Millionenauflagen, er wurde in den nächsten Jahren der meistübersetzte, meistgedruckte deutschsprachige Schriftsteller, noch heute werden allein in Deutschland monatlich rund 20.000 Bücher von Hesse verkauft. Nun, Gert Hofmann droht wohl kaum derartige spektakuläre Auferstehung. Aber das Merkwürdige an Literatur ist, daß sie immer wieder für Überraschungen gut ist, eben, daß es Leser gibt, die gerade diesen Autor, diese Stimme suchen. Deshalb sollten die Texte präsent sein, man sollte sich seiner erinnern. Daß an solcher unaufhörlichen Erinnerung unser Freund Dr. Andreas Eichler großen Anteil hat, muß hier nicht gesagt werden. »Erben, das heisst am Ende Kultur« schrieb Thomas Mann einmal. Hier haben wir also einen, der uns solche Erbeschaft schenkt. Es ehrt Sie, lieber Herr Oberbürgermeister, daß Sie diesem Unternehmen eine angemessene Form gegegeben haben, denn es ehrt Gert Hofmanns Geburtsstadt, daß sie ihn, den Dichter, in diesen Tagen und auf diese Weise sichtbar macht. Und schließlich und endlich, es ehrt Sie, die Sie hierher gekommen sind, daß Sie mir, der ich nicht von Fußball oder Thilo Sarrazin geredet habe, zuhören wollten. Ich danke ihnen auch in der Erinnerung an Gert Hofmann dafür.

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