Interview

MIT KARL QUARCH IM GESPRÄCH

Der Todestag des Verlegers Karl Quarch liegt nun bereits 15 Jahre zurück. 2023 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Male. Mit einem Interview wollen wir den heute nahezu vergessenen Leipziger in Erinnerung bringen.

Johannes Eichenthal

Dass Freunde nach Ihrem Tod eine Winterlinde pflanzten, die sich anderthalb Jahrzehnte später einer trotz der trockenen Sommer ungebremsten Vitalität erfreut, wissen Sie sicher. Welches Credo von Ihnen steht auf der kleinen metallnen Stiftertafel?

K.Q.: Pflicht ist Glück. Schönes vermitteln ist Lebensfreude.

Unterschlagen Sie nicht die Sentenz: Arbeit ist Trost.

K.Q.: Habe ich das so formuliert? Trost klingt ein bisschen wehleidig. Sagen wir besser: Arbeit ist Bestimmung.

Die von Hans-Joachim Behrendt gestaltete Mappe zu Morgenstern-Versen steht am Ende der originalgrafischen Produktion des Verlags Karl Quarch.

Auch Selbstbestimmung unter den den Bedingungen sozialistischen Wirtschaftens, das sie vom Beginn bis zum Ende der kleineren deutschen Republik durchlebten oder besser: durchlitten?

K.Q.: Selbstverwirklichung. Wer diese Zeit nicht erfahren hat aus der Unmittelbarkeit, fällt leichthin Urteile, die die Realitäten verkennen. Schmerzlich wurde uns das bewusst, als wir, Ingeborg und ich, bereits hinausgedrängt waren. Der Verlag war verloren, die Leipziger Wohnung war es auch. Was an Gedrucktem zu retten war, stapelte sich in Kisten im Keller des hessischen Hauses, das uns auf unsere alten Tage Asyl wurde. Da saßen wir, entrissen von allem, was uns wert war. Frei. Enthaust. Wollten wir uns belohnen, haben wir etwas Originalgrafisches hervorgeholt. Mit Ungläubigkeit blickten wir auf das, was unter schwierigen Umständen möglich war, auch in finanzieller Hinsicht.

Behrendts Klappkarten unter dem Titel »Rendezvous« sind in den siebziger Jahren ein Renner für den Verlag.

Privates Unternehmertum war in der DDR nicht wohlgelitten. Wie standen Sie das durch?

K.Q.: Indem ich meine Nische fand. Etwas produzierte, was den großen volkseigenen Unternehmungen zu lapidar war: Glückwunschkarten, Geschenkanhänger, Tischkärtchen. Wie mein Vater schon.

Was Sie auf Dauer nicht wirklich befriedigte …

K.Q.: Ich kannte Otto Herbig, den Maler, der in den Fünfzigerjahren in Weimar an der Hochschule unterrichtete. Seine Landschaften gefielen mir, seine Blumen-Pastelle. Das war etwas anderes als die Bildchen von Katzen-Thiele auf unseren Gratulationskarten. Kunstdrucke, das wäre es.

Mit Schwimmers »Frankreich-Impressionen« knüpft Quarch an die Herbig-Pastelle an.

Der Weg zum Originalgrafischen war dann erstaunlich kurz.

K.Q.: Gerhard Kurt Müller war der Erste, glaub ich, noch vor Karl-Georg Hirsch. Beide von der HGB. Waren uns in Leipzig über den Weg gelaufen. Abzüge vom Holzstock, solides künstlerisches Handwerk. Das gefiel mir. Dass später zu den Holzstichen Lyrik hinzu kam, war fast schon Buchkunst. Bücher zu machen, fehlte mir die Lizenz. Da war nichts zu machen.

Henner Franck liefert Stiche des historischen Dresdens. Den Pionierpalast »Walter Ulbricht« muss er – anders als seinerzeit Gerhard Kurt Müller bei seinen Lesezeichen – sich nicht vornehmen. Ulbrichts Name wird nach 1972 in diesem Zusammenhang nicht mehr genannt.

Mappen mit Städte-Motiven standen am Beginn. Von Rostock bis Eisenach quer durch die Republik. Karl-Marx-Stadt gab es mehrfach. Doch hier schieden sich die Geister – der Müllers und der Ihrige. Wer hat da reinregiert?

K.Q.: Ich habe das nicht so hochgehängt. Das Büro des Oberbürgermeisters trat 1972 mit einer Bitte an mich heran, die Motivauswahl zu ergänzen. Dem wollte ich mich nicht verschließen.

Sie sollten die Jakobikirche tilgen und statt dessen das „Haus der staatlichen Organe“ abbilden, das mit dem Marx-Kopf davor, dem „Nischel“. Sie schickten Müller nochmal los. Das war doch klar politische Einflussnahme.

K.Q.: Der Müller hat das wohl so gesehen. Danach trennten sich unsere Wege. Wir haben die Holzstich-Serie in zwei Varianten angeboten, ad libitum: mit und ohne. Marx, meine ich.

Die Karl-Marx-Städter Mappe mit dem Motiv der Jakobikirche (links) wird weisungsgemäß überarbeitet. Statt der Kirche wird der »Nischel« aufgenommen.

Ein paar Jahre später musste die Künstlerin Helga Paditz noch einmal ran. Sie rückte die Motiv-Auswahl wieder zurecht. Chemnitz, wie Karl-Marx-Stadt längst wieder heißt, wird 2025 Europäische Kulturhauptstadt. Darf ich Sie mit einer vierten Städte-Mappe beauftragen? Welche Motive schlagen Sie heute vor?

K.Q.: Die Villa Esche, auch wenn mir der Jugendstil ein wenig burschikos ist. Aber der Van de Velde, für den die Linie ein Ausdruck von Kraft war, imponiert mir. Der Rote Turm könnte wieder ins Programm. Dann die Beckerbrücke mit ihrem filigranen Eisen, die böte sich an für einen Holzstich. Außerdem wäre sie beinahe abgerissen worden. Was nicht geht, ist der kunterbunte Schornstein. Das ist keine Kunst, und das lässt sich nicht stechen – wie vor Jahrzehnten schon der Hirsch am Schweriner Fernsehturm nachdrücklich machte. Und dass im Verwaltungsgebäude des Dampflokomotiven-Königs Hartmann heute die Polizei residiert, das hat doch Witz.

Gekauft. Legen Sie los. Welche Künstler haben Sie im Auge?

K.Q.: Ich bedauere, Ihre Euphorie bremsen zu müssen. 

Das funktioniert nicht? Das sagen Sie, der sich durch Mangelwirtschaft und Zensur gehangelt hat?

K.Q.: Sie reden mit Verlaub von Marginalem. Natürlich muss jeder Unternehmer sehen, dass er aus dem, was er hat, das Optimale macht. Die Kartonstreifen, die abgeschnitten wurden bei der Glückwunschkarten-Produktion, wurden wunderbare Holzstich-Lesezeichen. Planen und haushalten, ohne beides geht es nicht. Und wir Kleinen – die Buchbinder, die Druckereien, die privaten Verleger und Händler –, wir halfen einander. Wer aufgeweckt war und zum Kompromissen bereit – wie Sachsen sagen dazu vigilant –, der fand seinen Weg. Und kriegte auch die Stempel der Druckgenehmigung, selbst wenn mal ein Lämmerschwanz oder eine Pferdemähne korrigiert werden musste. Versagt wurde dem Karl Quarch Verlag nichts. Auf der anderen Seite standen die Leute Schlange. Wir hätten doppelt und dreifach soviel drucken können – hätten wir es personell geschafft und das Papierkontingent gehabt.

Motive aus Albrecht von Bodeckers Offset-Kartenserie »Tiergratulanten«. 

Warum ging Originalgrafik in der DDR?

K.Q.: Weil das Land ein Grafikland war. Schwarzweiß mit sämtlichen Zwischentönen. Dafür brauchte es den Blick, das Gespür. Das entwickelte man wie den unbedingten Willen zum Schönen. Grafik war unikat und dennoch preiswert. Sie hatte Gebrauchswert, war eine Währung. Kunst hatte einen hohen Stellenwert, die vielen, die von ihr und für sie lebten.

Ihre Holzstich-Mappen hatten Hunderte Sammler …

K.Q.: Das ehrte uns, auch dass Grafikfreunde aus der Bundesrepublik gern die Leipziger Messen nutzten, um in unsere Verlagsräumen zu schauen, was es Neues gibt. Aber in erster Linie druckten wir für das Schöne im Alltäglichen, unser Mehrwert.

Jägerhof

Als unverwüstlicher Privatunternehmer überwinterten sie in der DDR. Mit der Öffnung der innerdeutschen Schotten hätten Ihre Druckerpressen im „Jägerhof“ heißlaufen müssen.

K.Q.: Das Gegenteil war: der Fall. Plötzlich regierten Mark und Markt. Für alle war ein Fenster aufgestoßen, wie es der Schriftsteller Stefan Heym so schön formulierte. Uns schlug man alle Türen vor der Nase zu. Konnten unsere Abnehmer nie genug bekommen, wendeten sie sich jetzt brüsk ab. Wir verstanden die Welt nicht. Inzwischen ist das anders.

Wolfgang Böttcher sticht zu Gedichten Goethes in Kupfer. Jahre braucht es, ehe die Mappe mit fünf Klappkarten erscheint. Am Künstler liegt das offenbar nicht. Als die Mappe schließlich ausgeliefert wird, ist sie schon in DM zu bezahlen.

Sie verstehen sie?

K.Q.: Mir ist klar, dass das, was uns an künstlerischem Produkt gelang, nur in dieser abgeschotteten Gesellschaft möglich war. Weil hier etwas zählte, das sich nicht in Geld ausdrücken lässt. Zumindest in jenen Kreisen, in denen uns zu verkehren vergönnt war. Kreise von Weitläufig- und von Weltläufigkeit, selbst in diesem oft piefig genannten Land.

»Es lebe was auf Erden stolziert in grüner Tracht« ist der erste Auftrag, für den Karl Quarch Werner Klemke gewinnt. Es gibt eine edel in Leinen gehüllte Ausgabe und – hier abgebildet – eine weitere auf Klappkarten.

Ein oft geschnittener Verleger als Verteidiger des Grafik- und des Leselands DDR: ein Paradoxon?

K.Q.: Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Ich habe viel gesehen, kommen und gehen. Ich bin geblieben. Ein Fossil, Wolfgang Böttcher, glaube ich, sagte das mal über mich. Woran lohnt heute, sich zu reiben? Wohin man schaut, Belangloses, Laues, nicht einmal mehr guter Kitsch. 

Winterlich sind Werner Wittigs »Reminiszenzen«. Dieter Meier erinnert sich, »bloß den Umschlag gedruckt« zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch Herr Quarch!

Freunde und Wegbegleiter pflanzen nach Karl Quarchs Tod eine Winterlinde. Der Spruch auf der kleinen Tafel ist ein Credo des Verlegers.

Information

Ekkehard Schulreich: Ins Schwarze! Originale Druckgrafik ist das Markenzeichen des Leipziger Verlegers Karl Quarch. Spurensuche – ein Jahrhundert nach der Verlagsgründung

23 × 23 cm, 176 Seiten, Fadenheftung, Lesebändchen, zahlreiche farbige Abbildungen,

VP (D) 24,90 € 

ISBN 978-3-96063-021-0

Der Vorstand der Pirckheimer-Gesellschaft kürte das Buch 2019 zu seiner Jahresgabe.

Der Autor erhielt für das Buchmanuskript den Mitteldeutschen Historikerpreises 2018 in der Kategorie Dokumentation.

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

One thought on “MIT KARL QUARCH IM GESPRÄCH

  1. Begegnungen mit den Augen – lassen tief blicken.
    Begegnungen mit dem Munde – sprechen für sich.
    Begegnungen mit der Seele – bleiben ewiglich.

    Ich hatte 1992 eine einmalige Begegnung mit K.Q. – als ich die Stahlstichgravuren seines Verlags kaufte und in den Verlagsräumen in der Hainstraße abholte. Diese Augenblicke werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

    Uwe Bernd Baumeister

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