Reportagen

Wolkensteiner Zentral-Trio

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»Dieses Städtchen muss man lieben, wenn man es kennen lernt. Hoch oben über der rauschenden Zschopau hängt es hart am Hange wie ein behagliches Nest. Kommt man im Tale daher, so guckt gerade nur die weiße, mollige Kirche aus einer Krause blauer Dächer über den wolkigen Laubmantel der Berge hinweg. Und das alte Schloss horstet beinahe waghalsig auf der schroffen Felsklippe. Aber dass es da Felsklippen gibt, wird man auch erst gewahr, wenn man über Treppchen und Zickzackwege und Steinplatten, an tiefklaffenden Schründen vorbei den Waldhang hinaufsteigt – von unten gesehen guckt auch das Schloss nur halb aus dem Laubgebausch heraus.
Zweimal sah ich das Städtchen, und beide Male dämmerte schon der Abend, als ich ankam, und beide Male war es bunter Herbst. In den Waldgründen, in die man aufwärtssteigend immer tiefer hinabguckt, woben blaue Schatten. Und das fallende Geblätter alter Linden schüttete wie im Märchen von der Goldmarie von hochgewölbten Baldachinen Gold herab auf alle Wege. Es rauschte unter den Füßen und ganze Wolken herbstlich herber Düfte stiegen auf.
Und durch Stämme und Zweigschleier und Goldlaubgehänge steigen dann, wenn man bald oben ist, alte Gemäuer einer längst zerfallenen Burg auf. Und darüber steht hoch und dunkel und behäbig das Schloss.
Noch ein Treppchen zwischen Mauern. Dann, am Schlosse hin, breite, umwachsene Gräbenreste. Und ein ganzer Verein alter Linden mit Goldblättern, die im Abendlicht noch einmal wie Sonne leuchten. Eine Brücke und ein dunkles Schlosstor mit einem gar nicht großen, hochumbauten Schlosshof dahinter. Und weit drüben zerfließt die andere gewölbte, belaubte Bergwand des Tales schon sacht in der Dämmerung.
Und dicht hinterm Schloss, mit ihm durch Linden und Gräbenübergänge eher verbunden als von ihm getrennt, liegt dann das Städtchen.
Eine Häuserwand guckt halbversteckt in die Linden. Hüben und drüben führen kurze Gassen zum Marktplatz, die eine an der gemütlichen Kirche vorbei. Man kommt auf den Markt wie aus einer Stube in die andere. Er ist klein und immer aufgeräumt, reinlich und schräg nach einer Ecke geneigt – an einer Seite hat man den Häusern sogar eine Rampe vorlegen müssen, zu der Steintreppchen hinaufhelfen.
Die Häuser, kleine schmucke, schlichte, helle Häuser mit hohen, steilen Schieferdächern, deren jedes sich immer ein bisschen über das des Nachbars hinausschiebt, umstehen den Markt eng aneinandergebaut in vier geschlossenen Wänden; man gewahrt kaum, dass in allen vier Ecken die Gassen abgehen – diese viereckige Geschlossenheit gibt dem Marktplatz das behaglich Wohnliche einer – man erfindet sich den Ausdruck: Marktstube.
Zwei Reihen schlankstämmiger Linden, im Winkel zueinander an zwei Seiten an den Häuserwänden entlang aufgestellt, schmücken diese Marktstube. Das ist sehr hübsch und macht den Eindruck, als ob in Wolkenstein noch im Herbst Pfingsten, ein goldgelbes Pfingsten wär.
Den Rucksack verstaut man im Gasthaus, in dem man schon einmal gut herbergte. Es steht am Markt und hat ein dickhaubiges Dachreitertürmchen.
Man schlendert noch ein Weilchen im Städtchen umher, in dem es gar keine Sehenswürdigkeiten gibt. Aber behaglich, heimelich ist es auf Schritt und Tritt.
Kühe latschen spalthufig durch die Stadt. Sie wandeln breitspurig mitten auf der Straße, mit vorgeschobenem Kopf, mit prallen Eutern – sie haben den ganzen Tag nichts getan als draußen vor der Stadt schnurpfend Gras gerupft und gemächlich wiedergekäut. Sie bleiben stehen, wenden das breite Gehörn, schnaufen und beschauen den Fremdling mit glattem Blick, schleudern, als einzige Regung, die Schwanzquaste und wandeln weiter.
Ein Junge pfeift hinterdrein.
In den Häusern gehen langsam die letzten Hantierungen zur Rüste. Kinder lärmen nach Haus. Über allem liegt die entspannende Lässigkeit des Feierabends. Nur der Amboss einer Schmiede klingelt noch wie besessen. Die Esse loht.
Und da und dort blinkt schon ein gelbes Licht. …
Nach dem Abendbrot zog es mich noch einmal aus der Gaststube in das Städtchen. Die Gassen lagen dunkel und still, und die kleinen Häuser kuschelten sich weißlich schimmernd unter hohen Schieferdächern dranhin. Darüber lag der Himmel als nachtblaue Decke von First zu First.
Hoch und dunkel gedrängt stand das Schloss auf der Klippe. Das Mondlicht rieselte durch die Bäume.
Tief unten lag um die Berge gewunden das Tal, von weißen, mondlichtdurchflossenen Nebeln erfüllt. Und die waldbehängten Berge schwebten geheimnisvoll unterm Sternenhimmel.
Die herbstlichen Linden schimmerten nur noch ganz matt – goldene Kuppeln, von der Nacht umflort.
Und dahinter, verhängt und geborgen, schlief das Städtchen. Mit zweitausend und dreihundert Seelen, mit Ackerbauern und Gorlstickern und Feuerwehrmännern und Posamentiererinnen und Amtsrichtern und Knopfmachern und einem Turnverein, schlief als eine arglose, artige Schläferin.«
(Edgar Hahnewald: Wolkenstein. Aus Edgar Hahnewald. Sächsische Schönheit. Zwischen Kammweg und Mittelsachsen. Mironde-Verlag 2010.
ISBN 978-3-0937654-41-6)

 

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Am Abend des 26. Oktober eröffnet Uta Liebing, die Leiterin der Stadtbibliothek Wolkenstein, die vierte Veranstaltung aus der Reihe »Wolkensteiner Randerscheinungen«.

 

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Katrin Albrecht liest erstmals in Wolkenstein aus ihrem neuen Gedichtband »Die Rückkehr der Zugvögel«. Ihre aphoristischen Gedanken erleichtern auch uns die Rückkehr.

 

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Der Schriftsteller Wolfram Liebing predigt aus seinem Ein-Mann-Theater, ein »Zukunfstmodell« für die moderne Kulturpolitik, wie er sagte, Gedichte und eingreifende Texte.

 

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Berndt-Michael Rassenberg lässt mit verschiedenen Instrumenten Melodien aus ganz anderen Erdteilen erklingen. Wolkenstein erscheint als Mittelpunkt der Welt.

 

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Das Publikum bedankte sich am Ende mit herzlichem Applaus bei den drei Akteuren.

 

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In lockeren Runden tauschten sich Besucher und Künstler an diesem Abend aus.

 

 

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Das seltene Instrument des Musikers war für manch einen interessant.

 

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Wolfram Liebing sprach hier mit Besuchern über seine Heimatstadt. Man staunte zunächst über die präzisen Kenntnisse der Kommunalpolitik bei einem Dichter. Doch die Erklärung folgte bald: Wolfram Liebing ist auch der neue Bürgermeister von Wolkenstein.

 

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Die Autorin Katrin Albrecht und die Buchgestalterin Birgit Eichler sind hier mit Peter Schmidt-Schönberg im Gespräch, dem Illustrator von »Die Rückkehr der Zugvögel«.

 

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Katrin Albrecht: Die Rückkehr der Zugvögel. Illustrationen von Peter Schmidt-Schönberg. Mironde 2013. 14 x 20,5 cm, fester Einband, Lesebändchen. 72 Seiten. VP 19,00 €, ISBN 978-3-937654-50-8

Kommentar: Ein poetischer Abend in einer kleinen Erzgebirgsstadt ging zu Ende. Interessant ist, dass solche Ereignisse auch ihr Publikum finden. Die Besucher fanden Läuterung und Ermutigung. Keine verlogene Darstellung der Lage und keine falschen Vertröstungen. Auch das Improvisierte, der Verzicht auf äußerliche Perfektion passte zum Gestus. Die Autoren hatten etwas zu sagen. In der echten Poesie kommen Logos (Sprache/Vernunft) und Religiosität (Hoffnung) zusammen. So ist es kein Wunder, dass uns diese Veranstaltung irgendwo zwischen Gottesdienst und Künstlercafè erschien. Understatement ist sympathisch. Aber eine »Randerscheinung« war diese Veranstaltung wirklich nicht. Im Gegenteil. Sie erinnerte uns an den großen Wolkenstein-Verehrer Edgar Hahnewald und traf den Nerv unserer Zeit.
Johannes Eichenthal

Information

www.stadt-wolkenstein.de

 

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