Reportagen

41. FILMFESTSPIELE IN BIBERACH

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachfolgend veröffentlichen wir einen Gastbeitrag des Filmemachers und Autors Prof. Eberhard Görner.

Unsere Abbildungen zeigen den Dokumentationsband der 41. Biberacher Filmfestspiele.

Johannes Eichenthal

„Auf der schwäbsche Eisenbahne, gibts gar viele Haltstatione, Schtuegert, Ulm und Biberach, Meckebeure, Durlesbach. Rulla, rullala, rulla rullala, Schtuegert, Ulm und Biberach, Meckebeure, Durlesbach.“ Dieses schwäbische Kinderlied habe ich im Schul-Chor gesungen, aber keine Ahnung gehabt, wo es liegt, das Biberach. Doch das Leben steckt voller Überraschungen. Auch noch im hohen Alter, wenn plötzlich von Helga Reichert, der neuen Intendantin für die 41. Biberacher Filmfestspiele 2019, eine Berufung in die Jury für Dokumentarfilme ins Haus flattert. Aber der Reihe nach: es gibt in Deutschland 200 Filmfestivals – das renommierteste ist die BERLINALE mit deren weltweit berühmten Internationalen Filmfestspielen. Dass einmal die Biberacher Filmfestspiele die zweitwichtigsten in Deutschland werden, hat sich Adrian Kutter vor 40 Jahren bestimmt nicht träumen lassen, als er sich entschloss, in Biberach ein Filmfestival zu gründen. Adrian Kutter, schon väterlicherseits vom Film-Virus besessen, erklärte kurzerhand sein nicht sehr großes  Kino zum Festival-Tempel und siehe da, alle kamen: Werner Herzog, Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Wim Wenders, Rainer Fassbinder, Rainhard Hauff, Edgar Reitz und Alexander Kluge. Diese exklusive Film-Mannschaft gab Adrian Kutter 1978 den dringenden Rat: „Mach für uns ein Filmfest!“ Und Adrian Kutter machte … So wurde Biberach unter Adrian Kutters perfektem Management im Laufe von 40 Jahren zum Mekka des Films. Zuerst nur deutsche Produktionen, inzwischen zeigt es Filme aus der Schweiz, Luxemburg, Österreich und glänzt mit hervorragender Film-Kunst im Wettbewerb um den besten Spielfilm (8000 Euro), den besten Fernsehfilm (3000 Euro ), das beste Spielfilm-Debüt ( 3000 Euro), den besten Dokumentarfilm (3000 Euro), den besten mittellangen Spielfilm (2000 Euro), den besten Kurzfilm (2000 Euro), den Schülerpreis ( 3000 Euro), den Publikumspreis (2000 Euro), den Sonderpreis ADRIAN/Beste Kamera (1000 Euro) und in diesem Jahr kam noch ein Filmprogramm für Kinder dazu.

Prof. Eberhard Görner am 18. März 2018 am Stand des Mironde-Verlages auf der Buchmesse Leipzig, zur Premiere der von ihm herausgegebenen Lebenserinnerung des 1927 in Chemnitz geborenen, heute in Stockholm lebenden, Franz T. Cohn, mit dem Titel: Wir leben weiter. Links Antje Contius, die Geschäftsführerin der S. Fischer-Stiftung, mit dem Buch Franz Cohns. Die Hörbuchfassung der Lebenserinnerungen Franz Cohns von Fischer/Argon rechts im Bild.

Seit vielen Jahren gibt es eine gut funktionierende Kooperation zwischen Tobias Vogel, dem Vorsitzenden des Vereins Biberacher Filmfestspiele und dem Filmtheaterbetrieb Lochmann. Sein TRAUMPALAST mit den Kino-Sälen Universum, Venus, Mars, Polaris, Saturn, Orion, Jupiter, Schnuppe – er ist mit seinen 1360 Plätzen während der Biberacher Filmfestspiele ständig ausverkauft. Kino-Fans kommen zum Festival seit 30 Jahren regelmäßig von Koblenz und Stuttgart nach Biberach. Die ganze Stadt und die Umgebung profitieren vom Festival: kulturell, ökonomisch, sozial und kommunikativ. In diesem Jahr, zu den 41. Biberacher Filmfestspielen wurden in einer Woche 15.000 Tickets verkauft –- und trotzdem, einer der wichtigsten Kameramänner des deutschen Films, Gernot Roll, – seine Arbeit mit Regisseur Heinrich Breloer am ARD-Dreiteiler DIE  MANNS mit Armin Mueller Stahl hat Filmgeschichte geschrieben – macht sich Sorgen um den deutschen Film. Warum? „Wir befinden uns in einem schweren Umbruch“, stellt Gernot Roll beim Morgen-Kaffee im Festival-Hotel „Kapuzinerhof“ nachdenklich fest. „Die Serien erobern die Zuschauer, um dem etwas entgegen zu setzen, braucht es ein großes Film-Segment. Da liegt eine große Gefahr in der Luft. Keiner weiß, wo es lang geht. Andererseits, ich glaube an den Film. Er hat viele Krisen überwunden: Fernsehen, Laptop etc. – hier auf dem Festival gibt es eine große Zuneigung zum Film. Deshalb komme ich gerne zum vierten Mal nach Biberach und habe mich auf die Arbeit mit der Jury für die beste Kamera sehr gefreut. Ich bewundere Adrian Kutter. Er weiß, wie man die Leute ins Kino lockt. Ein Geheimnis, dass er seiner Nachfolgerin Helga Reichert offenbar verraten hat, denn ihre erste Intendanz wurde fulminant begrüßt“, stellt Gernot Roll bewundernd fest, und sagt mit Hochachtung in der Stimme: „In Biberach ist für den Film große Pionierarbeit geleistet worden.“ Bei dem Wort „Pionierarbeit“ überwältigen Gernot Roll die Erinnerungen an seine sächsische Heimat: „Ich bin ja zum Film durch das Pionierfilmstudio in Pirna gekommen. Meine Mutter fand, das wäre was für mich und schickte mich zur Ausbildung an die DEFA in Potsdam Babelsberg. Im Kopierwerk Berlin-Johannisthal habe ich alles von der Pike auf gelernt, was mit Film und Kamera zu tun hat. Als 2. Kamera-Assistent konnte ich bei der DEFA an dem Märchenfilm ‚Das singende, klingende Bäumchen‘ mitwirken. Die Leute gratulieren mir heute zu diesem Klassiker für Kinder. Film braucht Mysterium. Dafür lohnt sich alle Mühe“, resümiert Gernot Roll. Doch zurück zu den Biberacher Filmfestspielen: im TRAUMPALAST kann das Publikum nicht nur Filme sehen, in den Pausen essen und trinken, es kann vor allem nach jedem Film mit den Machern, Regisseuren, Kamera, Schauspieler, Komponisten und Produzenten ins Gespräch kommen. Da werden ganz offen die gesellschaftlichen Probleme im real existierenden Kapitalismus befragt und durch diskutiert, zum Beispiel warum in Kenia jeden Tag 300 Mädchen noch immer barbarisch beschnitten werden? Ein Thema, das ganz Afrika betrifft! Um darauf aufmerksam zu machen hat die Regisseurin Beryl Magoko aus Kenia an ihrem eigen Schicksal den unter die Haut gehenden Dokumentarfilm IN SEARCH gedreht. Er wurde von der Jury als bester Dokumentarfilm geehrt und bekam bei der Preisverleihung in der Biberacher Stadthalle von 8oo Festival-Gästen Standing Ovation! Den GOLDENEN BIBER für den besten Spielfilm errang IM NIEMANDSLAND von Regisseur Florian Aigner. Eine Romeo-und Julia-Geschichte während der Wendezeit. Es seien „großartige erste Filmfestspiele“ für sie gewesen, sagte die neue Intendantin Helga Reichert. Ein Filmfest, das mit einem Paukenschlag eröffnet wurde, denn alle hatten dicht gehalten, so dass Adrian Kutter aufgewühlt in Tränen ausbrach, als ihm der Oberbürgermeister, Norbert Zeidler, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Biberach antrug, für sein jahrzehntelanges unermüdliches Engagement im Sinne der Biberacher Filmfestspiele. Da stand spontan der voll besetzte Saal auf und feierte minutenlang Adrian Kutter. Solche Momente sind lebensverlängernd – und in Biberach haben sie diese Momente der Anerkennung für ihre Leistungen im Film sichtlich genossen, solche großartigen Schauspieler wie Klaus Maria Brandauer, Ben Becker, Corinna Harfouch, Vadim Glowna, Uschi Glas und Regisseure wie Volker Schlöndorff, Bernhard Sinkel, Frank Beyer für „Jakob, der Lügner“, Hans W. Geissendörfer, Michael Verhoeven und Josef Vilsmaier.

Die Zuschauer im TRAUMPALAST haben die Filmemacher ermutigt, so wie nach dem Dokumentarfilm „Die jungen Kadyas“ – ein Film über drei Mädchenchöre aus Palästina, Israel und Deutschland, die ein gemeinsames Programm mit jiddischen Liedern einstudieren und miteinander versuchen, sich über religiöse und politische Grenzen hinweg, mit Hilfe der Musik, zu verstehen. Eine Zuschauerin rief den Regisseurinnen Yvonne Andrä und Eyal Davidovitch nach dem Film zu: „Ich bin alt und werde bald sterben, aber mit Hoffnung, dass es mit unserer Welt besser wird, weil es solche wunderbaren Filme und so kluge junge Leute gibt!“ Mit dieser Hoffnung bin ich von Biberach die 750 km zurück nach Bad Freienwalde gefahren, wo wir im hiesigen Hof-Theater ebenfalls jedes Jahr ein kleines Filmfest der Hoffnung für Frieden und Völkerverständigung auf die Leinwand bringen. Für 2020 hat Gernot Roll zugesagt, mit seinen Filmen nach Bad Freienwalde zu kommen. Jedenfalls weiß ich jetzt, wo Biberach liegt

Eberhard Görner

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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