Rezension

WERNER ABELS BUCHREZENSIONEN

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
heute veröffentlichen wir als Gastbeitrag von Dr. Werner Abel zwei Buchrezensionen:

Heidi Beutin/ Wolfgang Beutin, Fanfaren einer neuen Freiheit. Deutsche Intellektuelle und die Novemberrevolution, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2018, 49,95 Euro

Die Feierlichkeiten, Konferenzen und Seminare zur Novemberrevolution gehen dem Ende entgegen, bleiben werden die Fragen: Denkt man diese Revolution vom Ende der Demokratie her, die sie hervorgebracht hat? War diese Demokratie überhaupt das, was sich die Protagonisten der Revolution erträumt und gedacht hatten? Oder denkt man diese Revolution von ihren Anfängen her? Vor allem in den beiden zuletzt genannten Positionen erweist sich das Buch von Heidi und Wolfgang Beutin als eine wahre Fundgrube, in der fast alles das gesammelt ist, was vor 100 Jahren über das Ereignis geschrieben und gesagt wurde, das wenigstens dazu beitrug, das Völkermorden des Ersten Weltkriegs und die Monarchie in Deutschland zu beenden. Das allein schon war schon bedeutend. Aber diese Revolution, kritische Stimmen merkten das an, trug schon die Keime der Gegenrevolution in sich. 1919 schrieb Kurt Tucholsky: »Wir haben in Deutschland keine Revolution gehabt – aber wir haben eine Gegenrevolution.« Und zehn Jahre später Max Hölz, jener sächsische Revolutionär, der für eine Räte-Demokratie kämpfte: »Was 1918 in Deutschland vor sich ging, war keine Revolution. Die feigen Fürsten flohen, und die ‹tapferen› Herren Ebert und Scheidemann setzten sich auf die leergewordenen Sessel.« Und, das muss hinzugefügt werden, diese beiden SPD-Politiker verbündeten sich mit den reaktionären Freikorps und der 1919 entstandenen Reichswehr. Mit Gustav Noske, ebenfalls SPD, hatten sie den ersten Reichswehrminister, der in ihrem Auftrag dafür sorgte, dass alle Versuche derer, die die Revolution zu einer sozialistischen machen wollten, blutig niedergeschlagen wurde. »Der Kaiser ging, die Generäle blieben«, so hieß ein späteres Buch von Theodor Plivier, und in diesem Titel drückt sich aus, was sich als Geburtsfehler der neuen, parlamentarischen Republik erweisen sollte.
Durch die Haltung der SPD vertiefte sich auch die Spaltung der Arbeiterbewegung. Viele Intellektuelle, dieser Begriff war zu jener Zeit noch unüblich, man sprach eher von »Geistesschaffenden«, solidarisierten sich mit dem radikalen Flügel der Arbeiterbewegung, die ihrerseits wiederum auch Intellektuelle von beträchtlichem Format hervorbrachte. Die Mehrheit der Intellektuellen waren jedenfalls für die Republik, wenngleich es zwischen ihnen auch um die Frage ging, ob diese bürgerlich-demokratisch oder sozialistisch sein sollte. Von denen, die dagegen reaktionäre Positionen bezogen, sind heute einige vergessen, andere, wie z.B. Ernst Jünger, feiern ungebrochen Konjunktur.
Dort, wo Intellektuelle, wie selbst für sie überraschend in Bayern, an die Macht kamen, favorisierten sie räteförmige Strukturen. In Berlin gründete sich der »Politische Rat geistiger Arbeiter«, von dem Kurt Hiller, einer der Theoretiker des Expressionismus, schrieb, dass er auf den Aktivismus der Schriftsteller Alfred Kerr, Gustav Landauer, Heinrich Mann und Ludwig Rubiner zurückging. Die Literaten gingen in die Politik, ihre Ziele, denen der Arbeiter- und Soldatenräte nicht unähnlich, waren u.a. die Abschaffung der Wehrpflicht, die Vergesellschaftung von Grund und Boden, die Umwandlung kapitalistischen Eigentums in Arbeiterproduktivgenossenschaften, die Liberalisierung des Strafrechts und die Freiheit des Geschlechtslebens. Viele Forderungen waren auch für die akzeptabel, die die Novemberrevolution zwar ablehnten, aber aus Gründen der Vernunft die Republik begrüßten. Die Reaktion schäumte vor Wut und reagierte mit Mord und hypertropher Auslegung des Strafrechts. Gemessen daran war die von der radikalen Linken ausgehende Gewalt gering. Den gut dokumentierten Nachweis dafür hatte 1925 schon Richard Müller, als Vorsitzender der Revolutionären Obleute der »Mann hinter der Novemberrevolution« in seinen beiden Bänden »Vom Kaiserreich zur Republik« geführt. Für Ralf Hoffrogge, dem Richard-Müller-Biographen, hatte Müller nachgewiesen, »dass die Eskalation der Konflikte eine gezielte Strategie der Gegenrevolution war. Es gab niemals einen Bürgerkrieg von links, auch wenn dies bis in die Gegenwart immer wieder behauptet wird … Das bevorzugte Mittel auch der radikalen Räterevolutionäre war der Generalstreik … Die Mittel der Gegenrevolution hingegen sahen anders aus. Sie betrieb den Terror einer Minderheit, ihre Kampfmittel umfassten von Anfang an Gewalt gegen Streikende und den politischen Mord am Gegner. Der Bürgerkrieg wurde also geführt, und zwar von rechts.«
Die Verfasser räumen auch auf mit der Legende vom »Spartakus-Aufstand«. Die Organisation, deren Nennung sich immer mit den Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht assoziiert, war zu dieser Zeit viel zu klein und hatte noch zu wenig Einfluss in den Betrieben und Gewerkschaften. Weder Liebknecht noch Luxemburg, schreiben die Verfasser, riefen das Proletariat zu keinem Zeitpunkt zum Blutvergießen auf. Gewalt war für sie ein rein defensiv zu nutzendes Mittel, bestenfalls in Form eines Generalstreiks.
Bemerkenswert auch, wie die deutsche Revolution die Familien spaltete: Thomas Mann z.B. sehnte das Ende der Bayrischen Räterepublik herbei, während sein Bruder Heinrich mit ihr sympathisierte und gar den Vorsitz des »Rates der geistigen Arbeiter« übernahm.
Unmöglich, alle die Namen der Männer und Frauen zu nennen, die die Verfasser, immer mit einer kurzen Vita versehen, zu Worte kommen lassen. Als Konsequenz liest sich das Buch wie ein »Who was who« der Intellektuellen in der Novemberrevolution und der frühen Weimarer Republik. Ihr Impuls, so schrieben die Verfasser im Abspann, war es nicht, den männlichen und weiblichen »republikanischen Tribunen« Ruhmeskränze zu flechten. Ihr Vorsatz war es, »zum Bild der Novemberrevolution beizutragen, indem gezeigt werde, wie diese sich um Denken und Tun von einer Anzahl ihrer intellektuellen Protagonisten spiegelte.« Dieser Vorsatz muss als überaus gelungen gewertet werden und wer sich für einen besonderen Abschnitt deutscher Geistesgeschichte und überdies für einen deutschen Revolutionsversuch interessiert, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

Werner Abel

Barbara Schieb u. Jutta Hercher (Hrsg.)

1938. Warum wir heute genau hinschauen müssen. Elisabeth Sandmann Verlag München 2018, 24,95 Euro

Hannah Arendt schrieb in ihrer großen Studie über die totale Herrschaft, dass diese sich u.a. durch die Konstruktion eines »objektiven Feindes« auszeichnet. Damit meinte sie eine Person, die sich subjektiv überhaupt nicht gegen das politische System stellt oder gar engagiert, sondern den Herrschenden aus rassischen, religiösen oder sozialen Gründen missfällt oder gar als Todfeind betrachtet wird. In der Folge dessen wird diese Person und die Gruppe oder Gemeinschaft, der sie angehört, zunächst moralisch, dann juristisch und schließlich physisch eliminiert. Wie das dann in der Praxis von statten geht, illustriert die von Barbara Schieb und Jutta herausgegebene Text- und Bildcollage am Beispiel der Judenverfolgung und der Pogrome in Österreich und in Deutschland. Das Buch, versehen mit einem Vorwort von Klaus von Dohnanyi, versammelt viele bekannte Stimmen, von denen hier mit Stefan Zweig, Carl Zuckmayer, Erika und Thomas Mann, Marcel Reich-Ranicki, Erich Kästner und Helmut Gollwitzer nur einige genannt werden können. Stimmen aber erhalten auch die Opfer, die die Schrecken und den Terror überleben konnten, auch weil es, wenn auch völlig ungenügend, Solidarität und Widerstand gegen die Verfolger und Henker gab. Aber viele haben mitgemacht und noch mehr haben weggeschaut. Das ermöglichte es den Nazis, mit dem Widerstand blutig abzurechnen. Auch das zeigt das Buch, z.B. an den Fällen Lilo Herrmann, Carl von Ossietzky, Sophie Scholl und Georg Elser. Und dann treten da die Unbekannten und weniger Bekannten auf, die überlebten und emigrieren konnten und dann Zeugnis über das ablegten, was ihnen und ihren Schicksalsgenossen angetan wurde und welche Schreckenszeit sie durchlaufen mussten. Es ist schon viel über die Pogrome geschrieben und berichtet worden, aber es bleibt dennoch unvorstellbar, was in Berlin und Wien und hunderten anderen Orten vor achtzig Jahren geschehen ist, und das in Ländern, die sich selbst zu den zivilisatorisch am meisten entwickelten gehörend wähnten.
1922 veröffentlich der jüdische Journalist und Schriftsteller Hugo Bettauer, der 1925 von einem Antisemiten ermordet wurde, mit »Die Stadt ohne Juden« sein vermutlich bekanntestes Buch. Die Stadt, von der er schrieb, war Wien, die österreichische Metropole mit ihrem grassierten Antisemitismus. Da es sich nach seinem Untertitel um einen »Roman von übermorgen« handelte, beschrieb Bettauer als Konsequenz des Antisemitismus eine antijüdische Gesetzgebung, die schließlich alle Juden zwingt, die Stadt zu verlassen. Die Folgen sind katastrophal und nach und nach verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage, so dass sich die Stimmen mehren, die eine Rückkehr der Juden fordern. Zum Schluss kommt Freude auf, als sie der Aufforderung Folge leisten.
Bettauers Phantasie hatte nicht gereicht sich vorzustellen, was sich sechzehn Jahre später tatsächlich ereignete. Am 12. März 1938 war die Nazi-Wehrmacht in Österreich einmarschiert, aber schon über den 11. März schrieb Carl Zuckmayer, dem wenige Tage später die Flucht aus Wien gelang: »An diesem Abend brach die Hölle los. Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in einen Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch: Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen … Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen verzerrten Fratzen: die einen aus Angst, die anderen in Lüge, die anderen in wilden hasserfülltem Triumph.« Sinnbildlicher kann ein Pogrom wohl nicht beschrieben werden, dabei war das aber nur der Anfang eines Prozesses, der dann in die Vernichtungslager führte. Für Bettauers Vorstellung einer Freude stiftenden Rückkehr der vertriebenen Juden hätten die Nazis nur ein blutiges Hohngelächter übriggehabt.
War das, was sich im März 1938 in Wien abspielte, die Generalprobe für das November-Pogrom in Deutschland? Wie war es möglich, dass Menschen mitmachten oder hasserfüllt zuschauten, als ihren Mitmenschen Gewalt angetan wurden? Wie war es weiter möglich, dass sich Menschen ohne Schuldbewusstsein aus dem Eigentum der Verstoßenen und Gequälten bereicherten? Das Buch versucht eine Antwort mit Berichten und Dokumenten. So auch mit der Auflistung von Gesetzen und verstörend muss wirken, dass in Deutschland, das noch fünf Jahre zuvor eine demokratische Republik gewesen war, alleine im Jahre 1938 vierzehn antijüdische Gesetze erlassen wurden. Mit dem November-Pogrom konnten die Nazis dann testen, wie weit die nichtjüdische Bevölkerung ihren Antisemitismus tolerierten. Wie wir wissen und wieder aus diesem Buch erfahren können, blieb es nicht nur bei der Tolerierung, denn unter dem Beifall eines Teils der Bevölkerung konnten die Nazis ihren nächsten Schritt zum Genozid tun.
Die Gedenkstunden an das November-Pogrom sind vorbei, die Beunruhigung wegen dem Anwachsen von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bleibt. Ist diese Republik gegen das, was 1938 geschah, gefeit? Es beginnt immer im Kleinen, sagt uns das Buch, deshalb sollten wir genau hinschauen. Es ist den Autorinnen und dem Elisabeth Sandmann Verlag zu danken, diese Warnung und Aufforderung publik gemacht zu haben. Angesichts der Rechtsentwicklung nicht nur in Europa ist dem Buch eine sehr große Resonanz zu wünschen.
Werner Abel

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