Reportagen

Premiere in der Buchhandlung Meerane

151007Meerane7318

Der Abend des 7. Oktober war regnerisch und kühl, wie ein gefühlter Novemberabend. Früh nahte die Dämmerung. Die hell erleuchtete Buchhandlung in Meerane wies vielen Besuchern den Weg. Buchhändlerin Silvia Hengmith begrüßte voller Freude die Gäste der angekündigten Buchpremiere.

151007Meerane7322

Die engagierte Inhaberin der Buchhandlung, die ihren Beruf mit Leib und Seele ausübt, stellte dem Publikum zunächst den Autor des Buches »Innokonservation 2.0«, Andreas Eichler, vor.

Eichler dankte für die Möglichkeit der Premiere in Meerane und verwies auf die erste Auflage des Buches, die sich, nach zögerlichem Beginn, in der ersten Hälfte dieses Jahres recht schnell verkauft hatte. Die neue Auflage habe er vollständig überarbeitet und um mehrere Seiten erweitert. Der neue Untertitel laute »Ein Dialog über Herkunft und Zukunft des Buches«.

Zum Ansatz des Buches erläuterte Eichler: die Idee der Humanität sei im Orient entstanden und durch Weitererzählung der Völker nach Europa gelangt, wo sie ihre moderne Ausprägung erhielt. Das Buch sei über die Jahrtausende zu einer Form der Überlieferung der kulturellen Bildung geworden, welche das Potenzial für die individuellen Aneignung des Allgemeinen in sich trage. Die Entstehung der modernen E-Books, der Informationstechnologie und der künstlichen Intelligenz werfe für das Individuum die Frage auf, wie es mit der Bildung zur Humanität weitergehe.

151007Meerane7330

Eichler las Auszüge aus dem Buch vor. Ein älterer Konservativer und ein jüngerer Innovativer treffen sich auf der Wiener Buchmesse. Im Getümmel und Gedränge der Messe diskutieren sie über das Verhältnis von klassischem und elektronischem Buch. Eichler weitet auf der einen Seite die Diskussion auf viele wichtige Fragen unserer Zeit aus. Ein Schwerpunkt ist die Frage, ob Computer denken können wie Menschen und ob »künstliche Intelligenz« eingeführt werden muss, weil sie dem Menschen überlegen sei.

Eichler argumentiert hier auf zwei Ebenen. Einerseits hebt er hervor, dass technischer Fortschritt mit einer Spezialisierung vergleichbar ist. Die Nachfolgetechnik vermag in einigen Punkten die Leistung der Vorgänger zu verbessern, vermag aber nicht dies in der ganzen Breite zu tun. Somit ist technischer Fortschritt immer mit Vereinseitigung und Verengung verbunden. Es reiche nicht, zu sagen, dass das elektronische Buch zum klassischen Buch »additiv« (McLuhan) hinzukomme, man müsse ergänzen, dass das elektronische Buch das klassische Buch niemals ersetzen könne, nie die ganze Breite der kulturellen Funktionen des klassischen Buches abdecken, sondern nur eine eingeschränkte, eine spezialisierende Funktion haben könne.

Zum anderen argumentiert Eichler, wir hatten es befürchtet, mit Johann Gottfried Herder. Demnach ist menschliches Denken ohne die Sinneserfahrungen, ohne die Körpererfahrungen, deren inneren Zusammenhang Denken, Verstand, Vernunft, Sprache darstelle, nicht möglich. Eichler scheut sich nicht, den Begriff der »Seele«, der über Jahrtausende von Weisen aller Völker gebraucht, und erst von Immanuel Kant mit dem Bann belegt wurde, zu reaktivieren. Unsere Seele sei die Gesamtheit der Sinneserfahrungen und deren innerer Zusammenhang in unserer Sprache. Unsere Seele spiegele sich in unserem Körper und das, was wir als unseren Körper wahrnähmen, sei eine Projektion unserer Seele. Das Medium unseres Selbstverständnisses, so Herder, sei unsere Sprache. Die Künstliche Intelligenz könne machen, was sie wolle, so Eichler, sie bleibe beim »Rechnen«. Künstliche Intelligenz habe keine Seele. Menschliches Denken und menschliche Sprache sei der »Künstlichen Intelligenz« nicht möglich.

151007Meerane7329

Foto: Bis zum letzten Stuhl waren alle Plätze besetzt

Zusammenfassend formulierte Eichler: Weil unsere Sprache aber den Zusammenhang der Sinneswahrnehmungen erfasse, sei das Erlernen des reflektierenden Lesens mit dem klassischen Buch für die Grundlegung menschlicher Bildung unverzichtbar. Wer nicht mit dem klassischen Buch lesen lerne, der lese später auch kein elektronisches Buch. Deshalb sei es nicht nur unverzichtbar, mit dem klassischen Buch zu beginnen, und im Alter wieder verstärkt darauf zurückzukommen, nein, eine Privatbibliothek sei die Voraussetzung, um das elektronische Buch überhaupt sinnvoll nutzen zu können.

Nach einer kleinen Pause schloss sich eine Diskussion an. Intensiv wurde über Gelassenheit, Bescheidenheit, technischen Fortschritt und künstliche Intelligenz diskutiert. Erst nach zwei Stunden endete die Veranstaltung.

151007Meerane7321

Kommentar

Der Buchhändlerin Silvia Hengmith und ihren Helfern ist für Organisation und Durchführung der Veranstaltung zu danken. Erfreulich, dass das Stammpublikum seiner Buchhändlerin die Treue hält. Unter den Gästen waren auch der Meeraner Bürgermeister a.D. Dr. Ohl, der Kölner Bücher- und Kunstkenner Hartmut Schnorr von Carolsfeld und der Chemnitzer Künstler Osmar Osten.

Wir hatten noch keine Zeit die Neufassung des Buches zu studieren. Die vorgetragene Argumentation Eichlers konzentrierte sich auf die Begründung des Existenzrechtes des klassischen Buches. Die Argumentation erschien nachvollziehbar und notwendig. In Aarhus gibt es, einem FAZ-Bericht zufolge, einen ersten modernen Neubau der Stadtbibliothek weitgehend ohne klassische Bücher. Man versteht sich als Bürgertreffpunkt und Bürgerservice. Menschen seien wichtiger als Bücher. Klaus Walther war es, der vor Jahren bereits sagte, dass Bücher bei privaten Liebhabern besser aufgehoben seien als bei der öffentlichen Hand.

Eine andere Seite des Vortrages war die philosophische Begründung von Eichlers Position. Man konnte den Eindruck gewinnen als ob es heute keinen wichtigen Philosophen mehr gäbe. An Eichlers Herder-Verehrung haben wir uns ja mittlerweile gewöhnen müssen. Notgedrungen nehmen wir auch hin, dass Immanuel Kant hier nur als verkappter mathematischer Logiker dargestellt wird. (Zugegeben, er hatte auch nur den Logik-Lehrstuhl inne und er kam auch nie von der alten Logik los.)

Kaum hinnehmbar ist es, dass Eichler die Traditionslinie zu Herder ständig ausbaut. Jetzt nennt er bereits Mose ben Maimon, Meister Eckhart und Baruch Spinoza, nur weil die letzten beiden, wie auch Herder, den Maimonides gelesen haben.

Was soll das Beharren auf der Muttersprache, wo doch unsere wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Eliten schon lange in englischer Sprache kommunizieren?

Eichler behauptet sogar, Meister Eckhart habe sich in deutscher Sprache ausgedrückt, weil ihm das Gelehrtenlatein als »tote Sprache« erschien. Weiter argumentiert er, dass sich nach Mechthild von Magdeburg, Luther, Müntzer, Opitz, Flemming, Leibniz, Thomasius, Gottsched, Gellert, Lessing, Hamann und Herder die literarische und philosophische Entwicklung vor allem in Ost- und Mitteldeutschland abgespielt habe, weil es hier keine lastende lateinische Tradition gegeben habe. Wenn das so wäre, dann hätte die Reformation ja eine Vorgeschichte und über die deutsche Sprache eine weiterführende literarisch-philosophische Bedeutung bis heute?

Und dann brachte Eichler noch den Begriff der »Demut« ins Spiel. Mit Salomon versuchte er Demut als »Anfang der Weisheit« darzustellen. Ohne Demut könne es keinen bedeutenden Philosophen geben. Aber hat nicht die Philosophie der Aufklärung immer etwas mit Respektlosigkeit, Anmaßung und Größenwahn zu tun? Sind das nicht wichtige westlichen Werte? Wäre die Dominanz des technischen Fortschritt im Westen ohne diese Werte überhaupt möglich gewesen?

Johannes Eichenthal 

Information

Andreas Eichler: Innokonservation 2.0 – Ein Dialog über Herkunft und Zukunft des Buches.

2. veränderte und überarbeitete Auflage

14,0 × 20,5 cm, 64 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen

Mit zehn Kalligraphien von Birgit Eichler

VP 19,00 € ISBN 978-3-937654-90-4

Erhältlich in jeder Buchhandlung oder direkt beim Mironde-Buchversand: www.mironde.com

151007InnoKon

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert