Rezension

AUS NEUEN ZEITSCHRIFTEN

Zum Jahresbeginn wollen wir wieder einige Zeitschriften vorstellen. Auf den ersten Blick wirkt das Spektrum, in unserer Zeit der Spezialisten, vielleicht zu breit. Es reicht von Technikgeschichte, Kulturgeschichte, Bücher- und Literaturgeschichte bis hin zur modernen Buchbranche. Der »rote Faden« dieses Querschnittes ist unsere Position, dass auch Technik und Technologie erst kommunizierbar werden, wenn sie in eine literarische Form gebracht werden.
Hier unsere Auswahl:


Die Vierteljahresschrift der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz nennt sich »Vier Viertel Kult«. Das Heft 34/Winter 2019 (9. Jahrgang) umfasst 52 Seiten. Schwerpunkt der Ausgabe ist »Sammeln«. Der Einleitungsartikel von Martin Lödl ist überschrieben mit »Horten, Ordnen, Präsentieren. Eine kleine Kulturgeschichte des Sammelns.« Der Autor versteht die Worte der Überschrift »Horten, Ordnen, Präsentieren« als drei Stufen des Sammelns. Er verbindet mit dem Sammeln stets Wissenszuwachs und Wertschöpfung. Das Büchersammeln hat für ihn etwas mit sozialen Schichten zu tun: »Das Sammeln von Büchern, also die Anlage großer Privatbibliotheken, hat … immer noch den Nimbus der Schicht des Bildungsbürgertums oder des Adels.«

Es folgen Artikel zu verschiedenen Aspekten des Sammelns. Der interessanteste Artikel ist vielleicht eine Zusammenfassung der Thematik auf zwei Seiten (S. 22/23) mit vertiefenden Leseempfehlungen. Ein Abschnitt ist ausdrücklich dem Thema »Büchersammeln – Autoren als Sammler« gewidmet. Ein weiterer Schwerpunkt umfasst die Tätigkeit der Stiftung (Ausstellungen, Veranstaltungen usw.). Auf zwei Seiten werden zudem Buchneuerscheinungen in kurzen Annotationen vorgestellt.

Information
Vier Viertel Kult – Vierteljahresschrift der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz.
ISSN 2192-600X; abonnement-kult@bsk.niedersachsen.de
www.sbk-bs.de

Die Interessengruppe Antiquariate und Versandbuchhandel im Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. gibt in Verbindung mit der Maximilian Gesellschaft e.V. für alte und neue Buchkunst seit 1948 die Zeitschrift »Aus dem Antiquariat. Zeitschrift für Antiquare und Büchersammler« heraus.
Das Heft 4/2019 umfasst 44 Seiten. Klaus Körner stellt auf 16 Seiten Kurt Desch und seinen Verlag vor. Kurt Desch (1903–1985) war einer der erfolgreichsten Verleger der bundesdeutschen Nachkriegsjahre. Zwischen 1945 und 1973 veröffentlichte er etwa 4500 Titel in 4,2 Millionen Exemplaren. Desch begann Ende der 1920er Jahre in der KPD-nahen Frankfurter Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur. Nach 1933 manövrierte er sich als Leiter verschiedener, auch NSDAP-naher Verlage, durch die Zeiten. Immerhin gehörte zu seinen Autoren auch der Jungkonservative Will Vesper. Am 17. November 1945 erhielt er von der US-Militärverwaltung eine der ersten Verlagslizenzen in München. Ernst Wiechert, Günter Weisenborn, Thomas Mann (Vorwort eines Sammelbandes), Theodor Plivier und Michael Mansfeld (Pseudonym für Eckhart Heinze) waren wichtige Autoren. Desch war auch Gründungsmitglied des Grünwalder Kreises (u.a. Hans-Jochen Vogel, Erich Kuby, Michael Mansfeld). Ende der 1960er Jahre wurde der Verlag finanziell instabil. Der Verleger hielt darauf Honorare zurück. 1973 wurde dieses ein öffentlicher Skandal. 1976 wurde der Verlag liquidiert. Der Artikel eröffnet einen unzeitgemäßen Blick auf die alte Bundesrepublik. Germanistenprosa zum »Kolportageroman«, Ausstellungsberichte, Termine und Rezensionen beschließen die Ausgabe.

Information
Aus dem Antiquariat. Zeitschrift für Antiquare und Büchersammler.

ISSN 0343-186X
https://www.boersenblatt.net/2019-12-11-artikel-kurt_desch_und_kolportageromane-antiquariat.1776804.html

Austro Classic – das österreichische Magazin für Technikgeschichte erschien am Jahresende mit Heft 6/2019. Das Heft enthält 162 reich illustrierte Seiten und veröffentlicht Clubnachrichten von 20 österreichischen Oldtimerclubs. Die Themenstellung umfasst den Bereich, den der Laie mit »Oldtimer« umschreibt. Die Titelgeschichte widmet Herausgeber Wolfgang M. Buchta dem BMW 700. Die Entwicklung ging auf eine Modifikation des BMW 600 durch den Wiener Rennfahrer Wolfgang Denzel und den Autohausbegründer Giovanni Michelotti zurück. Mit der Titelwahl wird die Automobilentwicklung Anfang der 1960er Jahre und die permanente Beschleunigung in den Fokus gerückt. Zahlreiche Berichte und Veranstaltungstermine komplettieren das Heft.
Der interessanteste Artikel ist für uns auf Seite 16 zu finden. Der KfZ-Mechanikermeister Hannes Dworsky aus Vösendorf bei Wien bittet die Kunden um mehr Geduld. Er weiß, dass die heutigen Menschen eigentlich keine Geduld mehr haben, weil sie im »Turbo Sog« sind. Sie hetzen durchs Leben, verzetteln sich und erwarten auch bei Anruf die sofortige Reparatur eines Oldtimers.
Doch diese erfordert ein anderes Zeitmaß. Erstens gibt es in Österreich nur noch eine »handvoll Fachbetriebe, die sich mit historischen Kraftfahrzeugen beschäftigen«. (Sie sind praktisch alle überlastet.) Zweitens finden sich kaum mehr Mitarbeiter für die anspruchsvolle Arbeit. Die Ersatzteile sind kaum verfügbar. Und so appelliert Meister Dworsky: »Habt bitte ein wenig Geduld mit uns und euren Autos. Wir geben uns wirklich Mühe.«
Uns fällt hier ein chinesisches Sprichwort ein: »Wenn du es eilig hast, dann gehe langsam!«

Information
Austro Classic – Das österreichische Magazin für Technikgeschichte Verlags GesmbH,
erscheint sechs Mal jährlich DVR-Nr. 0754234
www.austroclassic.com

Der Sächsische Literaturrat e.V. in Leipzig gibt ein Informationsblatt mit dem Titel »angezettelt« heraus. Heft 1/2019 enthält Berichte und Nachrichten aus dem literarischen Leben Sachsens, einen Nachruf auf Ulrich Schacht von Utz Rachowski und Annotationen neu erschienener Bücher. Der Schwerpunkt des Hefts ist die Lage der »Unabhängigen Verlage«. Dazu gibt es ein Geleitwort des Literaturrat-Vorsitzenden, ein Interview mit Klaus Schöffling, die Kurzvorstellung von sieben unabhängigen Verlagen und eine Befragung der Verleger. (Was ist das Besondere an Ihrem Verlag? Warum haben Sie Ihren Verlagssitz in Sachsen? Wie sehen Sie die aktuelle Situation für unabhängige Verlage in Sachsen, in Deutschland und im Vergleich zu deutschsprachigen bzw. generell zu andere Ländern? Welche Probleme gibt es? Was wünschen Sie sich vom Buchhandel? Was kann Politik für die unabhängige Verlage tun? Braucht es eine politische Stärkung? Wenn ja, wie sollte/kann diese aussehen?)
Die Antworten sind umfangmäßig sehr gedrängt (1000 Zeichen mit Leerzeichen). Es fällt auf, dass die Mehrheit auf eine dauerhafte Förderung der Verlagstätigkeit hofft. Kann man dann auf Dauer unabhängig bleiben? Es wird jedoch kaum die existenzielle Krise des Lesens, der Vertriebsstrukturen und die fehlende Interessenvertretung unabhängiger Verlage reflektiert.

Information
Angezettelt. Informationsblatt des sächsischen Literaturrates e.V.
www.saechsischer-literaturrat.de

In Dresden wird die Zeitschrift »Signum – Blätter für Literatur und Kritik« von Norbert Weiß, Jens Wonneberger und dem Verein Signum e.V. herausgegeben. Im Herbst 2019 erschien ein Sonderheft mit dem Titel »Zwischen Wunder und Sachlichkeit. Die Kolonne. Zeitschrift für Dichtung.« Norbert Weiß berichtet zunächst über die 1924 von Rudolf Braune, Martin Raschke und Heinz Greif gegründete radikale Gymnasiasten-Literaturzeitschrift »MOB. Zeitschrift der Jungen«. In einer literarischen Revolte versuchten Schüler die vorherrschende Tradition zu überwinden.
Jens Wonneberger schließt mit Berichten zur Gründung der Literaturzeitschrift »Die Kolonne. Zeitschrift für Dichtung« durch Wolfgang Jesse, den Inhaber der Dresdner Verlagsbuchhandlung Gerhard Kühtmann an. Martin Raschke und andere Autoren der Zeitschrift MOB veröffentlichten später, nach dem Ende der Gymnasiasten-Zeitschrift, in der »Kolonne«. Wonneberger stellt die entstehenden Verbindungen zu anderen Autoren in Sachsen und ganz Deutschland dar. Faksimiledrucke der Titelblätter und einzelne Originalartikel, z.B. Martin Raschke: Über die Aufgaben der Kolonne; Günter Eich: Bemerkungen über Lyrik, ergänzende Artikel und zeitgenössische Urteile über die »Kolonne« vervollständigen die Dokumentation. Ästhetische Kommentare in lyrischer Form von Heinz Czechowski, Uwe Kolbe, Erich Adler, Richard Pietrass und Lutz Seiler ergänzen den Band auf poetische Weise. Ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, die mit Beiträgen in der »Kolonne« vertreten waren, beschließt den Band.
Neben der literaturgeschichtlich verdienstvollen Dokumentation ermöglicht das Sonderheft Einblick in den Ablauf des Generationenkonflikts, der die Jahre zwischen 1920 und 1930 bestimmte. Dabei fehlt es nicht an den Klischees: »Jeder über dreißig hat kein Recht zu leben«. (S. 26) Zugleich erinnert der Lebensweg Martin Raschkes an des Verdikt Freuds: »Wer seinen Vater am meisten hasst, der wird ihm am ähnlichsten.« Können die Akteure des kommenden Generationenkonfliktes daraus lernen?

Information
Signum erscheint zweimal jährlich. ISSN 1438-9355
Die Zeitschrift ist im Buchhandel oder direkt beim Verein Signum erhältlic
www.zeitschrift-signum.de; m.n.weiss@lt-online.de

Die 1956 gegründete Pirckheimer-Gesellschaft e.V. gibt die Zeitschrift »Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie« heraus. Eben erschien Heft 4/2019 (Nr. 235)«, es umfasst 128 Seiten.
In reich illustrierten Beiträgen stellen Hans Jürgen Rehfeld die »Teufelsbücher von Andreas Musculus, Peter Labuhn Herakles-Variationen im Exlibris-Genre, Till Schröder die Siebdruckbücher von OttoGraphic, Ernst Falk den Kunstanstifter Verlag, V. Gheeta und Maren Poppe sowjetische Kinderbücher in Indien, Jürgen Bönig die Edition M. & M. und Uwe B. Glatz Nietzsche-Fundsachen aus der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena vor. Ralph Wege berichtet über das Pirckheimer Jahrestreffen 2019 in Mainz.
Weitere Artikel, Rezensionen und Berichte aus der Pirckheimer-Gesellschaft runden das Heft ab.
Der Titelartikel von Michael Faber über die Geschichte, Übersetzung und Illustration von Alphonse Dauderts Erzählung »Die wundersamen Abenteuer von Tartarin aus Tarascon« im 20. Jahrhundert, der 16 Seiten umfasst, ragt aus dem Reigen heraus. Das Buch erschien in Frankreich erstmals 1872. Faber legt sein Augenmerk auf den Zusammenhang von Sprachübersetzung und »bildnerischer Übersetzung«. Er macht auf verständliche und anschauliche Weise die Überlieferungsgeschichte des Buches fassbar. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1882 ohne Illustrationen. 1884 folgt in Leipzig eine deutsche Ausgabe mit Übernahme der Illustrationen einer französischen Ausgabe. 1921 gib es eine Ausgabe mit Illustrationen von Georg Grosz. (1962 wurde die Ausgabe in die Insel-Bücherei aufgenommen.) Den Höhepunkt der bildnerischen Übersetzung erreichen nach Fabers Auffassung die 1958 (1969, 1970) im Leipziger Reclam Verlag erschienene Ausgabe mit Illustrationen Josef Hegenbarths und die 1960 bei Rütten & Loening Hamburg erschienene Ausgabe mit Illustrationen Fritz Fischers. Dieses Niveau wurde danach nicht wieder erreicht. Faber macht uns wieder einmal deutlich, dass Bücher (und ihre Überlieferung) bei Sammlern und Liebhabern am besten aufgehoben sind. Es ist die Überlieferungsgeschichte, die unsere literarische Tradition ausmacht. Ein wunderbarer, sehr gut lesbarer Beitrag.

Information
Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie.
ISSN 0025-2948, erscheint viermal jährlich
www.pirckheimer-gesellschaft.org

Liebe Leserinnen und Leser, wir haben Ihnen ohne Frage einige Anstrengung zugemutet, hoffen aber, dass wir auch Vergnügen bereiteten. Erstens müssen wir die Zusammenhänge unseres Lebens versuchen zu erkennen, wenn wir nicht als Spezialist enden wollen, der von immer weniger Dingen immer mehr weiß, und zum Schluss von NICHTS ALLES. Zweitens gibt es ohne Anstrengung für uns Menschen kein Vergnügen.
Johannes Eichenthal

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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