Rezension

WIEDERGELESEN: KLAUS WALTHER – WAS SOLL MAN LESEN?

Klaus Walther veröffentlichte 2005 bei Faber & Faber in Leipzig ein Buch mit dem Titel „Was soll man lesen? Ein Leseverführer“. Zur Verbreitung des Buches trug wohl damals auch die Idee bei, am 15. September 2005, dem 15. Gründungsjubiläum des Faber & Faber Verlages, 1000 Exemplare in öffentlichen Verkehrsmitteln auszulegen. Die Fahrgäste sollten in den Büchern lesen und dann für den nächsten Gast hinterlegen … Der Großteil der Gäste verstand diese Idee leider falsch, und packte das Buch einfach in seine Tasche.

Es gab schöne Buchvorstellungen. Ich erinnere mich an ein Gespräch in einer Leipziger Buchhandlung Hugendubel im September 2005. Gisela Hoyer, die Literaturchefin der LVZ, moderierte ein Gespräch zwischen Elmar Faber, Michael Hametner vom MDR, Prof. Helmut Richter und Klaus Walther. Doch eine darüber hinaus gehende Debatte vermochte Klaus Walthers Buch nicht auszulösen.

Vielleicht schrieb er zu verständlich? 

Der Büchersammler Dr. Klaus Walther (Foto: Dieter Lehnhardt)

Klaus Walther stellt die Frage „Was soll man lesen?“ Er hebt in seiner Einleitung hervor, dass er sich nicht gern vorschreiben lasse, was er zu lesen habe. Er suche eher das Vergnügen des Lesens, freilich gäbe es kein Vergnügen ohne Anstrengung. Aber grundsätzlich sei für jeden Leser zu jedem Zeitpunkt ein anderes Buch das wichtigste. Jeder Leser findet das für sich richtige Buch und jedes Buch findet auch seinen richtigen Leser.

Klaus Walther praktizierte diese Grundsätze selbst. Als Rezensent versucht er den Leser zum Buch hinzuführen. Bücher, die er nicht mag, bespricht er nicht. Er verzichtet auf Verrisse.

Mit dem Ausdruck „Kanon“, so Klaus Walther, könne ein Bücherfreund nicht viel anfangen. Ebensowenig mit den heute üblichen „Bestsellerlisten“, einer Art von „Markt-Kanon“, mit dessen Hilfe man uns diktieren will, was wir lesen sollen.

Über die spannungsreiche Beziehung vom Literaten und Rezensenten wurde viel geschrieben. In extremer Form verkörperte Friedrich Schlegel in seinen frühromantischen Jahren den Typ des „aufgeklärten“ Rezensenten. Er versuchte die Literatur vor einen Richterstuhl zu bringen, wie er es bei Immanuel Kant gelesen hatte. An seinen Bruder August Wilhelm Schlegel schrieb er, dass er in wenigen Jahren der kritische Diktator in Deutschland sein wolle.

Im 19. Jahrhundert verband sich diese Art von „Aufklärung“ mit der Vorstellung eines linearen Fortschritts und der Konstruktion eines fixen „Literatur-Kanons“. Kanonbildung als Mittel der politischen Pädagogik ist noch heute ein Bestandteil der herrschenden kulturpolitischen Doktrin vom „kulturellen Gedächtnis“. Ein „Anti-Kanon“ ist aber auch nur wieder ein „Kanon“.

Die Entstehung der Kultur- und Werbeindustrie und des Fernsehens brachte neue Stufen der Bevormundung hervor. Die Buchbranche versucht mit der Vergabe von Literaturpreisen und anderem Tam-Tam einen „Markt-Kanon“ aufzubauen und etwa 100 „Bestseller“ pro Saison zu proklamieren.

Die Macht der Werbung bewirkt jedoch, dass sich viele Menschen diese „Bestseller“ kaufen, ohne sie zu lesen.

(Vgl. Enzensbergersche Konstante).

Uns geht es aber gerade um die Kulturtechnik des Lesens. 

Unsere Frage war: Was soll man lesen?

Klaus Walther hat 2005 darauf geantwortet, dass das Medium Buch einen individuellen Zugang zur allgemeinen Menschheitskultur ermöglicht. 

Ist es nicht die verantwortungsbewusste Individualität, die bei dieser Art der Begegnung zwischen Individuum und Kulturerbe entstehen kann? 

Braucht Individualität einen Kanon und Kanon-Rezensenten?

Nein!

Klaus Walther und dem Faber & Faber Verlag ist für diese Anregung zu danken.

Johannes Eichenthal

Information

Antiquarisch zu beziehen:

Klaus Walther: Was soll man lesen? Ein Leseverführer. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2005, fester Einband, 220 Seiten.

ISBN 3-936618-67-4

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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