Reportagen

PETER BECKER: DER TRAINER – EIN LEBEN FÜR DEN RADSPORT

Peter Becker legte 2004 eine Trainer-Autobiographie vor, in der er seine Erfahrungen als Jugendtrainer in der DDR und als Männer-Trainer in der Bundesrepublik Deutschland zusammenfasst und durchdenkt.

Peter Becker wurde am 3. August 1938 in Berlin geboren, verbrachte seine Jugend im Kleinstädtchen Belzig und begann 1953 eine Lehre in einem Forstbetrieb, weil er einmal Förster werden wollte. 1952 war die Internationale Friedensfahrt 20 km an Belzig vorbeigezogen und Peter Becker stand, wie viele Jugendliche und Erwachsene, begeistert am Straßenrand. Seinen Eltern fehlte jedoch das Geld für eine Rennfahrrad-Ausrüstung. 1956 gewann Täve Schur als erster Deutscher die Internationale Friedensfahrt. Und löste damit einen Radrenn-Enthusiasmus aus. Peter Becker trat in Potsdam in eine Radrenn-Mannschaft ein und wurde von Willi Frach und Richard Huschke trainiert. Weil er keinen Studienplatz als Förster erhielt studierte er von 1958–1962 Sport an der DHFK in Leipzig, wurde 1962 Kreissportlehrer und 1964 Trainer der ersten Radsportklasse an der Kinder- und Jugend-Sportschule von Berlin und gab seine eigenen Rennsport-Ambitionen auf. Obwohl seine Mannschaft 1968 16 von 17 möglichen DDR-Meistertiteln errang wurde er wegen einer kritischen Analyse entlassen und als Athletik-Trainer der Boxer eingesetzt. Erst 1974 kehrte er als Radsport-Trainer zurück.

Sein Trainer Credo offenbart er auf Seite 64: ein Trainer braucht Verantwortungsgefühl und Besessenheit. Eine Seite weiter deutet er die DDR-Ausbildungsphilosophie an: breite Grundlagen, solide allgemeine Ausbildung, weil ohne ein breites Fundament keine Spitzenleistungen zu erreichen sind.

1986 erhielt Peter Becker die Erlaubnis, dass er den Jugend-Jahrgang von 1987 bis ins Erwachsenenalter betreuen darf. Bei einem Querfeldeinrennen im November 1986 fiel ihm ein Junger Sportler durch seine Fahrweise auf, der einer der kleinsten seines Jahrgangs war (1,58 m, 45 kg). Jan Ullrich, so der Name des Fahrers, begann am 1. September 1987 in der Trainingsgruppe von Peter Becker, gemeinsam mit 12 anderen 14-jährigen Sportlern zu trainieren. Auch hier hebt Peter Becker wieder das Grundlagentraining hervor: Fußball, Korbball, Laufen, Gymnastik, allgemeines Krafttraining, Sprünge, Schwimmen, Skilaufen. Fahrradtraining auf der Bahn, auf der Straße und im Gelände. 

Am Beispiel Jan Ullrichs liefert Peter Becker einen beeindruckenden Zeitzeugenbericht über das Ende des DDR-Sports. Im Jahre 1990 verpasste Jan Ullrich nur durch einen Fahrfehler eines Mannschaftskameraden den ersten Junioren-Weltmeistertitel.

Der Trainer musste in dieser Zeit im Hintergrund für die Existenzsicherung der Mannschaft sorgen. Der erste Sponsor war der Fahrradhändler Robert Nemschewski aus Berlin-Charlottenburg. Peter Becker ist ihm heute noch dankbar. 

Bei der letzten DDR-Straßenradmeisterschaft wurde Jan Ullrich 1990 Vizemeister.

Peter Becker erhielt gleichzeitig von dem Hamburger Autohändler Wolfgang Strohband das Angebot zum Aufbau einer Bundesliga-Radrennmannschaft mit dem Hauptsponsor Panasonic. Es gab unzählige Probleme zu klären: Unterbringung, Ausbildungsstellen für die Sportler usw. 

Bereits 1991 kam es in einem Trainingslager zu ersten Differenzen mit Sportlern, die den Grundlagenausdaueraufbau, lange ruhige Strecken von 180 bis 240 Kilometer, als unnötig für schnelle Erfolge empfanden.

1992 erfolgte der Umzug nach Hamburg. Weil die Unterkunft noch nicht fertiggestellt war, musste kurzfristig ein Hotel an der Reeperbahn bezogen werden, dessen Direktor, ein früherer Radsportler, räumte Sonderkonditionen ein. Von Albert Wangrin erhielt Becker Unterstützung bei der Durchführung von Trainingslagern.

1993 wurde der 19-jährige Jan Ullrich Amateur-Weltmeister in Oslo, der jüngste Weltmeister in der Geschichte. Aber trotz sehr guten Abschneidens der Mannschaft in der Bundesliga kündigte Panasonic Ende 1993 den Sponsorvertrag. Die Suche begann von neuem … 

1995 wechselte Jan Ullrich zur Profimannschaft der Telekom. 1997 löste er mit seinem Sieg bei der Tour de France eine Welle des Radrenn-Enthusiasmus aus. Die zweite Hälfte des Buches widmet Peter Becker der Profi-Laufbahn seines ehemaligeSchützlings.

Am Beispiel von Jan Ullrich geling es Peter Becker wesentliche Aspekte des Übergangs vom DDR-Sport zum bundesdeutschen Sportsystem deutlich zu machen. Er wird nicht müde die Bedeutung des Sports für Bildung und Erziehung der Jugend hervorzuheben. Weitere erfolgreichsten Schützlinge waren: Carsten Wolf, Bernd Dittert, Bill Huck und Lothar Grüner.

Beckers Buch ist eine interessante, mit zahlreichen einzigartigen Radrennsport-Fotos ergänzte Dokumentation einer vergangenen Epoche.

Was bleibt?

Auf den ersten Blick könnte man den Enthusiasmus, den Ullrichs Sieg 1997 auslöste, mit dem von Täve Schur 1956 vergleichen. Dem widerspricht, dass keinem der ehemaligen Radrenn-Spitzenfahrer der DDR ein wirklich erfolgreicher Übergang in das neue Sportsystem glückte. Thomas Barth, langjähriger Kapitän der Friedensfahrt-Mannschaft, benannte 2020, beim Sportlerstammtisch in Niederfrohna, den entscheidenden Unterschied: Für uns stand der Mannschafts- über dem Einzelerfolg.

Peter Becker wird, wie viele andere DDR-Radsportlegenden, u.a. Täve Schur,

am 31. Juli 2021 beim 11. Jahnrad-Kriterium und am

1. August beim Sportlerstammtisch in Niederfrohna dabei sein.

Johannes Eichenthal

Information

Peter Becker: Der Trainer – Ein Leben für den Radsport. Scheunen Verlag . 2004.

ISBN 3-934301-99-1

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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