Reportagen

Von der Schönheit der russischen Sprache

Der moderne Mensch steht heute unter einem großen Druck. Im Banne der Wachstums-Ideologie werden ständig existenzielle Strukturen geschaffen, die wiederum für jeden Menschen eine wachsende Zahl von alternativen Aufgaben und Angeboten hervorbringen. »Zeit« wird zu einer immer knapperen Ressource. Die für das Individuum wirklich verfügbare Zeit ist nur noch im Negativen vorhanden. Zeitknappheit erfährt ein ungeheures »Wachstum«. Das »altmodische« Lesen eines Buches, einschließlich Zurückblättern, Nachdenken, erneutem Lesen und Gedankenaustausch ist zu einem großen Zeit-Luxus geworden. Wer dieser Art von Lektüre-Luxus nachhängt, der ist heute ein Außenseiter.

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Siegfried Arlt, der Vorsitzende der Chemnitzer Goethe-Gesellschaft, begrüßte auch im Namen der Chemnitzer Puschkin-Gesellschaft, am Abend des 13. Mai in der Stadtbibliothek Chemnitz Günter Johne, einen promovierten Volkswirt, Sprachkundigen und Ex-Diplomaten zu einer Lesung, vor einem sachkundigen Publikum, das sich den Luxus gönnte.

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Der gebürtige Dresdner Günter Johne, der Ende der 1940er Jahre an der Leipziger Sprachschule Russisch auf hohem Niveau erlernte, an der Universität Leipzig Slawistik und der Freien Universität Berlin Arabistik studierte, las aus seiner Erzählung »Moskau ist kein Ort mehr für heroische Kulte«. Im Moskau der 1980er Jahre erfährt der Student Lothar Frühtor, aus Dresden an der Elbe, der allein aus Liebe zur russischen Sprache und Kultur, trotz des Misstrauens der DDR-Bürokratie, ein Slawistik-Studium an der Moskauer Lomonossow-Universität angestrebt und letztlich auch durchgesetzt hatte, die Perestrojka-Atmosphäre in der russischen Hauptstadt. In den Liedern von Bulat Okudschawa sieht der Autor eine Metapher für diese Zeit.

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Lothar Frühtor studiert in Moskau bei Professor Suworow, einem Nachfahren des russischen Feldmarschalls Fürst Alexander Wassiljewitsch Suworow (1730–1800). Feldmarschall Suworow wurde schon zu Lebzeiten zum »Heroen« stilisiert. Aber auch im Abwehrkampf gegen den Überfall der deutschen Armeen, unter dem Staatschef J. W. Stalin, wurde der Nimbus-Suworow ideologisch instrumentalisiert. Professor Suworow schreibt nun zu Beginn der 1980er Jahre einen Text, mit dem er den »heroischen Kult« um seinen Vorfahren »dekonstruieren« will.

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In einer Nebenlinie der Geschichte, lässt Günter Johne den Studenten Frühtor und die Tochter seines Professors, Einblicke in das russische Alltagsleben erfahren. Die Gaststätten haben ihre Besonderheiten, in der Regel wurde nur ein Tisch in Küchennähe bedient, aber die Garderobenfrau nähte einem schon auch einmal einen Mantelknopf an. Das Publikum nahm es dankbar auf, wenn Günter Johne den Titel eines russischen Volksliedes in Russisch aussprach, überhaupt, wenn er russische Worte und Ausdrücke in seinen Vortrag einflocht.

Aber zurück zur Erzählung: Im Seminar wird der Text des Professors verlesen und diskutiert. Dieser erfand die fiktive Geschichte, wonach Fürst Suworow selbst vom Heldendasein Abstand nahm. Sein militärischer Buchklassiker »Die Kunst des Siegens« langweilte ihn. Er versuchte sich als Theaterautor mit einem Stück »Die Kunst des Heiratens«, einer Hommage an starke Frauen.

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Der letzte Textauszug, den Günter Johne vortrug, spielt in den 1990er Jahren. Lothar Frühtor wurde inzwischen an der DDR-Universität entlassen (die Bürokratie misstraute ihm, weil er in Moskau studiert hatte.) Doch nun ist es ihm möglich den Spuren Generalfeldmarschall Suworows (und seiner Soldaten) beim Übergang des Sankt Gotthard-Passes zu folgen.

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Das Publikum (auf dem Foto ist nur ein Teil zu sehen) dankte dem Autor am Ende mit herzlichem Beifall. Siegfried Arlt dankte mit freundlichen Worten und einem Blumenstrauß im Namen der Goethe- und der Puschkin-Gesellschaft für diesen schönen Abend, für dieses unzeitgemäße Ereignis.

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Kommentar
Dem Autor Günter Johne, der Goethe-Gesellschaft, der Puschkin-Gesellschaft und der Stadtbibliothek Chemnitz ist für diese Veranstaltung zu danken. Abseits der Medien-Mainstream-Industrie ist doch noch kulturelles Niveau möglich. Erfreulich viele Zuhörer leisteten sich den Luxus einer althergebrachten Lesung mit Ruhe, Zuhören und Nachdenken.
Der Autor traf mit seiner Geschichte ohne Zweifel einen Nerv der 1980er Jahre. Das russische Wort »Perestrojka« (Umbau) wurde in jenen Jahren zu einem Zauberwort. Hoffnungen und Wunschträume der Menschen entzündeten sich an diesem Wort.
Der »Heroismus« aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges erschien als zentraler Punkt der Auseinandersetzung mit der alten Ideologie. Im Überschwang wurde zum Teil vergessen, dass von der Fähigkeit zur Mobilisierung von Patriotismus und Heroismus im Jahre 1941 die Überlebensfähigkeit der UdSSR abhing. Doch Überschwang gehört auch zu solchen Prozessen. Die Frage ist auch hier, ob man sich zu korrigieren vermag.
Der Autor wählte mit der Person des Feldmarschalls Suworow wiederum eine zwiespältige Figur zum Haupthelden seiner Geschichte. Der Feldherr war ein Exponent der russischen Expansionspolitik im 18. Jahrhundert, wie auch des Versuches der damaligen europäischen Mächte, die französische Republik in der »Wiege zu erwürgen«. Aber die wachsende militärische Macht und die Militarisierung der französischen Republik waren ja auch ein Ergebnis der militärischen Einkreisung und Bedrohung durch die etablierten Mächte gewesen.
Dieses Verhaltensmuster wiederholte sich seither mehrfach. Auf neue soziale Entwicklungen reagierten etablierte Mächte immer wieder mit militärischer Einkreisung und Bedrohung. Anschließend zeigte man sich über den bei den Eingekreisten entstandenen Militarismus »besorgt«. In der Geschichte gibt es aber ein »Gesetz der Vergeltung«. Auf diese Weise entstand eine nicht enden wollende Spirale der Gewalt.
Auch die Art und Weise, wie der wirkliche Feldmarschall Suworow seine Siege errang, ist anzumerken. Er opferte bedenkenlos seine Soldaten, nur um zu siegen. Allein beim Rückzug über den Sankt Gotthard-Pass, der bei Günter Johne eine Hauptrolle spielt, verlor er noch einmal ein Drittel seiner Armee.
Sind das die »Kollateralschäden« hinter der »Kunst des Siegens«?
Der Einfall des Autors, den Feldmarschall ein Theaterstück mit dem Titel »Die Kunst zu heiraten« schreiben zu lassen, der entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Der Anspruch des Siegenwollens, hat heute eigentlich nicht einmal mehr im Sport seinen Platz (wie war doch einst das Motto von Olympia? Teilnahme ist …)
In der Politik des 21. Jahrhunderts hat die »Kunst des Siegens« erst recht keinen Platz mehr. Zudem hat der, der glaubt gesiegt zu haben, mittel- und langfristig schon verloren. Er weiß es nur in der Regel noch nicht. (Vgl. Paul Kennedy: Aufstieg und Fall großer Mächte. 1500 bis 2000. Frankfurt/Main. S. Fischer Verlag).
1990 feierte sich der Westen als Sieger im Kalten Krieg selbst. Es sei aber daran erinnert, dass der französische Philosoph Jacques Derrida und der niederländische Architekt Rem Koolhaas Ende der 1980er Jahre den Dekonstruktions-Begriff für einen notwendigen »Umbau« auch der westlichen Welt proklamiert hatten.

Man muss eingestehn, dass Größe im Moment des »Sieges« sehr schwer zu erlangen ist. Sie bedarf der Demut. Für den Typus des »Erfolgsmenschen« hilft hier wahrscheinlich nicht einmal die göttliche Gnade.
Johannes Eichenthal

 

Information

Die vorgetragene Erzählung  »Moskau ist kein Ort mehr für heroische Kulte« ist zu finden in einem Erzählungsband von Günter Johne mit dem Titel »Dresden – ein Höhenunterschied«. 292 S., mit zahlreichen Graphiken des Autors, Mironde-Verlag 2012. ISBN 978-3-937654-54-6

Bestellmöglichkeit: www.mironde.com

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