Reportagen

MONTANAKTEURE

Auf Einladung des Agricola-Forschungszentrums Chemnitz kamen vom 13. bis zum 15. April Interessierte aus Spanien, Österreich und Deutschland zusammen, um unter der Themenstellung „Die Saigerhüttengesellschaften und ihre europäischen Beziehungen im 16. Jahrhundert“ Forschungsergebnisse auszutauschen und historische Stätten zu besichtigen. Beim „Saigern“ handelt es sich um ein zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Nürnberg entwickeltes Verfahren, bei dem silberhaltiges Schwarzkupfer unter Zuhilfenahme von Blei auf Kupfer und Silber verarbeitet wird. Die aus einer Blei-Kupfer-Silberlegierung im Vorlauf erzeugten „Frischstücke“ werden auf dem Saigerherd in ein silberhaltiges Blei und Kupfer getrennt.

Die Saigerhütte Grünthal wurde 1537 außerhalb der Ortslage Olbernhaus als eine autarke Produktions- und Selbstversorgungseinheit errichtet. Das Areal wurde mit einer massivem Mauer umgrenzt. Hammerwerke und Mühle blieben außerhalb. Neben den Produktionseinheiten waren im Inneren auch Versorgungseinheiten (Schule, Brauerei, Fleischbank, Gasthof usw.) Historisches Vorbild der Anlage waren vielleicht ehemalige Zisterzienserklöster, die auch das technologische Erbe der Antike ins Erzgebirge brachten. (Heute zum Beispiel noch an der „Schmiede“ des Klosters Fontenay, mit 53 Metern Länge, das Kirchenschiff hat 66 Meter, zu erahnen. Dazu ein unterschlächtiges Wasserrad von 8 Metern Durchmesser und eine Eichenwelle zum Antrieb eines Fallhammers und anderer Werkzeuge durch die gesamte Gebäudebreite).

Das technische Museum Grünthaler Saigerhütte gehört als einer der 22 Bestandteile des UNESCO-Weltkulturerbes Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří und dokumentiert ein seltenes Beispiel einer vorindustriellen zentralisierten Schmelzhütte und ist damit einzigartig im europäischen Kontext.

Saigerhütte Olbernhau-Grünthal: Im Vordergrund Grundmauern der Langen Halle. Im Hintergrund rechts das Herrenhaus, li. die Neue Faktorei

Die Tagung begann am 13. April im Schlossbergmuseum. Chemnitz als Fernhandelsstandort bot im 15. Jahrhundert den idealen Boden für die Ansiedlung der Verarbeitung von silberhaltigen Kupfererzen. Die enorme, zum Prozess benötigte Holzmenge, wurde über eine Flöße nach Chemnitz geleitet. Erze kamen aus verschiedenen Bergbauregionen. 1471 wurde in Chemnitz die erste Saigerhütte im Bereich des heutigen Stadtpark gegründet und wurde 1488 durch eine neue Hütte in unmittelbarer Nähe ergänzt. Die Unternehmerfamilien Schütz und Thiele standen hier in einer herausragenden Position. Erst 1537 wurde dann die Hütte in Grünthal gebaut und als dem Privatengagement (Schütz/Thiele und später Leonhardt/Uthmann) wurde zunehmend die staatliche Kontrolle im Sinne des Direktionsprinzips. 

Prof. Dr. Mark Häberlein (Bamberg) referierte zur Auswanderung von Unternehmern und Technologieexperten aus Europa nach Amerika im 16./17. Jahrhundert. Privatdozent Dr. Michael Wetzel (Zwönitz) sprach über den Bezug der Landesherrschaft zum Hüttenwesen. Dr. Stefan Thiele (Chemnitz) verwies auf die Stiftertätigkeit der Chemnitzer Saigerhütten-Unternehmerfamilie Schütz am Beispiel des Erdmannsdorfer Altars. Dr. Peter Hammer und Lars Ehrhardt demonstrierten im Anschluss eine Blei-Silberschmelze an einem Probierofen wie zu Agricolas Zeiten.

Saigerhütte Olbernhau-Grünthal: li. Alte Faktorei, re. Hüttenschänke

Am 14. April stellte Dr. Stefan Pfalzer (Chemnitz) im Industriemuseum Chemnitz präzise die Entwicklung der Chemnitzer Unternehmerfamilien Nickel Thiele und Ulrich Schütz in der Saigerhüttenbranche dar. Dabei hob er hervor, dass Chemnitz zwischen der Mitte des 15. und der des 16. Jahrhunderts ein bedeutender Standort für Saigerhütten war. Dr. Pfalzer zeichnete ein Bild vom politischen Engagement der Familien Schütz und Thiele im Stadtrat und dem Einsatz von Verheiratungen im Unternehmensinteresse. Frau Dr. Anna Mur Raurell (Madrid) ergänzte Forschungsergebnisse zur Person Hieronymus Walthers, der als Faktor der Augsburger Welser  in Leipzig und Chemnitz tätig war, und der nach Investitionen in Geyer und Ehrenfriedersdorf schließlich auch in die Chemnitzer Saigerhütte einstieg. Walther war ein engagierter Gegner der Reformation. Frau Dr. Mur Raurell zeigte, wie die Familie Walther in die politische und geistliche Elite des Habsburger Reiches aufgenommen wurde. Walther war auch beauftragt, 50 Bergbau- und Hütten-Fachleute aus dem Erzgebirge auszuwählen, die in der spanische Kolonie Santo Domingo mit 4000 versklavten Afrikanern den Bergbau initiieren sollten. Frau Dr. Mur Raurell ergänzte, dass die Erzgebirger nach zwei Jahren enttäuscht zurückkehrten. Dr. Rainer Sennwald (Freiberg) brachte wirtschaftsgeschichtliche Aspekt der Chemnitzer Saigerhüttenfusionen und -teilungen ein. Andrea Kramarczyk (Chemnitz) fügte Erkenntnisse über das Engagement der Chemnitzer Familie Schütz in Saragossa an. Dr. Karl Friedrich Rudolf (Linz/Donau) referierte über die Stiftertätigkeit der Familie Juan de Lobera in Saragossa, die möglicherweise mit der Familie Schütz familiär verbunden war. Mit einer Buchvorstellung über Medaillen zu Ehren Georg Agricolas von Dr. Peter Hammer und René Baumhäkel (beide Zschopau) endete der Vortragsteil. Es schloss sich eine Wanderung zum ehemaligen Schützschen Bergkeller am Kaßberg an.

Inbetriebnahme eines Saigerofenmodells durch die Mitglieder der Saigerhüttenknappschaft im Saigerhüttenverein Olbernhau-Grünthal e.V. 

Am Morgen des 15. April stellte der Leiter des Museums Saigerhütte in Olbernhau-Grünthal, Lasse Eggers,  konzeptionelle Gedanken zur Entwicklung des Museums vor. Im Anschluss fasste Prof. Dr. Helmuth Albrecht, der Leiter des Instituts für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte an der TU Bergakademie Freiberg, unter dem Titel „Desiderata“ seine Gedanken für eine mögliche Weiterentwicklung der Welterberegion Erzgebirge/Krušnohoří vor.

Im Anschluss konnten die Teilnehmer den ersten Versuch zur Inbetriebnahme eines Saigerofenmodells durch die Mitglieder der Saigerhüttenknappschaft im Saigerhüttenverein Olbernhau-Grünthal e.V.  beobachten. Mit einem vom Museumsleiter geführten Rundgang durch das Gelände klang die Tagung aus.

Prof. Dr. Friedrich Naumann, der Grandsigneur der Agricola-Forschung, zeigte sich am Ende zufrieden. Es seien mehrere Jahre Vorbereitung notwendig gewesen, um die Referentinnen und Referenten zu finden, die sich mit der Thematik befassen. Das Problem sei, dass sich die Zahl der Fachleute einerseits aus Altersgründen und andererseits durch den Abbau der wissenschaftlichen Nachwuchsausbildung beständig verringere. Dabei sei die Erforschung der Bergbau- und Hütten-Unternehmerfamilien des 15./16. Jahrhunderts unter dem Aspekt der Generationenfolge gewissermaßen Grundlagenforschung. Fernand Braudel hatte bekanntlich Familienunternehmen als Element der Basiskultur (civilisation materiélle) gefasst. Aus der Generationenfolge ergeben sich die 50-60-Jahres-Zyklus-Strukturen, die bis heute in Europa wirken. Das historische Wissen der Saigerhütten über Brenn- und Schmelzprozesse sei nicht überholt, es müsse bewahrt werden, um für die heutige und künftige Technologientwicklung einsetzbar zu sein. 

Michael Schuster/Andreas Eichler

Information

https://www.kunstsammlungen-chemnitz.de/haeuser/schlossbergmuseum/

https://www.industriemuseum-chemnitz.de

https://www.olbernhau.de/de/denkmalkomplex-saigerhütte-olbernhau-grünthal

Von Professor Friedrich Naumann erschien im  Mironde-Verlag

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/saechsische-bergbaukunst-im-18-jahrhundert-auf-dem-weg-nach-russland

Von Michael Schuster erschien im Mironde-Verlag:

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag:

https://buchversand.mironde.com/p/der-zwerg-aus-dem-berg

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