Reportagen

IN GELENAU/ERZGEBIRGE

Am Nachmittag des 24. August, einem schönen Spätsommertag, trafen sich Freunde der Erzgebirgskultur im Depot Pohl-Ströher in Gelenau/Erzgebirge, der Sammlung erzgebirgischer Volkskunst und Spielzeug, die hier der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das Depot wurde 2010 auf der Basis von Dauerleihgaben der Sammlerin Dr. rer. nat. Dr. hc. Erika Pohl-Ströher (1919–2016) eingerichtet. Der Kern der Mitarbeiter umfasst nur vier Personen: Michael Schuster, Eckart Holler, Siegfried Seidl und Mario Franke. Das Depot wird im weiteren Sinne von einem Freundeskreis aus Handwerkern und Künstlerinnen getragen, die mit Schauvorführungen und Anleitung den Ausstellungen eine besondere Note verleihen. 2021 erschien das Buch von Ute Krebs und Wolfgang Schmidt: „Das Depot Pohl-Ströher. Volkskunst trifft Spielzeug“. Krebs und Schmidt legten die erste Darstellung der Sammlung, die sich nicht „Museum“ nennt, vor. Ein Blick zurück auf die Geschichte des Depots und auf das Buch war das Anliegen des Treffens im Café des Hauses.

Michael Schuster begrüßte voller Freude die zahlreichen Gäste, darunter den Bürgermeister der Gemeinde Gelenau, Knut Schreiter, und versuchte eine Antwort auf die oft gestellte Frage: „Wer war Dr. Erika Pohl-Ströher“. Ein Foto aus der Kindheit zeigte die 1919 geborene und in Rothenkirchen/Vogtland aufgewachsene Stifterin, mit Käte-Kruse-Puppen, bereits mit einer Aura, die ihr bis ins hohe Alter gegeben war. Sie studierte Chemie und Biologie in Jena, wurde dort 1944 auch in Biologie promoviert. Ihr Großvater und nachfolgend der Vater, stellten in Rothenkirchen seit 1880 Frisörbedarf und später chemische Produkte für die Haarpflege her. Der Firmeninhaber musste mit der Familie 1945 nach Hessen flüchten, um einer Enteignungsverhaftung zu entgehen. Erst in Hessen wurde die seit 1927 existierende Bildmarke „Wella“ als Firmenname eingetragen.

Michael Schuster erzählte weiter, dass Dr. Erika Pohl-Ströher, obwohl sie später in der Schweiz lebte, nach 1990 mehrfach ihre Heimat besuchte. Die inzwischen engagierte Sammlerin von erzgebirgischer Volkskunst und Spielzeug kaufte auf Empfehlung beim damaligen Chemnitzer Antiquitätenhändler Eckhard Holler interessante Stücke. Es entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis, so dass sie ihn dann und wann als Ratgeber bei geplanten Erwerbungen heranzog. So entstand auch die Idee eines Museums mit Exponaten aus der Sammlung Pohl-Ströher in Annaberg-Buchholz, das 2010 unter dem Namen „Manufaktur der Träume“ eröffnet wurde und eine Ausstellung der Pohl-Ströherschen Mineraliensammlung, die unter dem Namen „terra mineralia“ im Freiberger Schloss Freudenstein folgte. Aus dem ursprünglichen Ansatz einer Lagerung von Sammlungsgut entstand die Idee eines „Depots“ mit temporären Ausstellungen in einer ehemaligen Strumpffabrik in Gelenau/Erzgebirge.

Der Pressefotograf Wolfgang Schmidt sagte, dass seine Kollegin Ute Krebs und er als „Zeitungsleute“ dem Publikum die Geschichte der Sammlung erzählen wollten. Kunsthistoriker würden wahrscheinlich anders herangehen. Seine Fotos seien Teil der Erzählung von Ute Krebs. So habe man mit dem Buch versucht, dem interessiertem Laien und dem kundigen Sammler Anliegen und Struktur des Depots „aus der Sicht des Besuchers“ nahe zu bringen. Man habe dem Besucher quasi eine „Vorauswahl“ der schier unüberschaubaren Sammlung vorlegen wollen.

Die Buchgestalterin Birgit Eichler sagte, dass das Projekt im Spätsommer 2021 relativ kurzfristig an den Mironde-Verlag herangetragen wurde und der Vorstellungstermin mit dem Freitag vor dem ersten Advent, zum Auftakt der Weihnachtsschau, bereits festgelegt war. (Es konnte sich zu diesem Zeitpunkt niemand vorstellen, dass die Buchvorstellung schließlich wegen eines Virus abgesagt werden musste.) Sie habe sich sofort für das Projekt entschieden, weil es in das Spektrum des Verlages passte und sie die Arbeit von Ute Krebs und Wolfgang Schmidt sehr schätzte. Die Westermann-Druckerei in Zwickau habe den Druck trotz akuten „Papiermangels“ dankenswerterweise ermöglicht. Die größte Herausforderung sei für sie die Auswahl der Bilder gewesen. Wolfgang Schmidt habe mehr als 2500 ausgezeichneter Fotos vorgelegt. Darunter seien auch Fotos von Objekten, die der Besucher in der Ausstellung nicht sieht. Für die Herstellung der „Vorauswahl“ habe ihre Aufgabe darin bestanden, 250 Bilder mit der größten Aussagekraft auszuwählen und eine dem Thema angemessene Gestaltung zu finden.

Eckart Holler (vorn li.) meldete sich auch zu Wort. Auf sein Engagement geht die Aufnahme von historischen Kinderautos in die Ausstellung zurück. 

Michael Schuster nannte noch einmal die Schwerpunkte der Sammlung. Weihnachtspyramiden, Weihnachtsberge, Deckenleuchten, Puppen, Kinderfahrzeuge. Der rege Besucherzulauf habe auch dazu geführt, dass die Sammlung zahlreiche Dauerleihgaben oder Schenkungen von Privatpersonen aufnehmen konnte. Diese Leihgeber stellten selbst einen stabilen Teil der Besucher dar. 

Obwohl die Sommerausstellung noch laufe, bereite die Mannschaft bereits die traditionelle Weihnachtsausstellung vor, die am Freitag vor dem Ersten Advent eröffnet werden soll.

Abschließend gab Michael Schuster bekannt, dass der jüngste Sohn der Mäzenin, Bertram Pohl, nach dem Erwerb der Immobile auch den Sitz der Lopesa Sammlungs GmbH nach Gelenau verlegt habe und die Geschäftsführung übernimmt. Die Gesellschaft wolle das Depot im Sinne des bisherigen Sammlungskonzeptes der Stifterin weiterführen und gleichzeitig für jüngere Besucher Angebote entwickeln. 

Michael Schuster dankte unter herzlichem Beifall dem Publikum für die Aufmerksamkeit. Das Publikum war von Michael Schusters Ausführungen und seinem Vortragsstil tief beeindruckt. Noch lange wurde an diesem Tag über das Depot Pohl-Ströher diskutiert.

Eine wichtige Unterstützung für die Ausstellungen und die Besucherbetreuung ist die Gelenauer Konditorei Seidel. 

Der Antiquar Ulrich Osberghaus präsentiert in der Ausstellung seltene Bücher der Kunst- und Kulturgeschichte.

Auf der Heimfahrt durch Burkhardtsdorf und Thalheim, wo eindrucksvolle Fabrikgebäude, Fabrikantenvillen und ein gigantisches Sportlerheim an die einstige Industriezeit erinnern, mussten wir nachdenken: Worin besteht der Sinn einer solchen Sammlung? Karl Ströher, der Vater, sammelte und förderte in Hessen moderne Kunst, zum Beispiel Joseph Beuys. Seine Tochter konzentrierte sich dagegen auf erzgebirgische Volkskunst. Einerseits war vielleicht die Sehnsucht nach der verlorenen Kindheitsheimat ein Motiv. Andererseits ist die Handwerkskunst, so die traditionelle Bezeichnung, gewissermaßen die Basis unseres kulturellen Erbes. In der Regel wurden die Pyramiden und Weihnachtsberge zum eigenen Gebrauch, zur Freude hergestellt. Wir finden hier fantasievolle Farben, Formen und technische Lösungen.

In der Jugend Erika Pohl-Ströhers zogen die modernsten Technologien ins Erzgebirge ein. An vielen Orten ging die Rationalisierung bis zum Fließbandsystem. Einzig die Effizienz war nun das Kriterium für die Bewertung. Der Handwerker legte noch sein Herzblut in das Produkt. Unter den neuen Bedingungen wird das nicht mehr bezahlt. Der Schwarzenberger Waschmaschinenhersteller Friedrich Emil Krauß stellte bewusst Kultur gegen die mit der Rationalisierung verbundene soziale Kälte. Neben Symphoniekonzerten der Wiener Philharmoniker in Schwarzenberg organisierte er regelmäßig Wettbewerbe in erzgebirgischer Volkskunst und wurde deren damals wichtigster Förderer, sozusagen ein Vorläufer Erika Pohl-Ströhers. Für das Niveau des Wettbewerbes spricht, dass auch Marianne Brandt, eine international bekannte Künstlerin, daran teilnahm. In diesem Lichte wird vielleicht deutlich, dass Erika Pohl-Ströher mit ihrer Sammlung die regionale Erbschaft an Fantasie anschaulich machen wollte. Sie wirkte im Hintergrund, mit Demut und nahezu kindlicher Offenheit gegenüber dem kulturellen Erbe. 

Dem heutigen Besucher der schönen Ausstellung ist aber auch eine aktive Rolle zugedacht. Wenn wir das Erbe der Fantasie überliefern wollen, an unsere Enkel und Urenkel, wenn wir dem kalten Streben nach finanzieller Effizienz etwas entgegensetzen wollen, dann müssen wir unsere Erkenntnisse und Eindrücke auch anwenden. Wir müssen uns selbst handwerklich betätigen, uns die Erfahrungen der Handwerkskunst aneignen. Dazu kommt, dass handwerkliche Tätigkeit mit unseren Händen besonders in der Kindheit und im Alter wichtig für das Niveau unserer Denkfähigkeit ist.

Johannes Eichenthal

Am Freitag vor dem Ersten Advent, am 1. Dezember 2023, wird im Depot Pohl-Ströher in Gelenau/Erzgebirge, die Weihnachtsausstellung eröffnet.

Information

Depot Pohl-Ströher: www.lopesa.de

Ute Krebs/Wolfgang Schmidt: Das Depot Pohl-Ströher. Volkskunst trifft Spielzeug

Mit einem Geleitwort der Sächsischen Staatsministerin für Kultur und Tourismus Barbara Klepsch

Fester Einband, 23,0 × 23,0 cm, 160 Seiten, 250 z.T. farbige Abbildungen und Fotos

VP 19,95 Euro; ISBN 978-3-96063-043-2

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/das-depot-pohl-stroeher

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert