Am 27. März begrüßte Uwe Hastreiter von der Stadtbibliothek Chemnitz, den Autoren Klaus Walther, einen promovierten Germanisten, zu einer Lesung aus dessen neuer Karl-May-Biographie, die anlässlich des 170. Geburtstages und des 100. Todestages von Karl May (25.2.1842–30.3.1912) erschien. Uwe Hastreiter gratulierte Klaus Walther nachträglich zum Geburtstag und dankte ihm für sein jahrzehntelanges Engagement im literarischen Leben der Region.
Klaus Walther begann mit der Kennzeichnung der Situation. Wenn man in Deutschland gefragt werde, welche Autoren man besonders schätze, und man antworte Hermann Hesse, Thomas Mann, Karl May …, dann entstehe in der Regel im Gespräch eine Pause und die anschließende, unverständige Frage, wie denn das zusammenpasse. Man tue sich hier schwer mit der Einordnung von Erzählern, die spannend und packend zu schreiben vermögen. Im englischen Sprachraum habe man weniger Vorbehalte. Dort gelte Karl May als gut lesbar.
Klaus Walther fügte hier eine Episode ein. Der südkoreanische Verleger, der seine Karl-May-Biographie in der koreanischen Übersetzung herausbrachte, antwortete auf seine Frage warum Karl May in Korea auf Interesse stoße: Wir interessieren uns in Korea für zwei deutsche Autoren besonders: Karl May und Johann Wolfgang Goethe.
In Korea ist das Nebeneinander dieser Autoren ganz normal.
Klaus Walther bemerkte mit Blick auf die Zuhörer, dass er Ihnen nicht den Lebensweg Karl Mays im Detail präsentieren wolle. Ohnehin gäbe es heute mehr Bücher über Karl May als von ihm. Das sei bedauerlich, denn um die Texte des genialen Erzählers gehe es.
Seine in neuer Fassung erschienene Biographie versuche den Leser zu den Texten hinzuführen. Er setze dabei nicht auf »tiefenpsychologische« Erklärungsversuche. Auch beteilige er sich nicht an Spekulationen, ob May nicht vielleicht doch in Amerika gewesen sein könnte, bevor er seine Geschichten schrieb.
Es gehe ihm darum, zu zeigen, dass Karl May doch ein großer Erfinder war, der auf genialische Weise die eigene Biographie mit dem verknüpfte, was er selbst gelesen hatte, und dabei eine abenteuerliche Szenerie aufbaute. In der deutschen Literatur gäbe es wenige Figuren vom Range Winnetous, Hadschi Halef Omars usw.
Im Anschluss las Klaus Walther eine Passage aus der Biographie: »Ich bin wirklich Old Shatterhand …« Warum betrieb May derartige Hochstapelei?
Klaus Walther gab zu bedenken, dass sich diese Eigenheit zum Teil aus der gespaltenen Lebensszenerie in Mays Jugend ergäbe. Andererseits wollte die Leserschaft in ihrer naiven Sicht auf Literatur, dass der Autor auch alles erlebt habe, was er schreibe. Und Karl May habe es mit seinem Werk vermocht zu erreichen, dass für eine große Leserschar das Erfundene wirklicher wurde als die so genannte »Realität«.
In einem weiteren Auszug ging Klaus Walther auf die Reiseromane Mays ein. Hier lief er zu großer Form auf. Er vermochte eine Art szenische Lesung zu erfinden, schlüpfte in die Rolle Mays und seiner Protagonisten. Walther vermochte es, den Erzählstil Mays aufzunehmen und kritisch auf dessen eigene Biographie anzuwenden.
Schlagartig wurde uns bewusst, dass es sich bei der Waltherschen Karl-May-Biographie um ein literarisches Werk handelt, welches dem Gegenstand gerecht wird. Denn in der Tat kommt man dem Mythos Karl May weder mit der »realistischen« Beschreibung seines Lebenslaufes, noch mit psychoanalytischen Übungen, philologischen Spitzfindigkeiten oder mit skandalträchtigen »Enthüllungen« bei. Ein Mythos kann mit »Fakten« weder bewiesen noch widerlegt werden.
Klaus Walther demonstrierte uns an diesem Abend, dass der Biograph Karl May verstehen wollen und gleichzeitig eine kritische Distanz wahren muss. In der szenischen Lesung vermochte er seine literarische Methode glanzvoll zu demonstrieren: Man muss Klaus Walther gehört haben, um Karl May verstehen zu können.
Abschließend meinte er, und setzte damit noch einen Punkt auf das »i«, dass Gojko Mitic bei der Präsentation seiner May-Biographie zur Leipziger Buchmesse am 16. März anwesend war, und auf die entsprechende Frage von Matthias Zwarg antwortete, dass er Karl May wegen seiner Neugier und Weltläufigkeit schätze.
Das ist es. Hier kann man die Größe Karl Mays finden: in Denkversessenheit und Wachheit. (Henry James) Das ist der Kern des »Mythos Karl May«.
Klaus Walther las noch einen Karl-May-Essay, den er für eine Zeitung schrieb. Hier verwies er auf zwei Schriftsteller, die nach Karl May in Hohenstein-Ernstthal lebten, und in den Spuren des Meisters zu gehen versuchten.
Leider vergaß Klaus Walther an dieser Stelle zu erwähnen, dass Karl May in Hohenstein-Ernstthal auch einen Vorgänger hatte. Aber das ist verzeihlich, zumal Klaus Walther selbst der Herausgeber einer Einführung in Leben und Werk Gotthilf Heinrich Schuberts (1780–1860) ist, die Andreas Eichler 2010, zum 150. Todestag Schuberts vorlegte. May heiratete 1880 in der Kirche, in deren Pfarrhaus Schubert geboren wurde, und vor der 1880 auch noch eine Büste Schuberts aufgestellt wurde. Wir finden bei Schubert sowohl die Sehnsucht nach der Ferne, er beschreibt den Blick vom Berg über Hohenstein nach Süden bis zum Fichtelberg und nach Norden bis zum Petersberg bei Halle, die enzyklopädische Bildung, die Vorliebe für das Verfassen von Abenteuergeschichten, die Reisen in den Orient in den späten, gutsittuierten Lebensjahren und die Sehnsucht nach innerem Frieden.
Aber wir haben keine Zeit für solche Abschweifungen. Schon fragte ein Zuhörer, welche Rolle Karl May im »Dritten Reich« spielte.
Klaus Walther antwortet, dass die zweite Frau Mays die Absicht hatte, die Texte im Sinne der neuen Machthaber umschreiben zu lassen. Dies sei jedoch am Widerstand von Richard Schmidt gescheitert. Zudem habe es einige Missverständnisse von Mays Formulierung vom »deutschen Edelmenschen« im Sinnen von »deutschem Übermenschen« gegeben. Es werde auch immer wieder darauf verwiesen, dass Adolf Hitler den letzten Vortrag Mays in Wien besucht habe. Dort sei May aber von der Pazifistin und Autorin von »Die Waffen nieder!«, Bertha von Suttner, freundlich aufgenommen worden. Zudem sei Karl May nie ein Verfechter des Völkerhasses gewesen, sondern im Gegenteil, May predigte die Verständigung und den Frieden.
Foto: Elke Beer, die Leiterin der Stadtbibliothek Chemnitz, ließ es sich nicht nehmen, Klaus Walther zum Geburtstag zu gratulieren und für sein Engagement für die Region zu danken. (Re. neben Frau Beer die Schriftstellerin Regina Röhner)
Es schloss sich eine Hörerfrage nach dem Umgang mit Karl May in der DDR an.
Klaus Walther antwortete, dass man nach 1945 zunächst aus ideologischen Gründen glaubte, Karl May nicht schätzen zu dürfen. Zudem habe die DDR die Urheberrechte an den Karl-May-Verlag in Bamberg verkauft. Als 1982 die Urheberrechte frei wurden, habe man im Verlag Neues Leben die Fehsenfeldsche Karl-May-Ausgabe nachgedruckt.
Foto: Auch der Schatzmeister des Sächsischen Schriftstellervereins, Dr. Gerhard Birk, gratulierte dem Jubilar.
Ein Leser fragte, wie es mit Karl May weitergehe. Es habe doch geheißen: Hast du nicht Karl May gelesen, bist du niemals jung gewesen! Doch die heutige Jugend habe dem Anschein nach kein Interesse mehr für Karl May.
Klaus Walther antwortet, dass es heute tatsächlich so sei, dass die Jugend kaum eine Beziehung zu Karl May habe. Aber man könne nicht sagen, ob dies so bleibe. Hier erinnerte er an Hermann Hesse, zu dessen Tod eine große Zeitung schrieb, dass man mit Hesse keinen Blumentopf mehr gewinnen könne. Fünf Jahre später sei Hesse wieder entdeckt worden. Seither verkaufe der Verlag monatlich 20.000 Bände Hesse. Das sei ein so genannter »Long-Seller«, der in keinen Bestenlisten auftauche, den Verlag jedoch stabilisiere.
Er glaube zwar nicht, dass Karl May in eine solche Dimension gelangen könne, aber eine gewisse May-Renaissance sei schon zu erwarten. Zudem habe der Chef des Karl-May-Verlages vor einiger Zeit gesagt, dass man jährlich immer noch 100.000 Bücher absetze.
Foto: Günter Saalmann, ein langjähriger Weggefährte Klaus Walthers, erwies dem Jubilar ebenfalls die Ehre.
Auf eine Frage, warum Karl May seine erzgebirgischen Dorfgeschichten schrieb, antwortete Walther, dass diese Geschichten in der Heimat Mays angesiedelt waren. May selbst habe diese Geschichten später als seine literarischen Anfänge dargestellt. Die Strukturen der Erzgebirgsgeschichten ähnelten aber den Wild-West-Geschichten. Die Helden sahen einen Grund, um einzugreifen. Die Bösen wurden bekehrt oder vertrieben. Am Ende siegte das Gute.
Über dieses Muster könne man denken, wie man wolle. Es habe seine Liebhaber.
In einer Diskussion habe neulich eine Dame gesagt, dass sie keine Geschichten lesen wolle, in denen geschildert werde, was alles chaotisch sei, nicht funktioniere und schief gehe. Das habe man in unserer Wirklichkeit jeden Tag.
Klaus Walther fügte an, dass wir in der Literatur lesen wollten, wie es sein könnte.
Damit ging dieser Abend zu Ende. Es war auf alle Fälle ein Ereignis. Wir bedauern alle, die nicht dabei waren.
Johannes Eichenthal
Information
Klaus Walther: Karl May. Chemnitzer Verlag 2012, VP 12,90 ISBN 978-3-937025-89-6
Karl May: Der Teufelsbauer. Eine erzgebirgische Dorfgeschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Klaus Walther. Mironde-Verlag 2012, VP 9,50 ISBN 978-3-937654-45-4
Aktuelle Artikel zu Karl May
www.welt.de/kultur/literarischewelt/article13759393/Karl-May-Haeftling-Hochstapler-Hochliterat.html
http://derstandard.at/1330390222917/100-Todestag-Mutmassungen-ueber-May
http://static.nzz.ch/files/4/0/6/BamS_260212-low_1.15308406.pdf
www.taz.de/100-Todestag-von-Karl-May/!90460/
www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/gottes-heilige-faust_1.16182323.html
www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/voelkerverstaendigung_1.16182321.html
www.fr-online.de/kultur/karl-may-todestag-einer-fuer-alle,1472786,13954052.html
www.tagesspiegel.de/zeitung/geschichte-als-karl-may-das-kriegsbeil-begrub/6366182.html
www.sueddeutsche.de/kultur/karl-may-zum-todestag-so-traeumt-ein-knabe-1.1321893
www.welt.de/kultur/literarischewelt/article106132069/Karl-May-Popstar-und-reicher-Aufschneider.html
www.zeit.de/2012/14/L-S-Karl-May
www.zeit.de/2012/12/DOS-Apachen