Reportagen

STERNRADIO IN ROCHLITZ

Am 14. April 2018, um 10.30 Uhr, stellte der Geschichtsverein Rochlitz in der Stadtbibliothek Rochlitz den Dokumentationsband »Not macht erfinderisch. Zur Geschichte der Industrie in der Region Chemnitz-Zwickau. 1945 – 1990 – 2015.« vor.

Die Bibliothek befindet sich zur Zeit in einem Gebäude der ehemaligen Firma Sternradio. Um das Schicksal von »Sternradio« ging es auch wesentlich an diesem Tag. Der Moderator erinnert zunächst an die Historizität des Datums. Am 14. April 1945 beendeten Einheiten der 3. US-Armee, der 76. Infanterie-Divison und der 6. Panzerdivision, für Rochlitz und seine Bewohner den Krieg. Auch in Rochlitz war die Industrie in den Kriegsjahren fast vollständig auf Zulieferung für große Rüstungsfirmen umgestellt worden. Über Nacht wurde die Produktion nun von nützlichen Gebrauchsgegenständen wieder das Ziel der Produktion – Waffen dagegen wertlos.

Helmut Wünsche (Mitte) skizzierte in seinem Statement die Geschichte des »Sternradios«. Während des Kriegs verlagerten Radiohersteller ihre Produktion auf Befehl des Rüstungskommandos ins Tal der Zwickauer Mulde. Dazu kamen diensverpflichtete Elektronik-Fachleute aus ganz Europa, Kriegsgefangene mit Spezialkenntnissen aus Westeuropa und den USA, um an der Rüstungs-Funkmesstechnik zu arbeiten. Ein Teil der Fachleute blieb nach Kriegsende im Muldental und bildete den Stamm für eine neue Fabrik mit dem Namen »Sternradio«.

In den Worten Helmut Wünsches klang noch der Stolz der Beschäftigten, die nach den Anfangsschwierigkeiten hochwertige Radiogeräte mit solch klangvollen Namen wie »Juwel« fertigten. Das Radio war in jener Zeit noch eine Instanz der kulturellen Bildung. Man hörte klassische Konzerte und anspruchsvolle Unterhaltung. Radiosprecher hatten eine Sprechausbildung zu absolvieren. Aber schon bald wurden auf ministerieller Ebene »Rationalisierungen« vorgenommen. Die Bürokratie entzog Sternradio die eigene Entwicklungsarbeit. Im Zuge der RGW-Politik wurden die Radios, mit Typenschild von Sternradio, teilweise in Bulgarien gefertigt. Schließlich erfolgte die Umstellung auf Telefonvermittlungsanlagen. Nach der Wiedervereinigung musste der Betrieb, trotz aller Bemühungen, Verkäufe usw. am 30.4.1995 die Produktion einstellen.

Unter den Zuhörern waren an diesem Sonnabendvormittag viele ehemalige Beschäftigte von Sternradio. So entspann sich eine sehr intensive Diskussion über die Details der Firmengeschichte, wie man sie sonst kaum erlebt. Gegen 12 Uhr endete die Veranstaltung. Einige Besucher schauten sich die liebevoll gestaltete Sternradio-Ausstellung in der Bibliothek an.

Wie ein Baudenkmal aus einer anderen Epoche steht das Sternradio-Hauptgebäude heute immer noch in der Landschaft. (Foto aus dem Beitrag von Helmut Wünsche in »Not macht erfinderisch. Zur Geschichte der Industrie in der Region Chemnitz-Zwickau. 1945 – 1990 – 2015.«)

Der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Bäckermeister Sven Krause (li.), gedachte im Anschluss mit Vorstandskollegen der militärischen Opfer des Krieges beim Sturm auf die Muldenbrücke in Rochlitz.

Clara Schwarzenwald

 

Information

Stadtbibliothek Rochlitz, Sternstraße 1, Haus 5, 09306 Rochlitz

www.rochlitz.bbopac.de, bibliothekrochlitz@gmx.de

Noch lieferbare Bücher

Not macht erfinderisch. Zur Geschichte der Industrie in der Region Chemnitz-Zwickau. 1945 – 1990 – 2015. 14.8 × 21.0 cm, 184 Seiten, brosch., 10,00 Euro ISBN 978-3-937654-52-2

Für große Teile der Industrieregion Chemnitz-Zwickau war der Zweite Weltkrieg bereits mit der Ankunft der 3. US-Armee am 14. April 1945 zu Ende. Das Rüstungskommando Chemnitz hatte die befohlene Umstellung von ziviler Produktion auf Rüstungsproduktion in nahezu allen Industriebetrieben durchgesetzt. Zivile Produktion fand praktisch nicht mehr statt. Mit dem 14. April änderte sich die Lage schlagartig. Das Überleben der Menschen wurde wieder zum Ziel des Wirtschaftens der Unternehmen. Zerbombte Städte, demontierte Fabriken, Materialmangel, Hunger und Käl­te begleiteten den Neustart. Dennoch entwickelten die Menschen im Frühling 1945 große Hoffnungen. Die Autoren dieses Bandes untersuchen die Schicksale einzelner Unternehmen der Region von 1945 über 1990 bis heute. Es geht dabei um Traditionsunternehmen wie um Neustarter. Penig, Scharfenstein, Rochlitz, Burg­städt, Limbach-Oberfrohna, Langenchursdorf, Glau­chau, Meerane sind einige der Orte, in denen die Unter­neh­men ansässig waren oder sind. In den konkreten Untersuchungen wird die Besonder­heit jedes einzelnen Firmenschicksals deutlich. Die Au­to­ren erinnern zudem an Unternehmergeist, Erfin­dungs­reich­tum und technologische Kreativität mitteldeut­scher Industrie, die sich gerade in der Notlage am stärksten zeigten.

Erinnerungen an den Frühling 1945 14,8×21,0 cm, 200 Seiten, brosch., 9,50 Euro ISBN 978-3-937654-47-8 22 s/w-Fotos, 8 Abbildungen, 5 Karten

Die hier versammelten Berichte schildern das Vor­drin­gen der Einheiten der 3. US-Armee bis an den Stadt­rand von Chem­nitz, an dem die 4. Panzerdivision am 14. April 1945 zum Stehen kam. Die Autoren fügen Chronik-Aus­zü­ge der US-Armee, Er­leb­nis­be­rich­te von alten und jungen Volks­sturm­män­nern, Berichte vom Ringen um die kampf­lose Über­gabe von Dör­fern und Städ­ten, vom Versagen oder Über-Sich-Hinauswachsen ein­zel­ner Sol­da­ten, Offiziere, Bür­ger­meister und NS-Funktionäre in diesen Stunden an. Aber auch vom Ster­ben junger Soldaten auf beiden Sei­ten, von der Ermordung verantwortungsvoller Bür­ger­meister, tapferer Wi­der­stands­kämp­fer und heimatloser Häftlingen ist die Rede. Die Zeitzeugenerinnerungen, mit ihren subjektiven Zielen, Hoff­nun­gen und Illusionen, ergänzen auf kon­ge­niale Weise die Dar­stel­lungen der objektiven Er­eig­nisse. So gelingt es allen Autoren gemeinsam dem Le­ser eine Ahnung von den dramatischen Ereignissen zu ver­mit­teln, die sich im Früh­ling 1945 in der Region zwischen Sachsen und Thü­rin­gen schicksalhaft vollzogen. Gleichzeitig werden die Hoffnungen verstehbar, die die Menschen an das Ende des Krieges knüpften. Den Band beschließen Hinweise auf die Erzählung »Unsere Er­obe­rung« des international bekannten Schrift­stellers, Gert Hofmann, die am Tag des Ein­marsches der US-Armee in seine Geburtsstadt Limbach han­delt, und auf andere Bücher zur Thematik.

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: www.mironde.com

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