Am 11. Juni 2023 waren wohl alle Chemnitzer, die nicht am Radmarathon zum Fichtelberg teilnahmen, der vor dem Karl-Marx-Monument gestartet wurde, die irgendwas mit dem Fahrrad zu tun haben oder hatten, am und im Fahrzeugmuseum an der Zwickauer Straße. Hier wurde im Rahmen des Fahrradfestes eine neue Sonderausstellung eröffnet. Diese zeigt bis in den Oktober dieses Jahres Rennräder aus einer speziellen Fertigung, die von der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bis nach der politischen Wende in einer alten Fabrik in der Chemnitzer Nordstraße erfolgte. Die Herstellung der Räder lief unter der Firmierung „Textima“.
Da der Chemnitzer Fahrradhersteller „Elite Diamant“ aufgrund seiner Strickmaschinenproduktion zur VVB (Vereinigung Volkseigener Betriebe) Textima gehörte, waren Mitarbeiter aus diesem Betrieb und aus dem Projektierungsbetrieb „Tisora“ federführend bei der Einrichtung des Rennradbaus in der neuen „Zweigstelle“. Hier wurden nicht nur Rennräder gebaut, sondern auch eine intensive Weiterentwicklung und Forschung betrieben. Um auf diesem Gebiet auch erfolgreich zu sein, war diese Herstellung und Forschung aus dem bisherigen „Gemischtwarenladen“ ausgegliedert worden.
Die nun wieder etwa in Höhe des Weltniveaus produzierten Rennräder gingen im Wesentlichen an die Rennfahrer der Nationalmannschaft der DDR. Die käuflichen Renner wurden weiterhin beim VEB Elite Diamant hergestellt. Um aber auch den Nachwuchsfahrern auf diesem Gebiet akzeptable Rennmaschinen zur Verfügung zu stellen, wurde fast zeitgleich eine Rennradproduktion in einem außerhalb des Werksgeländes in Wüstenbrand gelegenen Gebäude eingerichtet.
Die Rennräder erhielten also zu dieser Zeit eine ansprechende Aufmerksamkeit. Sie wurden nicht mehr „nebenbei“ produziert, wie bisher. Der Autor dieser Zeilen, der von 1972 bis 1990 in der Abteilung für Investitionen des Diamant-Werkes tätig war, erinnert sich daran, dass die Einrichtung der Rennradfertigung in der Nordstraße damals absolute Priorität hatte. Wenn ein LKW mit einer neuen Maschine oder einem Hubwagen oder sonst einem in einer anderen Abteilung dringend benötigten Ausrüstungsgegenstand auf den Hof rollte und dieser Abteilung zugestellt werden sollte, kam immer der Einspruch des Abteilungsleiters: „Ab zur Nordstraße, Rennradfertigung geht vor!“ So funktionierte also die „Planwirtschaft“!
Ein Moment, auf den man am Sonntag lange warten musste, bis keine Besucher mehr vor der Linse standen und man ungehindert die Rennräder der Textima-Fertigung fotografieren konnte.
Etliche Besucher hatten sich dem Anlass entsprechend gekleidet und waren auch mit dem entsprechenden Fahrzeug da.
In mehreren Vitrinen werden Werkzeuge und Halbfabrikate aus der Textima-Rennradproduktion gezeigt.
Die Initiatoren der Ausstellung bei der Eröffnung derselben: In „ Schwarz“ Florian Grund und Marko Neumann; in „Rot“ der Chef des Museumsvereins und Fahrradsammler Ludwig Karsch
Hans Kochlick, der den Rennrahmen ohne Muffen privat entwickelte und dessen Herstellung dann an die Produzenten in der Nordstraße weitergab. Er berichtete über seine Forschungsergebnisse aus dieser Zeit.
Ehemalige Mitarbeiter der Textima-Rennradproduktion haben sich versammelt und berichteten von ihrer Arbeit, wobei die Handys des Publikums sehr aktiv waren.
Wolfgang Lötzsch, damals eines der größten Radrennfahrertalente der DDR, der von der „Politik“ aber ständig ausgebremst wurde, erzählte mit seinen Rennfahrerkollegen, wie das damals war auf „Textima-Rennrädern“!
Frieder Bach
Information
Museum für Sächsische Fahrzeuge Chemnitz: https://fahrzeugmuseum-chemnitz.de
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.
Schade, dass Paul Rinkowski in die Berichterstattung keinen Eingang gefunden hat. Er hat die Konzepte für die Textimas und deren Komponenten geschrieben. Außerdem ging nichts ohne seine Reifen.